Literatur

Alan Hollinghurst: Der Hirtenstern

Alan Hollinghurst: Der Hirtenstern

Seit Erscheinen seines ersten Romans „Die Schwimmbadbibliothek“ im Jahr 1988 gilt Alan Hollinghurst als einer der wichtigsten Chronisten der britischen Gesellschaft. Die Beschreibung schwuler Lebensrealitäten war von Anfang an ein zentrales Thema seiner Bücher. Für „Die Schönheitslinie“ erhielt Hollinghurst 2004 den renommierten Booker Prize. Auf die Booker-Prize-Shortlist schaffte es 1994 bereits sein zweiter Roman „The Folding Star“ – und wurde damals trotzdem nicht ins Deutsche übersetzt. Ein Versäumnis, das nun nachgeholt wurde: „Der Hirtenstern“ ist jüngst im Albino Verlag erschienen. Tobias Völker hat sich in das 600-Seiten-Werk vertieft und dabei nicht nur ein großes Panorama menschlicher Leidenschaften entdeckt, sondern auch den intimsten aller Hollinghurst-Romane.
Rudi Nuss: Die Realität kommt

Rudi Nuss: Die Realität kommt

Welche Zukunft, welche Identität, welches Dasein wollen wir leben? Im Debütroman des Berliner Lesebühnen-Chamäleons Rudi Nuss gibt es auf diese Fragen tausend und keine Antwort. Die Geschichte um Erzähl-Ich Conny ist weniger eine stringente Erzählung als ein unerschöpfliches Feuerwerk aus skurrilen Ideen, verschrobenen Charakteren und verblüffenden Wendungen. Dass dabei Geschlechtermodelle über den Haufen geworfen werden, ist noch der vorhersehbarste Kunstgriff im mal surrealen, mal hyperrealen Ideenkosmos des queeren Geistes Rudi Nuss, dessen Herkunft auf seiner Website mit folgenden Worten umrissen wird: „Seine Familie hat den größten Teil ihres Lebens an einem der größten und schönsten Atomkraftwerke Russlands gelebt.“ Anja Kümmel strahlt jedenfalls mit.
Kim Hye-Jin: Die Tochter

Kim Hye-Jin: Die Tochter

Entfremdung, Generationenkonflikte, Homophobie – das sind die Themen von „Die Tochter“, der jüngsten Literatur-Sensation aus Südkorea. Kim Hye-Jin erzählt in ihrem Roman vom Alltag einer traditionsbewussten Sechzigerin, die ihr kleines Haus in Seoul notgedrungen mit ihrer lesbischen Tochter und deren Freundin teilen muss. Die Autorin formt aus dem  Aufeinandertreffen der drei grundverschiedenen Frauen vor allem eine sensible Charakterstudie der Mutter. Anja Kümmel über einen Roman, der Leser:innen aufgrund seiner provokanten Erzählperspektive einiges abverlangt, die Widersprüche innerhalb der südkoreanischen Gesellschaft aber umso deutlicher macht.
Garth Greenwell: Reinheit

Garth Greenwell: Reinheit

Nach seinem gefeierten Debütroman „Was zu dir gehört“ lässt US-Autor Garth Greenwell seinen autobiografisch geprägten Ich-Erzähler erneut durch die sexuellen und emotionalen Untiefen des schwulen Lebens in der bulgarischen Hauptstadt Sofia geistern – diesmal im Erzählband „Reinheit“, der in der deutschen Übersetzung von Daniel Schreiber bei Claassen erschienen ist. Greenwell selbst sagt über das Buch, er habe etwas schreiben wollen, das gleichzeitig „hundert Prozent pornografisch und hundert Prozent hohe Kunst“ sei. Tilman Krause schätzt ein, inwieweit das gelungen ist, und enthüllt zugleich den verletzlichen Kern des Textes, den viele Kritiker im Angesicht seiner Drastik aus dem Blick verlieren.
Julian Mars: Was wir schon immer sein wollten

Julian Mars: Was wir schon immer sein wollten

Nach „Jetzt sind wir jung“ und „Lass uns von hier verschwinden“ erzählt Autor Julian Mars auch in „Was wir schon immer sein wollten“ von seinem Antihelden Felix, der mittlerweile 30 ist, und von dessen schwuler Suche nach Sex, Liebe und Identität ohne Selbstverleugnung. Unsere Autorin Can Mayaoglu ist in Felix’ Geschichte abgetaucht und findet, dass im dritten Teil der Romanreihe sowohl Autor als auch Hauptfigur bei sich selbst ankommen.
Tobi Lakmaker: Die Geschichte meiner Sexualität

