Bryan Washington: Dinge, an die wir nicht glauben
Buch
Ben und Mike sind seit vier Jahren ein Paar und leben in Houston. Als Mikes Mutter Mitsuko aus Japan zu Besuch kommt, reist ihr Sohn überstürzt ab und in die andere Richtung, um seinen kranken Vater zu pflegen. Ben bleibt allein mit der fremden Frau zurück, die ihn zuvor mit den Worten „Du bist also schwarz“ begrüßt hat. In seinem Debütroman erzählt Bryan Washington von Liebe, die Grenzen überwindet. Axel Schock war von der Lektüre so begeistert, dass er sich einzelne Stellen immer wieder anstreichen musste.
Du hast es gemerkt
von Axel Schock
Bryan Washington braucht nicht viel Worte und kommt schnell zum Punkt:
„Mike fliegt nach Osaka aber seine Mutter kommt nach Houston. Nur für ein paar Wochen, sagt er. Oder vielleicht auch ein paar Monate.“
Das Setting, das der 1993 geborene US-Autor da in den ersten Sätzen seines Debütromans aufstellt, klingt wie geschaffen für eine Komödie oder Sitcom: Gerade, als Mikes Mutter Mitsuko eigens aus Osaka angereist kommt, um ihren Sohn zu besuchen, reist der in die andere Richtung, um sich dort um den todkranken Vater zu kümmern. Diagnose: Bauchspeicheldrüsenkrebs im Endstadium. Und Ben, Mikes Lebenspartner, der als Erzieher arbeitet, bleibt zurück in der winzigen Zwei-Zimmerwohnung und muss sich nun um Mitsuko kümmern; eine abweisende, wortkarge Frau, die er zuvor noch nie gesehen hat, die ihn argwöhnisch beäugt und Ben schnell zu verstehen gibt, dass sie lieber kratzbürstig als freundlich ist: „So, sagte Mitsuko, wie langst schläfst du schon mit meinem Sohn?“
Der Ton ist gesetzt, und Ben weiß: das wird keine einfache Zeit werden. Und so mancher Dialog, prägnant, reduziert und schlagfertig, wie dieser ganze Roman, würde auch gut in eine Sitcom passen:
„Du bist also schwarz, sagt sie. Du hast es gemerkt, sage ich.“
„Dinge, an die wir nicht glauben“ ist allerdings, trotz des hintergründigen Witzes, der Lässigkeit, mit der ein ganzes Bündel ernsthafter Themen behandelt wird, keine banale Wohlfühl-Lektüre. Washington beweist vielmehr Tiefgang und Zeitgenossenschaft, ohne dass er damit prahlen oder sie zur Schau stellen müsste. Vor allem überzeugt er in seinem Debütroman durch die Fähigkeit, mit leichter Hand äußerst verdichtet von der in Langweile und Gewöhnung versackten Beziehung eines schwulen Paares zu erzählen. Da genügen meist wenige Sätze in Washingtons bewusst sachlich-kühlem Tonfall, um tief blicken zu lassen:
„Es kommt dieser Moment, wenn du mit einem zusammen bist, und es ist alles nur noch Reaktion. Ihr habt alles schon gemacht, was zu machen ist. Aber alle Jubeljahre mal fühlen sie sich wie Fremde an, als hieltest du einen Besucher in den Händen. Es ist das erste Mal seit Wochen, dass wir uns küssen, und dann lutsche ich Mike, als er die Knie anhebt. Ich zeige zum Wohnzimmer rüber. Werd erwachsen, sagt er.“
Es ist nicht gut bestellt um diese Beziehung. Dass sich Mike nun nach Osaka abgeseilt hat, von wo seine Eltern einst in die USA ausgewandert waren, um dann wieder nach Japan zurückzukehren, ist eine willkommene Gelegenheit, um – geografisch und emotional auf Abstand – die Partnerschaft auf den Prüfstand zu stellen. Sie hätten auch darüber reden können. Doch Kommunikation ist weder Mikes noch Bens Ding, und auch in ihrer beider Familien schweigt und verschweigt man viel.
