Look Me Over – Liberace
Trailer • Kino
Er war die erste Las-Vegas-Ikone, Prunk-Pianist und Idol für Millionen: Liberace! „I’m a one-man-Disneyland!“ Getreu dieser Maxime wuchsen seine schillernden Shows und schmalzig-poppigen TV-Auftritte ins Unermessliche – meterlange schneeweiße Chinchilla-Mäntel, pompöse Nerz-Stolen und kiloweise Brillantschmuck inklusive. Kein anderer Künstler kultivierte schwule Selbstinszenierung derart glitzernd auf der großen Bühne, doch öffentlich stritt Liberace seine Homosexualität stets vehement ab. In „Look Me Over – Liberace“, der ab 5. August im Kino zu sehen ist, begibt sich Jeremy J.P. Fekete auf die Suche nach dem Menschen hinter der Maskerade. Axel Schock ist vor allem von den elegischen Bildern und der exquisiten Sammlung an Archivmaterial und Devotionalien begeistert.
King of Bling
von Axel Schock
Seinen Beinamen „Mr. Showmanship“ hat er sich redlich verdient. Spektakulärer als Liberace lässt sich eine Bühne kaum betreten. Genau genommen hat Liberace sich dorthin chauffieren lassen, standesgemäß in einem weißen Rolls Royce. Der Fahrer, stets jung und blond und in einer maßgeschneiderten Fantasieuniform, öffnete ihm die Tür und sorgte dafür, dass die sechs Meter lange Schleppe des Chinchilla-Pelzmantels in seiner ganzen Pracht zur Geltung kam.
Liberaces Outfits waren eine Orgie aus Strass, echten wie falschen Diamanten, sein Lächeln so breit, dass man es für falsch halten müsste. Aber sein überwiegend weibliches Publikum war nicht nur verzückt von seinem durchinszenierten Charme, sondern mindestens genauso auch von all diesem Bling-Bling: den silbernen Kandelaber auf seinen diversen, eigens angefertigten Konzertflügeln (mal gläsern, mal mit Blattgold verziert), den bis zu 50 Kilo schweren Kostümen und nicht zu vergessen den fetten Klunker an fast jedem Finger seiner Hände.
„Schauen Sie sich die nur gut an“, pflegte Liberace sein Publikum zu animieren und streckte ihnen dabei die geknickten Handgelenke entgegen. „Sie haben sie schließlich bezahlt.“ Auf dem Höhepunkt seiner Karriere in den 1960er und 70er Jahren verdiente Wladziu Valentino Liberace zeitweilig mehr als Elvis Presley und die Beatles, er gab Exklusivkonzerte für die Queen und den Papst.
Aus heutiger Warte lässt sich kaum erklären, wie die Millionen Fans und Besucher:innen seiner extravaganten Fernseh- und Las-Vegas-Shows auf die Idee gekommen sein könnten, dieser klavierspielende und plaudernde Entertainer sei heterosexuell. Ein Paradiesvogel, der so ziemlich alle schwulen Klischees nicht nur auf sich vereinte, sondern sie in Potenz verkörperte und Harald Glööckler oder Rudolph Moshammer vergleichsweise spießbürgerlich erscheinen lässt.
In den USA ist Liberace fest in die Kultur- und Popgeschichte eingeschrieben, in Europa lernten viele ihn erst durch den biografischen Spielfilm „Liberace – Zu viel des Guten ist wundervoll“ (2013) kennen. Steven Soderbergh hatte darin den Fokus auf Liberaces langjährige Beziehung mit seinem 40 Jahre jüngeren Chauffeur und Lebensgefährten Scott Thorson gelegt – sowie seine lebenslangen, verzweifelten wie aussichtlosen Bemühungen, eine heterosexuelle Fassade aufrechtzuerhalten. Und wäre Liberaces Wunsch in Erfüllung gegangen, hätte die Öffentlichkeit auch nie erfahren, dass es die Folgen von Aids waren, woran er 1987 verstarb.
Die Lebensgeschichte Liberaces, seine steile Karriere, die mit seiner ersten TV-Show 1952 einsetzte, die Perfektion seiner Selbstinszenierung, den opulenten und exzentrischen Las-Vegas Shows – das alles wird in „Look Me Over – Liberace“ eher beiläufig erzählt. Die Macher der Fernsehdokumentationen zu Liberace, die zu seinen Lebzeiten bzw. unmittelbar nach seinem Tod entstanden sind, konnten noch die wichtigsten Weggefährten vor die Kamera holen. Viele von ihnen sind heute verstorben oder hochbetagt.
Das klingt nach einer eher schlechten Ausgangslage und doch ist Jeremy J. P. Fekete mit „Look Me Over – Liberace“ ein nicht nur abend-, sondern auch leinwandfüllender Kinodokumentarfilm gelungen. Das liegt unter anderem an elegisch-schönen Bildern, die Fekete auch schon für seine vielfach prämierten Fernsehfilme von architektonischen Highlights wie Fernbahnhöfen („Bahnhofskathedralen“) und Autotankstellen („Tankstellen des Glücks“) geschaffen hat. Für seine Annäherung an Liberace konnte der Schweizer Dokumentarfilmer nicht nur an vielen Originalschauplätzen, insbesondere in einigen von Liberaces Villen drehen. Er hat diese Orte auch für atmosphärische Szenen genutzt: Ein Typ im lässigen Cowboylook, der durchaus in Liberaces Beuteraster gefallen wäre, fährt im hochglanzpolierten Straßenkreuzer Liberaces mit Kitsch und Antiquitäten vollgestopfte Pracht-Bauten ab. In seinem markantesten Domizil in Palm Springs tummeln sich junge Männer in einem Pool in Form eines Flügels samt schwarzweißer Tasten am Beckenrand.
