Rex Gildo – Der letzte Tanz

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Er sah blendend aus, konnte singen und tanzen, verkaufte 40 Millionen Schallplatten, wirkte in über 30 Filmen mit, und „Fiesta Mexicana“ konnte jedes Kind mitsingen. Rex Gildo war ein deutscher Star, doch dass er und sein Entdecker und Ziehvater Fred Miekley über Jahrzehnte ein Liebespaar waren, wussten nur enge Vertraute. Halb fiktional, halb dokumentarisch erzählt Rosa von Praunheim in seinem neuen Film das Leben der Schlagerlegende als die tragische Geschichte eines Unterhaltungskünstlers, der sich in der repressiven 1950er und 60er Jahren zu einem Doppelleben gezwungen glaubte und auch später nie den Ausbruch aus seinem Versteck wagte. Andreas Wilink fühlt sich bei dem Sujet an Douglas Sirk erinnert, spürt aber auch den unverwechselbaren Rosa-Touch.

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Imitation of Life

von Andreas Wilink

War er nicht zu glatt, zu makellos – wie lackiert? Die Schrammen wurden erst sehr spät sichtbar. War es nicht so, dass – halb bewusst – eine gemeine Lust heranwuchs, dieses Adrette und Blitzsaubere in den Schmutz zu ziehen und besudelt zu sehen? Die Leucht-Stadt München – „Weltstadt mit Herz“, Schauplatz von Helmut Dietls Boulevard-Satire „Kir Royal“ (1986), Wirkungsraum des Modemachers Rudolph Moshammer – scheint ein ideales Pflaster für ein solches Doppelleben (gewesen) zu sein.

Rex Gildo wurde 1936 in Straubing als Ludwig Franz Hirtreiter und als Sohn eines Postschaffners und einer Hausfrau geboren. Der Vater verlässt nach der Kriegsgefangenschaft die Familie, die Mutter erkrankt schwer und stirbt, als der Junge 13 ist, danach zieht der wieder zum Vater und dessen neuer Frau nach München und wird in eine kaufmännische Lehre gedrängt.

Rex strahlt äußerlich, bis hinab zum gekonnten Hüftschwung, in einem bürgerlich gedimmten Elvis-Look. Er ist Traumprinz und das Gegenteil von blond. Von den späten fünfziger Jahren bis weit in die siebziger hinein wird er zum „Bravo“- und Boulevard-Star, produziert Hits, ist Darsteller in mehr als 30 Musik- und sonstigen Filmen, Bühnen- und Gesangspartner von Conny Froboess und Gitte, die später beide ihre Namen entkindlichen, um endlich auch dadurch Ausweis zu haben, dass sie erwachsen sind, und als Cornelia Froboess und Gitte Haenning ernst machen mit ihrem Beruf.

Sein Tod mit 63 Jahren bildet den Ausgangs- und Zielpunkt des semi-dokumentarischen Films von Rosa von Praunheim, der sich – sechs Jahre jünger als der Schlagersänger – erwartungsgemäß keineswegs herausnimmt aus dessen Leben, das auch für bundesdeutsche Nachkriegs-, Mentalitäts- und verhinderte und verheimlichte homosexuelle Emanzipationsgeschichte steht. Er „tanzt“ gewissermaßen mit. Ja, es ist ein Totentanz, der uns gleich auf den Friedhof führt. Praunheim bringt drei Frauen in Schwarz ans Grab ihres Idols: Shakespeare-Hexen, Nornen, Erinnyen, alte Schachteln, Damen vom Grill – dargestellt von Monika Hansen, Eva-Maria Kurz und Christiane Ziehl. Sie trauern, schwärmen, zetern, leugnen, räsonieren sentimental, was es mit ihrem Liebling gewesen sei.

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Die Spielszenen – auch das kennen wir von Rosa von Praunheim – sind als „Nachstellungen“ aufgesteift und hölzern. Was daran Methode, Manier und ästhetische Motivation ist, was Handicap, bleibt im Ungefähren. Betulich von ihm selbst (zusammen mit Nico Woche) geschrieben, kommentiert und erzählt, verkneift er sich seinen provokanten, spontan frechen Witz. Ausschnitte aus Rex Gildos Filmen und von Auftritten, darunter dem ersten Nummer-Eins-Hit „Speedy Gonzales“ (1962) sowie Interviews mit Kolleginnen und Kollegen wie Cindy Berger, Costa Cordalis, Froboess und Haennig (an die Praunheim seine Lieblingsfrage richtet, ob sie je Sex mit Rex Gildo gehabt habe) bleiben etwas schematisch. Aber lassen bei allen Verwunderung darüber spüren, weshalb Rex Gildo sich nie ‚geoutet’ habe.

