House of Gucci

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Vater, Sohn und „House of Gucci“. In seinem neuen True-Crime-Drama nimmt Ridley Scott den spektakulären Mord an dem Modeunternehmer Maurizio Gucci zum Fluchtpunkt eines abgründigen Liebes- und Familienporträts, in dem Lady Gaga als femme fatale Patrizia Reggiani ein gewaltiges Aufgebot an Hollywood-Stars anführt. Andreas Köhnemann hat sich auf jede Menge Glamour und Camp gefreut. Und wurde ziemlich enttäuscht.

Foto: Universal Pictures International Germany GmbH

Low-Fashion-Show

von Andreas Köhnemann

Ridley Scott, Lady Gaga, Adam Driver, Jared Leto, Al Pacino und Jeremy Irons – was für ein Line-up! Entsprechend hoch sind daher die Erwartungen an das Biopic „House of Gucci“, noch befeuert von einer aufwendigen Werbekampagne, die seine Schauspielstars ebenso hervorhebt wie die Luxus-Mode und den mitreißenden Eighties-Pop – eine Mischung, die sowohl zu großem Kino als auch zu queerem Camp führen kann, idealerweise gar zum Besten aus beiden Welten. Doch ist dem Film das gelungen?

Am Anfang, nach einem raschen Vorgriff der Ereignisse, sehen wir, wie sich Maurizio Gucci und Patrizia Reggiani Ende der 1970er Jahre kennenlernen. Zunächst ist das noch schön anzusehen: Das Meet-Cute auf einer Party, bei dem clever mit der Frage gespielt wird, wer von beiden hier eigentlich die deplatzierte Cinderella ist. Dann ein nicht ganz Stalking-frei herbeigeführtes Wiedersehen in der Universitätsbuchhandlung. Eine Telefonnummer, die divenhaft mit Lippenstift auf die Windschutzscheibe eines Motorrads gemalt wird. Und schließlich ein erstes Date, ein erstes Treffen mit Maurizios dünkelhaftem, verwitwetem Vater Rodolfo – und ein übereilter Heiratsantrag.

In diesem ersten Kapitel der Geschichte von Maurizio und Patrizia wirken die beiden noch wie echte, glaubwürdige Figuren: Patrizia bewegt sich über das Gelände des Transport­unternehmens ihres Vaters Fernando, als schreite sie über einen Catwalk. Maurizio scheint aufzublühen, als er seinem Vater den goldenen Löffel vor die Füße spuckt und den Maßanzug gegen Arbeitskleidung eintauscht, um die verdreckten LKWs des Reggiani-„Imperiums“ mit dem Schlauch abzuspritzen, damit seine Frau und er sich eine kleine Wohnung leisten können. Aber dann reiht sich Zeitsprung an Zeitsprung – und die Dialoge und Handlungen der Figuren wirken zunehmend weniger nachvollziehbar, die Dramaturgie des Films nähert sich dem Kollaps.

Doch man bemüht sich als Zuschauer:in weiter. Durch Maurizios Onkel Aldo findet das Paar zurück in den Gucci-Clan. Aldo ist, ebenso wie Rodolfo, eine eher lächerliche Gestalt, der traurige Schatten eines patriarchalischen Konzepts. Al Pacino (als Aldo) und Jeremy Irons (als Rodolfo) legen diese Rollen so schrullig, so kapriziös an, dass sie als Antagonisten nicht wirklich funktionieren wollen – nicht einmal auf einer reinen Unterhaltungsebene, dafür mangelt es den Darstellungen an Charme. Dann betritt Jared Leto als Paolo Gucci, Aldos Sohn, die Bühne. Die Vorgabe für das Maskenbild des Schauspielers war offenbar „hässlich“. Welche Regieanweisungen oder Schauspiel-Ideen indes auch immer dazu geführt haben mögen, dass Leto in jeder Szene eine derart würdelose Karikatur verkörpert – es ist schlichtweg zu viel. Um zum Camp-Spaß zu werden, ist seine Performance viel zu gewollt. Und auch als markanter Comic-Relief geht er nicht durch – dafür müsste man die Figuren und Situationen um ihn herum ernster nehmen können.

Foto: Universal Pictures International Germany GmbH

Das ist aber nicht der Fall. Denn Maurizio und Patrizia sind spätestens an diesem Punkt der Filmhandlung keine greifbaren Charaktere mehr, sondern leblos erscheinendes Soap-Personal, das dekorativ auf teuren Möbelstücken platziert wird und mit abgeklärter Miene Business-Talk führt. Warum herrscht plötzlich diese Kälte zwischen ihnen? Die Entwicklungen der Figuren scheinen irgendwo zwischen den Schnitten des 158-minütigen Films verloren gegangen zu sein. Statt den Guccis könnten das ebenso die Ewigs, die Carringtons, die Colbys oder die Giobertis aus den Prime-Time-Soaps der 1980er Jahre (etwa „Dallas“, „Der Denver Clan“ oder „Falcon Crest“) sein. In diesem Format wurde ständig über Geschäfte gestritten. Allerdings schaltete niemand diese Serien ein, um den Gesprächen über Öl oder Weinbau zu lauschen. Der Reiz lag vielmehr darin, dass diesen Figuren alles Denk- und Undenkbare passieren konnte. Sie konnten sterben und plötzlich wieder quicklebendig unter der Dusche stehen. Sie konnten ihr Gedächtnis verlieren, in Ballett-Pose aus dem Fenster eines Hochhauses springen, sogar von Aliens entführt werden (siehe das Finale von „Die Colbys“) – absolut nichts war verrückt genug.

Foto: Universal Pictures International Germany GmbH

Diese Narrenfreiheit hat „House of Gucci“ als Geschichte nach wahren Begebenheiten aber nicht. Um dennoch den Unterhaltungswert jener Seifenopern zu erreichen, müsste Ridley Scott souveräner mit dem umgehen, was die realen Hintergründe anbieten, allem voran die großartige Mode. Hierfür lässt der Regisseur wiederum das nötige Gespür vermissen. Dass wir nichts vom kreativen Prozess des Modemachens sehen, ließe sich noch damit entschuldigen, dass Scott den Fokus auf die Guccis als Geschäftsleute legt. Doch auch vom Glamour der High-Fashion-Welt, von dem Gefühl der Macht, das mit dem Handeln und Tragen dieser edlen Outfits verbunden ist, ist kaum etwas zu spüren. Ganz am Rande darf ein junger Tom Ford, dargestellt von Newcomer Reeve Carney, ein paar Worte aufsagen. Und ein entblößter Männerhintern auf dem Laufsteg einer Modenschau muss reichen, um zu signalisieren, dass der Gucci-Kosmos auch für Schwule etwas sehr Anziehendes hat.

Das Zeitkolorit der späten 1970er, der 80er und frühen 90er Jahre kommt so freilich kaum zum Vorschein. Der Einsatz von George-Michael- oder Eurythmics-Songs mutet seltsam willkürlich an, wie der Soundtrack insgesamt keine zwingende Verbindung mit den Bildern eingeht. Der Film vermeidet es immerhin, die True-Crime-Elemente der Story allzu sehr auszuschlachten. Wenn am Ende alle tot oder todunglücklich sind, bleibt die Erkenntnis, dass Reichtum allein nicht glücklich macht. Schade um den schönen Stoff.




House of Gucci
von Ridley Scott
2021, 158 Minuten, FSK 12,
englische OF mit deutschen UT und DF,
Universal Pictures International Germany

Ab 2. Dezember im Kino.

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