Man könnte meinen, dass Fekete mit diesen sonnendurchfluteten Bildern aus Kalifornien und Nevada davon ablenken möchte, dass die meisten seiner Interviewpartner:innen wie das letzte Aufgebot an Zeitzeug:innen erscheinen. Menschen aus der zweiten Reihe in Liberaces Leben wie etwa das Liberace-Double Daryl Wagner, der in „Stars in Concert“-Shows „Mr. Showmanship“ zum Leben erweckt. Steve Garey, der in Liberaces Anwesen das Gästehaus gemietet hatte. Oder der Pianist Jere Ring, der in jungen Jahren von Liberace protegiert wurde, aber es zu vermeiden weiß, sich konkret über auf sexuelle und berufliche Abhängigkeiten zu äußern (Nur ssoviel: „Ich war jung, süß, attraktiv, blond und hatte alles, worauf er stand“). Fekete holt selbst Menschen aus der nachkommenden Generation vor die Kamera, wie die Töchter von Liberaces Schönheitsoperateur, die in die Fußstapfen ihres Vaters getreten sind. Oder Justin Ayars, ein Entrepreneur der LGBT-Businesswelt, für den Liberace gewissermaßen Teil der Familie war, da der Vater die Las-Vegas-Shows musikalisch leitete.
Um die wichtigsten Stationen der Karriere und des öffentlichen Lebens nacherzählen zu können, konnte Fekete auf reichlich dokumentarisches Filmmaterial, aber auch auf exquisite Devotionaliensammlungen zurückgreifen. So gibt es nicht nur befremdliche Szenen aus Liberaces ersten Fernsehshows, in denen die über alles geliebte Mutter von Liberace angesungen wird, während diese stocksteif auf dem Sofa sitzt. Es wird auch in Klatschmagazinen geblättert, in denen unverhohlen über die Sexualität des Entertainers spekuliert wird („Liberace’s theme song should be ‚Mad About the Boys‘“). Später, als er seinen Lebensgefährten wegen seiner Drogensucht aus dem Haus und aus seinem Leben geworfen hat und den wohl ersten „schwulen“ Unterhaltsstreit vor einem US-Gericht ausficht, ist das Gerücht um Liberaces Homosexualität bis in die TV-News vorgedrungen.
Die Chronologie der Ereignisse tritt in „Look Me Over – Liberace“ jedoch in den Hintergrund. Fekete versucht vielmehr zu ergründen, ob es überhaupt möglich ist, zwischen der Kunstfigur und der Privatperson Liberace zu unterscheiden. Und tatsächlich erweist sich die zum Teil illustre, zum Teil überraschende Auswahl seiner Protagonist:innen bisweilen als spannende Gruppe von Erzähler:innen. Fekete konnte ihnen erhellende Erlebnisse, Anekdoten und Blicke hinter die Fassade Liberaces entlocken, die sich zu einem vexierhaften Psychogramm eines von Widersprüchen geprägten Menschen zusammenfügen.
Da ist der Liberace, der sich einerseits als höchst spendabel und großzügig erwies, und deshalb von Freunden und Leuten, die sich als solche ausgeben, schamlos ausgenutzt wurde. Andererseits ließ er Menschen wie seinen drogenabhängigen Partner und seinen alkoholkranken Bruder gnadenlos fallen, wenn sie in seinen Augen zu wenig Ehrgeiz zeigten und sich gehen ließen. Er fand als strenggläubiger Katholik sogar eine praktikable Lösung, wie er schwulen Sex genießen und ausschweifend leben konnte. „Er hatte in all seinen Häuser eine kleine Kapelle, in denen er kniend betete“, erzählt Steve Gary. „Danach ist er in die Bars und Saunen gezogen. Er bat um Verzeihung für das, was er anschließend tun würde.“ Als 1984 bei ihm Aids diagnostiziert wurde, empfand Liberace die Erkrankung als Rache Gottes für seinen Lebensstil. Kaum hatte er seinen letzten Atemzug getan, machte sich seine Entourage auch schon über die Schmuckschatullen her.
Sein Publikum liebte Liberace für all den Glitzer und Glamour, seinen Narzissmus, den zur Schau gestellten Reichtum und seinen teuren, aber letztlich schrecklich schlechten Geschmack. „Look Me Over – Liberace“ zeigt zwar auch die ganze Tragik, den Selbstbetrug und Egoismus, der sich Backstage im Leben Liberaces abspielte, und vieles, das die Interviewpartner:innen berichten, ist alles anders als schmeichelhaft für ihn. Und doch schwingt immer auch eine große Bewunderung, bisweilen auch Verehrung und Liebe mit. „Wenn man die ganzen Pailletten wegnimmt, die Kostüme, den Glitzer, den Lebensstil, die Autos“, sagt Liberaces musikalischer Leiter Bo Ayas, „dann bleibt ein Typ übrig, der einfach verdammt gut Klavier spielen konnte.“
Look Me Over – Liberace
von Jeremy J.P. Fekete
DE 2020, 90 Minuten, FSK 12,
englische OF mit deutschen UT,
Salzgeber
Ab 5. August hier im Kino.