Tobi Lakmaker: Die Geschichte meiner Sexualität

Mit 17 plant Sofie eine „solide Entjungferung“ mit Walter. Einige Jahre später hat sie es aufgegeben, die Frau zu werden, die andere in ihr sehen. Sie trägt die Haare raspelkurz, schwärmt für Jennifer, Muriel und Frida. Wie Sofie fast zum Star der lesbischen Community von Amsterdam wird, unter heftiger Verliebtheit leidet und doch darum ringt, andere nah an sich heranzulassen, erzählt Tobi Lakmaker in seinem Debütroman „Die Geschichte meiner Sexualität“. Er schreibt von den Räumen zwischen Weiblichkeit und Männlichkeit, von queerer, fluider und Trans-Identität – und von wahrer Intimität, die dort beginnt, wo wir alle Kategorien vergessen. Anja Kümmel über einen (Nicht-)Roman, der immer dann am besten ist, wenn er melancholische Risse in der ironischen Distanziertheit zulässt.
Thomas Savage: Die Gewalt der Hunde

Thomas Savage: Die Gewalt der Hunde

Das queere Westerndrama „The Power of the Dog“ von Jane Campion ist aktuell für zwölf Oscars nominiert. Bevor am Sonntag die Preisträger:innen bekannt gegeben werden, blicken wir auf die die Buchvorlage „Die Gewalt der Hunde“ von Thomas Savage aus dem Jahr 1967, die im Dezember erstmals auf Deutsch erschienen ist. In der Welt des alten Wilden Westens erzählt Savage von unterdrückter Homosexualität, Selbsthass und Rache. Tilman Krause ist begeistert von der erzählerischen Wucht des Romans und seiner meisterhaft gezeichneten Figuren.
Kaśka Bryla: Die Eistaucher

Kaśka Bryla: Die Eistaucher

Iga, Jess und Ras sind Außenseiter:innen in ihrer Klasse, doch gemeinsam bilden sie eine verschworene Truppe: die Eistaucher. Als die Jugendlichen eines Nachts einen polizeilichen Übergriff beobachten und die Tat folgenlos bleibt, nehmen sie das Recht in die eigenen Hände. Zwanzig Jahre später taucht ein geheimnisvoller Fremder auf, der von dem damaligen Racheakt zu wissen scheint ... Kaśka Bryla („Roter Affe“) geht in ihrem zweiten Roman „Die Eistaucher“ den Ursachen von Radikalisierung nach und verbindet ihre Suche mit einem Plädoyer für Solidarität und Liebe. Gabriel Wolkenfeld über eine queere Geschichte, die sogar einen Gegenentwurf zu klassischen Jugendromanen in sich trägt.
Dennis Cooper: Die Schlampen

Dennis Cooper: Die Schlampen

Der gänzlich aus fiktiven Web-Einträgen, E-Mails und protokollierten Telefonaten bestehende Roman „Die Schlampen“ von Dennis Cooper aus dem Jahr 2004 ist erstmals in deutscher Sprache erschienen. Der kalifornische Autor entwirft darin ein Gedankenspiel um Fantasien und Identitäten, um Wahrheit und Lüge, um Abhängigkeiten und extreme Formen von Liebe und Sexualität. Anja Kümmel hat sich in dessen düstere Gedankenwelt vorgewagt – und genoss die virtuose Verschachtelung und die ironischen Spitzen.
Carmen Maria Machado: Das Archiv der Träume

Carmen Maria Machado: Das Archiv der Träume

In „Das Archiv der Träume“ erzählt Carmen Maria Machado die Geschichte eines Heranwachsens im ländlichen, religiös geprägten Amerika – und die Geschichte einer toxischen lesbischen Beziehung. Dem oft tabuisierten Thema des emotionalen und psychischen Missbrauchs in einer Paarbeziehung nähert sie sich mit zahlreichen popkulturellen Bezügen. Anja Kümmel über eine mutige, intime und zugleich sehr aufschlussreiche Collage queerer Erfahrung.