Matthias & Maxime

Trailer Kino

Lange mussten die Fans von Xavier Dolan hierzulande auf „Matthias & Maxime“ warten. Nachdem der Film bereits im Mai 2019 in Cannes seine Premiere hatte, kommt er nun endlich in die deutschen Kinos. Dolan erzählt darin von den lange unterdrückten Gefühlen, denen sich die besten Freunde Matthias und Maxime plötzlich stellen müssen. Dolan-Experte Andreas Wilink beschreibt, wie präzise „Matthias & Maxime“ die Stimmung seiner Titelhelden zwischen Hast, Unrast und Wehmut einfängt.

Foto: Cinemien

Auf der Schwelle

von Andreas Wilink

Leicht lässt sich vergessen, wie jung er noch ist, gerade mal 32 und hat – bei einer Bilanz von acht Filmen in zehn Jahren – mindestens drei Meisterwerke gedreht: „Laurence Anyways“ (2012), „Mommy“ (2014) und „Einfach das Ende der Welt“ (2016). Früh reif, nicht frühreif ist der kanadische Hybrid-Kreative Xavier Dolan, der zudem meistens als sein eigener Produzent, Autor, Darsteller, Montagemeister und Kostümdesigner verantwortlich zeichnet.

Film ist Bewegung, 24 Mal in der Sekunde. Das ist seine Wahrheit. So ein Film ist „Matthias & Maxime“ – furios, zügellos, schnell, sprunghaft; und ein bisschen wie durchspült von der einstigen französischen Nouvelle Vague, der Dolan mit einem Hinweis auf Jacques Rivette und ungesagt auf Truffaut, die wussten, dass ein Blick genügt, um die Liebe ausbrechen zu lassen, ein kleines Adieu nachruft. „Matthias & Maxime“ überspringt sogar Film Nr. Sieben: Dolans „The Death and Life of John F. Donavan“ (2018) hat es in die deutschen Kinos nicht geschafft. Das würde in Frankreich kaum passieren, wo Dolan bereits ein halbes Dutzend Mal auf den Croisette von Cannes zu Gast war.

Aus ähnlicher Nervosität heraus und in hektischer Multiperspektivität wie Dolan „Matthias & Maxime“ hatte Patrice Chéreau sein fiebriges Requiem „Wer mich liebt, nimmt den Zug“ (1998) gefilmt. Außer Atem. So fängt auch Dolan an: zwei junge Männer, Matt und Max, auf einem Laufband im Fitnessstudio. Ihre Füße rennen, aber sie kommen nicht vom Fleck. Das scheint den Status ihrer Freundschaft seit Kindertagen zu spiegeln. Dann stehen sie mit dem Auto im Stau, bevor sie auf freier Strecke fahren. Die gelbe Fahrbahn-Markierung gibt den Weg vor: eine durchgezogene Linie, eine Trennlinie. Auch das kennzeichnet die Beziehung von Maxime Leduc und Matthias Ruiz – bislang.

Für Max’ Gegenwart hat der Countdown begonnen, wenige Tage noch und er verlässt seine Heimat, um für zwei Jahre nach Australien zu ziehen. Die gemischte Stimmung aus Hast, Unrast und Wehmut des Aufbruchs nimmt der Film auf. Und gibt keine Ruhe: Super-8-Bilder, Split-Leinwand, Reißschwenks, Handkamera, Zeitraffer. Springlebendiger, alberner Übermut, sprudelnde Dialoge, Lust aus allen Poren, das Leben – eine laute Party. Max und Matt gehören zu einer Clique, die sich eher wie ein Welpen-Rudel verhält. Eine Geschichte der Splitter und Fragmente, des Unsteten und Instabilen. Eine einzige Suchbewegung, als könne die Kompassnadel keinen Halt finden. Offensiv unsentimental.