In den theaterhaft inszenierten Episoden machen wir Bekanntschaft mit dem elastischen Jüngling Ludwig (Kilian Berger), der den älteren Fred Miekley (Ben Becker) kennenlernt, einen ehemaligen Offizier und eine „distinguierte Erscheinung“, wie eine Filmjournalistin sich erinnert, wohingegen Miekley bei der Schauspielerin Vera Tschechowa den unangenehmen Eindruck eines „Erziehers“ hinterlassen hat, während sie in dem begabten Ludwig einen „neuen Nurejew“ gesehen zu haben meint. Mag dies auch zu euphorisch sein, so gilt dennoch: Im Schaugeschäft der Adenauer-Republik wurden künstlerisch kleine Brötchen gebacken. Wem das zu mickrig war, musste hinaus in die Welt, ob Romy Schneider, Hildegard Knef oder Hardy Krüger. Rex Gildo sieht sich gezwungen, Schlagzeilen zu produzieren wie: „Meine Welt dreht sich um Mädchen“. Und ist so konditioniert, mit 30 eine pechschwarze Perücke zu tragen, die weiterhin sein südländisches Flair und seine nicht enden wollende „Fiesta Mexicana“ garantiert und beglaubigt. Miekley lässt sich unter Praunheims Regie-Hand von Ludwig Maß nehmen, lädt ihn zum Essen ein, nimmt ihn an die Hand und zu sich ins Bett, schickt ihn  zur Gesangs-, Tanz- und Schauspiel-Ausbildung, managt ihn. Der Ersatzvater wird sein Lebensgefährte – und bleibt es.

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Die Filmbiografie hätte Stoff geboten für ein Fünfziger-Jahre-Melodram im Stile Douglas Sirks, der in „Imitation of Life“ (1959) das falsche Leben einer von Lana Turner verkörperten Schauspielerin seziert. Das ist aber nicht Praunheim-Stil. Dass er im Kontext von Rex Gildos Schicksal, das vom Tragischen zur Groteske changiert, selbstreferentiell auf die eigene künstlerische und politische Bedeutung rekurriert, ist nicht unangemessen. Er verweist darauf, dass sein Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ von 1971 ein Gründungsdokument der schwulen Emanzipation in Deutschland ist. Für die 68er-Generation und „Gay Liberation“ sind Leute wie Rex Gildo und sein „Onkel“ Fred komische Figuren. Es braucht zwei Jahrzehnte, bis sich der hiesigen Schlager-Nostalgie ein parodie-lustiger Ironie-Faktor beimischt, mit dem sich Rex Gildo nicht anfreunden konnte. Wie auch!

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Es bleibt bei der Vortäuschung – auch dann, als 1969 der Paragraph 175  aus dem Gesetzbuch eliminiert wird. Bei Praunheim sehen wir nun Rex Gildo als eine traurige Gestalt (Kai Schumann), gedunsen, von Alkohol und Tabletten gezeichnet, nach dem Tod Miekleys aus der Balance und außer Façon. Der PR-gewiefte Impresario hatte noch die Alibi-Hochzeit zwischen Rex und seiner Cousine Marion arrangiert. Sie leben unter einem Dach beisammen und separiert: „Hat alles ’passt“, sagt die ehemalige Haushälterin gut bayerisch über die Ehe zu Dritt. Ein junger Privatsekretär und Chauffeur kann in späten Jahren die Leerstelle nicht füllen. Ebenso wenig stützt die Karriere, die auf Jubiläen, Betriebsfeiern, Möbelhaus-Veranstaltungen vor einem zumeist älteren weiblichen Publikum verdämmert.

Ein Sturz oder ein Sprung aus dem Fenster beendet das Leben von Rex Gildo. Panik-Handlung, auto-aggressive Tat oder Versuch, ins Freie zu gelangen? In der Gruft, deren Grabstein nur den bürgerlichen Namen Hirtreiter nennt, liegt er neben Fred Miekley und Marion. Im Tode vor aller Augen vereint, was im Leben nicht sein durfte.




Rex Gildo – Der letzte Tanz
von Rosa von Praunheim
DE 2022, 88 Minuten, FSK 12,
deutsche OF
missingFILMs

Ab 29. September im Kino.

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