Im ersten der drei Romanteile schildert Bryan Washington die Ereignisse aus Mikes Perspektive. Dann wechselt er zu Ben, um das Schlusskapitel wiederum Mike zu überlassen. Diese Wechsel sind ein simpler, aber wirkungsvoller dramaturgischer Kniff. Denn nicht nur gelingt es Washington dadurch, die erlebte Gegenwart der beiden Männer – die langsame Annäherung zwischen Ben und Mikes Mutter in Huston bzw. Mikes Eintauchen in die Lebenswelt des Kneipenbesitzervaters in Osaka – sehr plastisch und unmittelbar miterleben zu lassen. Mit dem Perspektivwechsel verändert sich nämlich auch das Bild, das man sich als Leser:in von den beiden Protagonisten gemacht hat und deckt so Widersprüche, aber auch Gemeinsamkeiten der beiden auf. Und weil das noch nicht genug ist, blendet Washington immer wieder zurück in die Geschichte des Männerpaares und in die ihrer Familien. Das klingt vielleicht etwas unübersichtlich, ist von Washington aber tatsächlich brillant orchestriert.
Warum sich beispielweise seine Eltern einst wirklich getrennt haben, wird Ben erst sehr spät und durch langes Nachbohren erfahren. Dass seine Mutter Ben dazu drängt, sich um seinen alleinlebenden alkoholkranken Vater zu kümmern und vor dem völligen Absturz zu bewahren, wirkt zunächst perfide. Ausgerechnet der Sohn, der sich früher homophobe Sprüche des Vaters anhören musste, soll nun für ihn die Verantwortung übernehmen. Wie sich hier aber eine langsame, wenn auch schwierige Annäherung entwickelt, ist trotz Washingtons nüchterner Erzählweise berührend.
Doch es sind keineswegs verkorkste Vater-Sohn-Konflikte oder (alltags)rassistische Erfahrungen, die Ben und Mike miteinander teilen. In den verschiedenen Zeitebenen spiegeln sich so unterschiedliche Motive wie Familientraumata, schwulenfeindliche Erlebnisse oder das Kochen. (Ja, es gibt sehr viele Beschreibungen von Essenszubereitungen und Mahlzeiten, und selbst die erzählen viel mehr über die Menschen am Herd bzw. am Esstisch, als man zunächst vermuten würde). Und durch die räumliche Trennung fällt von beiden Männern gleichermaßen die einengende Last einer in Routine erstarrten Beziehung. Und sie nutzen beide, wenn auch zögerlich, die Freiheit, sich auf die Aufmerksamkeit und Avancen anderer einzulassen – und sich selbst und die eigenen Bedürfnisse neu bzw. anders wahrzunehmen. Ob diese Erfahrungen der Beziehung den letzten entscheidenden Riss geben oder sie vielleicht dadurch neu definieren, damit sie gestärkt fortgesetzt werden kann, das lässt Bryan Washington offen.
Der Autor schildert dies mit großer Beiläufigkeit und emotionaler Ehrlichkeit. Herkunft, Sexualität, Klasse, Hautfarbe und auch der HIV-Status (Ben ist positiv) sind dabei zwar wichtige Bestandteile der Identität seiner Protagonist:innen, aber ihre Charaktere sind komplexer, als dass sich damit allein ihre Gefühle und ihr Verhalten erklären ließen
„Dinge, an die wir nicht glauben“ ist ein Roman, der einen dazu verleitet, immer wieder Stellen anstreichen. Zum Beispiel einige dieser oft sehr kurzen, geradezu stakkatohaften Miniszenen, in denen sich Witz und Weisheit kongenial verbinden. Oder Dialogzeilen, die fast ein bisschen zu perfekt getimt und schlagfertig sind, um lebensnah zu sein. Es wundert daher nicht, dass der Roman bereits als Fernsehserie adaptiert wird. Dass Bryan Washington selbst daran beteiligt ist, lässt hoffen, dass daraus kein Murks wird. Denn das hätte dieses auf so vielfältige Weise beglückende Buch einfach nicht verdient.
Dinge, an die wir nicht glauben
von Bryan Washington
Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence
Broschur, 384 Seiten, 24,00 €,
Verlag Kein & Aber