Prinz in Hölleland
Trailer • DVD/VoD
Kreuzberg, Anfang der 1990er. Jockel und Stefan sind ein schwules Paar, leben auf dem Bauwagenplatz und gehen beide auch mal mit Micha ins Bett. Jockel hat gerade das Heroin entdeckt – und verliert zwischen Highsein und Entzugserscheinungen allmählich Stefan und die Freiheit aus den Augen. Und dann ist da auch noch der Narr Firlefanz, der vom Prinz in Hölleland erzählt, von einem schönen Müllersbuschen und von einem bösen weißen Pulver. Der Debütfilm von Michael Stock („Postcard to Daddy“) ist ein Märchen ohne Happy End und zeigt die raue Wirklichkeit eines längst verschwundenen West-Berlins der Wendejahre und seiner linksautonomen Gegenwelt. 30 Jahre nach seiner Uraufführung erscheint Stocks legendärer Szenefilm jetzt in digital restaurierten Fassung als DVD und VoD. Axel Schock geht mit dem Film auf Zeitreise.
Die Hölle und wir
von Axel Schock
Um in der Hölle zu landen, muss man weder gläubig noch tot sein. Die Hölle ist auch sehr gut im Diesseits und unter Lebenden zu finden. In Michael Stocks Debütfilm ist sie im Kreuzberg rund um den U-Bahnhof Kottbusser Tor verortet, inmitten der dortigen Drogen- und Hausbesetzer:innen-Szene. Die Berliner Mauer ist bereits Geschichte, die Spuren der Teilung sind jedoch noch lange nicht weggentrifiziert. Noch gibt es zwischen den heruntergekommenen Mietshäusern jede Menge Brachland und Freiräume – und Platz für alternative, linke Lebensmodelle. So wie in „Prinz in Hölleland“ die in einer linksautonomen Bauwagenburg angesiedelte fragile und letztlich zum Scheitern verurteilte schwule Dreiecksbeziehung.
In der Verachtung des kapitalistischen Systems und seiner Mechanismen ist man sich einig. Doch beim Verständnis der ganz individuellen Freiheit klaffen die Vorstellungen von Stefan und Jockel schon eine ganze Weile auseinander. Stefan wünscht sich Treue und Verbindlichkeit in seiner Beziehung. Für „unpersönliche Orgasmen“ ist er nicht zu haben. Seinen Lebensgefährten Jockel jedoch treibt es hinaus, er will genau diese Form der sexuellen Freiheit ausleben.
Sind diese zwei Typen, die Jockel und Stefan von einem Auto heraus beobachten Zivilfahnder? Oder doch nur Lederkerle? Jockel lässt es drauf ankommen. Sie folgen ihm tatsächlich in einen Altbaukeller und Jockel lässt sich von den beiden Männern mit Lust und Glückseligkeit in den Augen benutzen. Stefan steht währenddessen auf der Straße Schmiere. Oder wartet einfach nur, bis es vorbei ist.
Auch wenn Stefans Liebe für Jockel und seine Fürsorge für ihn noch so groß sein mag – ihre Beziehung hat da bereits tiefe Risse. Dass beide parallel mit dem Schweizer Wagenburg-Bewohner Micha eine Affäre beginnen, erscheint auf den ersten Blick wie ein versöhnender Kompromiss, mit dem diese unterschiedlichen Bedürfnisse erfüllt und die brennende Eifersucht überdeckt werden könnten. Doch die Abwärtsspirale ist damit nicht mehr aufzuhalten. Dass sie gemeinsam durch die Straßen Kreuzbergs ziehen, um Plakate zu kleben, die vor Heroindealern im Kiez warnen, muss Stefan im Nachhinein grotesk erscheinen – denn Jockel hängt längst selbst an der Nadel.„Prinz in Hölleland“, vor ziemlich genau 30 Jahren gedreht, wirkt heute in vielfacher Hinsicht aus der Zeit gefallen. Das Debüt des damals 25-jährigen Michael Stock spielt an Orten, die durch die städtebaulichen und stadtpolitischen Entwicklungen längst verschwunden sind, und mit ihnen – bis auf wenige Ausnahmen – auch die Versuche autonomer Wohnprojekte und alternativer, nichtkommerzieller (schwuler) Lokale wie das legendäre „Café Anal“. In dieser trashig-glitzernden Bar sitzen queere Punks, Anarchos und Tunten einträchtig beim Bier und die damals kaum bekannte Andreja Schneider – sie wurde quasi nach Drehschluss festes Ensemblemitglied der Geschwister Pfister – raunzt mit butch-aggressiver Attitude ein „Chanson vom Trinken“.
Denn parallel zum Liebes- und Drogendrama um Jockel, Micha und Stefan erleben wir ein Puppentheaterspiel – dargeboten von einem mittelalterlich kostümierten, halbnackten Hofnarren. Das von ihm vorgetragene Märchen um einen armen Müllersburschen, der einem Prinzen von der Macht des Zauberers Ätschibätschi und der Wirkung seines weißen Giftes befreien will, spiegelt und kommentiert die Haupthandlung. Das Märchen immerhin geht gut aus: Prinz und Müllersbursche dürfen vor den Traualtar treten. Für Jockel, Stefan und Micha hingegen kennt die Geschichte kein Happy End. Und selbst für den vorlauten, zunehmend bedrohlich wirkenden Puppenspieler hat das Autorentrio noch eine überraschende, die Erzählebenen überblendende Wendung ausgedacht.
Das Verständnis von Freiheit, dem Jockel, Stefan, Micha und ihre Mitkommunard:innen nachhängen, hat sich da längst als (Selbst-)Lüge entpuppt. Denn diese Freiheit entbindet einen nicht von der Verantwortung für das eigene Leben und das der geliebten Menschen. Die Hölle, das sind eben nicht die andern, wie es in Jean-Paul Sartres vielzitierter, oft falsch verstandene Sentenz heißt. In Michael Stocks Drama hat Jockel die Hölle selbst bereitet –sich und seinen Geliebten.
Prinz in Hölleland
von Michael Stock
DE 1993, 90 Minuten, FSK 16,
deutsche OF
VoD: € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)