Das Ende des Schweigens

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Als Polizisten den 17-jährigen Strichjungen Otto Blankenstein an einem Sommertag 1950 in Frankfurt am Main aufgreifen, finden sie bei ihm ein Notizbuch mit den Namen seiner Kunden. In den folgenden zehn Monaten wird gegen mehr als 200 homosexuelle und bisexuelle Männer ermittelt, rund 100 werden verhaftet, vom Arbeiter bis zum Arzt. Die Frankfurter Homosexuellenprozesse (1950/51) tragen dazu bei, dass der Paragraph 175 in den folgenden Jahrzehnten wieder verstärkt als Instrument zur Verfolgung schwuler Männer eingesetzt wird. „Das Ende des Schweigens“ erzählt von diesem Unrecht in einer Mischung aus dokumentarischen und inszenierten Szenen. Andreas Wilink über eine detailreiche und erhellende Aufarbeitung der Ereignisse.

Foto: GMfilms

Menschenrecht und das Menschenrechtswidrige

von Andreas Wilink

Es gab nicht nur die einen Frankfurter Prozesse 1963 bis 1965, die als Auschwitz-Prozesse mit dem Namen des Hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer in seinem unermüdlichen Impetus, die Deutschen über sich selbst aufzuklären, verbunden sind und die von Peter Weiss in seinem Oratorium „Die Ermittlung“ dramatisch verarbeitet wurden. Es gab, bereits 1950/51, die anderen Frankfurter Prozesse, die gegen Homosexuelle, reagierend auf die offen schwul bewegte Szene in der Stadt.

Frankfurt, so sagt es in „Das Ende des Schweigens“ der Historiker Gottfried Lorenz, sei nach dem Zweiten Weltkrieg die erste Homosexuellen-Hauptstadt in Deutschland gewesen. Subkultur in Ruinentrümmern, im Bahnhofsviertel, im Kleist-Kasino, in Wohnungen wie dem „Club“, für die die Schlüssel untereinander weitergereicht wurden – Billy Wilders „Das Appartement“ (1960) spielt mit diesem Motiv. Man blieb anonym, gab sich falsche Namen, bevorzugt Frauen-Namen. Fassbinders filmische Passion „In einem Jahr mit 13 Monden“ (1978), die in der Cruising-Area des Mainufers beginnt, schließt noch daran an.

Wirkungsmacht bis heute entfaltet der eine wie der andere Prozess – Emanzipation hier, Repression dort –, auch als Fanal, Symptom und Symbol eines vom Ungeist befallenen Systems. Dass in der Republik des Nazi-Verfolgten und Ben-Gurion-Freundes Konrad Adenauer homosexuelle Nazi-Verfolgte weiterhin an den Pranger gestellt wurden, das wäre mit Fug und Recht Ballast dieser jungen Demokratie zu nennen.

„Du hast die Wahl – Liebe ist kein Verbrechen“, ist auf einem regenbogenfarbenen Deckblatt zu lesen. Gottfried Lorenz liefert einen knappen geschichtlichen Exkurs zu den gesetzlichen Regelungen auf deutschem Territorium, die Homosexualität im 19. Jahrhundert entweder unter Strafe stellten oder erlaubten. Mit der Reichsgründung wird der Paragraph 175 zum bindenden Strafgesetz. Markus Velke, ebenfalls Historiker, führt aus, weshalb männliche Homosexualität dem vor allem waffenklirrenden Obrigkeits- und Untertanenstaat suspekt war und ist: Sie gilt ihm als staatsgefährdend, denn sie unterminiere das Männer- und Familienbild und nähre die Vorstellung von einer Art geheimem inner circle, der über erotische Anziehung funktioniere.

Verwunderlich, dass die liberale und libertinäre Weimarer Republik trotz mehrere Initiativen die Abschaffung des berüchtigten Paragraphen nicht durchgesetzt hat. 1935 wird er dann vom NS-Staat verschärft, von nun an genügt der pure Verdacht und „im Grunde das So-Sein“ (Christian Setzepfandt), um zuzugreifen und abzuurteilen. Das böse Wort des „Ausmerzens“, das im Vokabular des Unmenschen auf Juden und missliebige Gruppen gemünzt wurde, fand auch Anwendung gegen Homosexuelle. Das „Asoziale“ sollte umerzogen, das „Ungesunde“ ausgerottet werden, im schlimmsten Fall: durch Mord.

