Hurry Up and Wait

Buch

2021 war die ARD-Serie „Eldorado KaDeWe“ eines der queeren TV-Ereignisse des Jahres. Lia von Blarer und Valerie Stoll spielten darin das lesbische Paar Fritzi und Hedi. Jetzt sind die beiden Darstellerinnen unter die Herausgeberinnen gegangen: Ihr Bildband „Hurry Up and Wait“ setzt einerseits „Eldorado KaDeWe“ ein Denkmal und macht andererseits auf die prekäre Situation von LGBTIQ* in Ungarn aufmerksam. Unsere Autorin Can Mayaoglu hat sich das Buch genau angesehen und sich von Lia von Blarer persönlich erklären lassen, wie es zu dem Projekt kam.

Eldorado Ambiguität

von Can Mayaoglu

Um die Bedeutung des Bildbandes „Hurry up and Wait“ zu erfassen, müssen wir in der Zeit zurückgehen und das Medium Buch noch mal kurz gegen das Medium Film eintauschen: „Eldorado KaDeWe“ wurde im Dezember 2021 ausgestrahlt und spielt in den 1920er Jahren. In der ARD-Miniserie begleiten wir eine Gruppe von Freund:innen, die durch Berlin tanzen, das Leben auskosten und sich darin zu behaupten versuchen. Im Mittelpunkt der Erzählung steht die Liebe zweier Frauen, die auf den ersten Blick kaum unterschiedlicher sein könnten: hier die aufmüpfige Fritzi aus wohlhabendem Hause (Lia von Blarer), dort die aus ärmlichen Verhältnissen stammende Hedi, die sich für eine zusätzliche Ration Essen auch mal entblößt (Valerie Stoll). Die beiden lernen sich kennen und lieben im legendären KaDeWe, das zu diesem Zeitpunkt noch Fritzis Familie gehört. Später wird es enteignet werden. Es sind die letzten Jahre vor der Zäsur durch die Machtergreifung durch die Nationalsozialisten.

„Eldorado KaDeWe“ wurde in Berlin, zu großen Teilen aber auch in Budapest gedreht. Im Jahr 2021, während das ungarische Parlament gerade ein Gesetz verabschiedete, das die Darstellung von Homosexualität gegenüber Minderjährigen verbietet und umgangssprachlich inzwischen als „Anti-Pädophilen-Gesetz“ bezeichnet wird. Die Situation beim Dreh in Budapest war also insofern skurril, dass „drinnen“ eine Zeit verfilmt wurde, in der die systematische Verfolgung von Menschen aufgrund ihrer Religion und sexuellen Identität ihre Schatten vorauswarf, während fast hundert Jahre später „draußen“ dasselbe passierte.

Im Telefoninterview erzählt Lia von Blarer, die die Rolle der lesbischen Jüdin Fritzi spielt, dass sie schon vor dem Dreh intensiv darüber nachgedacht habe, wie sie damit umgehen sollte, in einem Land zu arbeiten, in dem eine offen homophobe und antisemitische Regierung amtierte. Ihr sei sehr klar gewesen, dass „aus meinem inneren Konflikt, eine lesbische Liebe in einem Land mit homophober Regierung zu drehen, etwas eigenständig Künstlerisches entstehen musste“. Die Idee zu „Hurry Up and Wait“ erwuchs also aus dem originären Drang, aktiv ein Zeichen gegen Ressentiments und Homophobie zu setzen. Dabei sei es ihr und Valerie Stoll wichtig gewesen, so von Blarer, kein Buch zu machen, dass von außen auf die ungarische Szene draufblickt, sondern eines, in dem die Menschen vor Ort für sich selbst sprechen. Die Textebene sollte queeren Autor:innen gehören.