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Irgendwann wird Max in einer Schublade von Matts Mutter Francine eine Zeichnung des siebenjährigen Freundes sehen: getitelt „Der Hof von Matthias & Maxime“, in der Matt sich die Fantasie gemeinsamer Zukunft ausgemalt hat. Kinderhand tut Wahrheit kund. Kann Max in letzter Sekunde seine Entscheidung zurücknehmen?

Der Zuschauer hat höchstens die Ahnung, die Geschichte würde eine Zielrichtung haben, auch wenn das, was geschieht, sich im Kreise zu drehen scheint und wie in einer Wiederholungsschleife windet – in Erwartung des Einen und Eigentlichen: eines Zeichens, Bekenntnisses, Ereignisses. Einer Gewähr im Ungewissen. Insofern wohnt dem Film etwas Transitorisches inne. Sein geheimer Standort ist die Schwelle.

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Wir sehen weniger fest umrissene Charaktere, als in Xavier Dolans früheren Filmen; vielleicht sind Max und Matt am ehesten verwandt mit Tom und Francis in dem Hitchcock-artigen Thriller „Sag nicht, wer du bist!“ von 2013, dem freilich keine Idee Dolans, sondern ein Stück von Michel Marc Bouchard zu Grunde liegt, das der Filmemacher als Drehbuch adaptiert hat. Max wird gespielt von Dolan, den zwar noch die irisierende Aura des Twens umgibt, der hier aber nicht im Glanz des von sich selbst Berauschten leuchtet. Nur die Musik – für deren Einsatz, Wechselstrom-Stimmung und dramaturgische Präsenz Dolan seit jeher besonderes Gespür hat – feiert vibrierend die Emotion von Pop-Hymnen bis zu den gloriosen Spitzentönen einer Mozart-Sinfonie.

„Matthias & Maxime“ ist ein Film der Männer, während Mütter-Frauen palavern, soubrettieren, in ihren adretten Kostümchen nerven – und verlassen werden. Das bürgerliche Regiment, das bürgerliche Modell, aus dem die jungen Dolan-Helden ausbrechen, an dem sie verzweifeln oder drohen zugrunde zu gehen, um sich in eine eigene Anomie oder ins Exzentrische zu katapultieren und in der Künstler-Bohème Obdach zu finden, ist freilich selbst bereits in sich familiär angeknackst, sozial brüchig und emotional bankrott. Auch hier.

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Max – rotes Feuermal auf der Wange, über und über tätowiert – kommt aus dem gesellschaftlichen Randbezirk: einmal mehr eine vaterlose, wenig intakte Familie, gerade keine „Heilige Familie“, wie eine Werbetafel verheißt, auf die Max’ Blick einmal kurz abschätzig verharrt; und wiederum auch eine fatale Mutter-Sohn-Beziehung. Maman war drogensüchtig, ist nun clean, aber braucht Betreuung. Ein Abhängigkeitsverhältnis, aus dem Max, der Drifter, sich lösen will.

Max jobbt in einer Bar und ist zu schön, um sich liebenswert zu finden. Aber er weiß, was er will – und wen. Der virile Matt lebt – in seiner heterosexuellen Beziehung, in seinem smarten Anzug-Job und all dem Normativen – wie unter Vakuumverschluss, vergräbt seine Gefühle, bevor er nach ihnen schürft und fündig wird. Max spürt genau, dass sich hinter der Unsicherheit und Unbeholfenheit Matts Abwehr verbirgt, die ihn sagen lässt „Das sind nicht wir“, als sie die Lust und Sehnsucht überwältigt. Und dass seine Aggressivität, wenn er Max das böse Wort „Du Tintenfleck“ anheftet oder eine Rauferei anfängt, etwas Anderes bedeutet. Begehren bleibt das große Thema von Xavier Dolan. Aber das Begehren, schreibt Judith Butler, „überlebt manchmal nur, wenn es der Anerkennung entkommt“.




Matthias & Maxime
von Xavier Dolan
CA 2019, 119 Minuten, FSK 12,
französische OF mit deutschen UT und DF,

Cinemien

Ab 29. Juli im Kino.

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