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Von dem Skandal, dass die Alliierten die NS-Gesetzgebung zwar weitgehend außer Kraft setzten, den Paragraphen 175 aber beibehielten, wenngleich zurücksetzten auf seine Ausgestaltung im wilhelminischen Kaiserreich (die Höchststrafe betrug fünf Jahre Gefängnis), erzählt auch „Große Freiheit“ von Sebastian Meis in Spielform. Siegermoral und die Kontinuität furchtbarer Richter.

„Das Ende des Schweigens“ hingegen kombiniert erhellende Interview-Beiträge mit van-Tien Hoangs unbeholfen, steifleinen inszenierten Szenen – etwa den Episoden um Otto Blankenstein, jenem einnehmenden jungen Mann, der einer Reihe von Männern zum Verhängnis wurde, weil er als Kronzeuge der Frankfurter Staatsanwaltschaft Namen und Adressen preisgab. Weshalb er als Denunziant auftrat, aus Eitelkeit, Selbstüberschätzung, aus Rachsucht oder um seine eigene Haut zu retten – ist wohl monokausal nicht zu klären. Er wurde übrigens im Anschluss mit einer neuen Identität ausgestattet und verschwand von der Bildfläche. Das Mädchen Rosemarie Nitribitt unter umgekehrten Vorzeichen. „Jungen in schlechter Gesellschaft“ (dies der Titel von Friedrich Kröhnkes Studie über das Bild des Jugendlichen in deutscher Literatur 1900-1933) und mit guten Manieren, aus zerrütteten Verhältnissen und geschlagen mit familiären Kriegsverlusten, gab es nicht nur in der Epoche zuvor, sondern auch in der jungen, noch nicht gleich prosperierenden Bundesrepublik.

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Die ideologisch fixierte, weiterhin braun eingefärbte, mit Diskriminierungen operierende rigide Strafverfolgung samt Razzien und Ausforschung, die in den Frankfurter Prozessen mit 175 verhafteten und 75 verurteilten Männern mündete, wurde geführt im Namen der guten Sitten und vorrangig mit dem Argument des Jugendschutzes. Die erwachsene Reifemarke lag bei 21, das erscheint uns, da das Wahlrecht ab 16 wohl bald Gesetz sein wird, absurd. Der gleichgeschlechtlich Liebende wird von Staats wegen gebrandmarkt als soziale Gefahr. Die zivile Gesellschaft, darunter die Presse, war da schon weiter und bezog Stellung.

Zugleich sollte Schwulsein somit im Dunstkreis des Anrüchigen und Zwielichtigen, der Prostitution und des Kriminellen belassen und dargestellt werden. Wen wundert es da, dass Eltern auf das Coming-out ihrer Kinder mit Abwehr, Angst, Drohung, Bestrafung oder Verstoßung reagierten. Wen wundert es, dass die Opfer sich an die Stigmatisierung durch den Rosa Winkel erinnert fühlten, und Opfer waren ebenso Stricher wie Kunden (einer von ihnen, der 2017 verstorbene Wolfgang Lauinger, kommt in Archivmaterial zu Wort), deren soziale Existenz, auch durch einen Eintrag ins Polizeiliche Führungszeugnis, willentlich vernichtet wurde. Akademische Grade und der Beamtenstatus gingen verloren. Es gab Suizide, andere Männer sahen nur den Ausweg im Ausland, Italien oder die Niederlande – 50 Jahre nachdem der zu Zuchthaus verurteilte Oscar Wilde England verließ, um in Frankreich zu leben und zu sterben.

Die Urteile nach Paragraph 175 bzw. 175a seit dem Mai 1945 sind aufgehoben und als „menschenrechtswidrig“ eingestuft, seit 2017 gilt das Rehabilitierungs- und Entschädigungsgesetz.




Das Ende des Schweigens
von van-Tien Huong
DE 2020, 79 Minuten, FSK 12,
deutsche OF,
GMfilms

Ab 2. Dezember im Kino.

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