Lia von Blarer, Joel Basmann, Valerie Stoll und Damian Thuene (von links nach rechts ) bei den Dreharbeiten zu „Eldorado KaDeWe“ in Budapest – Foto: Lia von Blarer

So entstand das Konzept für einen Bildband mit Fotos, die am Rande der Dreharbeiten entstanden und die Schauspielenden in ihrer Filmblase zeigen, denen aber Gedichte, Essays und Berichte queerer Menschen gegenübergestellt sind, die die Zustände im heutigen Ungarn nachvollziehbar machen. Eine wunderbare Methode, das gespielte Damals mit dem realen Jetzt zu verbinden.

Von Blarer und Stoll fanden die Autor:innen der Texte, indem sie sie über Social Media anschrieben und offene Aufrufe posteten. Eine weitere Quelle war das Collegium Hungaricum in Berlin, das als Teil des Netzwerkes ungarischer Kulturinstitute den kulturellen und wissenschaftlichen Austausch zwischen Deutschland und Ungarn fördert. Sie habe sich gefreut, so von Blarer, dass es so etwas wie das Collegium Hungaricum in Berlin gebe. Und die Feldforschung war sehr ergiebig. Die im Buch allesamt auf Englisch abgedruckten Texte zeugen einerseits von einem mitreißenden Kampfgeist („we / will not be oppressed / and we / will wave the Rainbow flag fearlessly…we / will always be here / because we / have always been here“ – Marcell Bárdos), aber auch von Erschöpfung bis hin zu dem Punkt, an dem nichts mehr geht („Sorry, I am not an activist anymore.“ – Anonymous)

Beim Durchgehen des Bandes schwankt man zwischen der Lebendigkeit der Fotos, dem bunten Durcheinander und den stillen Momenten, die so ein Dreh mit sich bringt, und den Texten, die berühren, aufwühlen und oft lange nachwirken. Die Fotos zu betrachten, die die Schauspielenden alle selbst gemacht haben (was die Frage nach den Veröffentlichungsrechten vereinfachte), hat etwas hinreißend Melancholisches. Genauso fühlt es sich an, wenn man im Bücherregal von Freund:innen nach Fotoalben greift und deren Leben aus der Ferne betrachtet. Beim Durchblättern entsteht dieses undefinierbare Gefühl des Nicht-wirklich-dabeigewesen-seins-aber-doch-alles-irgendwie-miterlebt-habens. Durchbrochen wird dieses Gefühl von den Texten, die die Wirklichkeit spiegeln, die aufwühlen und wachrütteln, als wollten sie sagen: Hör auf zu träumen, dies ist das bittere Jetzt. Es klappt also sehr gut, was von Blarer sich von dem Projekt erhofft: „Im besten Falle schafft das Buch ein Gefühl für die Ambiguität unserer Zeit.“

Dass der Wachrüttel-Effekt des Bandes auch für Deutschland Relevanz hat, zeigten nicht zuletzt die Reaktionen auf „Eldorado KaDeWe“. So erzählt Lia von Blarer, dass Interviews mit der Regisseurin Julia von Heinz (die ein Nachwort zu „Hurry up and Wait“ beigesteuert hat) teilweise mit der Begründung abgesagt wurden, dass diese Serie nicht zumutbar sei. Überhaupt sei sie erschrocken gewesen darüber, was von Heinz via Social Media alles habe einstecken müssen.

So ist „Hurry up and Wait“ das bemerkenswerte Werk zweier Frauen, die beschlossen haben, jenen Stimmen zu einem Forum zu verhelfen, die in ihrem eigenen Land mundtot gemacht werden. Das Buch ist ein Statement, ein Plädoyer fürs Leben und Lebendigsein, aber auch ein Aufruf nicht wegzusehen und Solidarität zu zeigen. Mit den Erlösen der Buchverkäufe wird die Arbeit von Budapest Pride unterstützt. Somit: Gehet hin und kaufet, denn hier sind wir alle gefragt. Dieses Buch ist nicht weniger als eine Chance, Farbe zu bekennen.




Hurry Up and Wait
hrsg. von Lia von Blarer & Valerie Stoll
Softcover, 224 Seiten, € 32
Verlag Kettler

 

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