Berlinale 2017

Kastration und Aufbruch. Unser Autor hat sich einige Beiträge aus dem queeren Programm der diesjährigen Berlinale angesehen und ein paar Behauptungen darüber sortiert, wieviel Spielraum nicht-heterosexuelle Film-Utopien gerade haben.

Die Jungfrauenmaschine – Foto: Edition Salzgeber

Bewegungsfreiheit

von Dennis Vetter

„Liebe ist für viele Schafe schwerer als die schwerste Strafe“ heißt es in der „Jungfrauenmaschine“ (1988) von Ehren-Teddy-Preisträgerin Monika Treut, der dieses Jahr bei der Berlinale nochmal gezeigt wurde. Der Film und seine Protagonistin haben ein Vergnügen an der Feldforschung. Warum Typen manchmal eine so aufdringliche Art an sich haben, das wird schon mal anhand von Affen hergeleitet. Der Spruch von den Schafen fällt gleich im ersten Moment, als Dorothee ein Typ hinterher gafft. Wahrscheinlich würde der, wie er da steht, oder erst einmal nur rumsitzt, mit seinem Bier in der Hand, solch einen Spruch gar nicht in den Mund nehmen. Also im echten Leben. Dorothee zumindest hat dann ihre Entscheidung getroffen. Sie dreht sich nicht um, als sie den Hof verlässt. Nix wie weg. Wohin, das erforscht der Film. Eine Bewegung geht da vor sich, die dann ins Ausland führt, in die räumliche Entfernung und Neuentdeckung des Persönlichen, des Privaten und gleichermaßen des Politischen. Der Film geht hinaus aus einer gegebenen Lage hin zu einer anderen, zu einer frei gewählten, die einen neuen Blick schaffen soll. „When boys talk, they don’t talk politics”, heißt es später in Ramonas Drag Show, während sie sich über maskulines Getue lustig macht, indem sie es imitiert.

Bei BruceLaBruce geht die Bewegung umgekehrt, aus der Abgrenzung hin in die Mitte der Gesellschaft. Oder so ähnlich. Denn da kommt der Film nie an und das ist langweilig. Das Exil ist über weite Strecken der Schauplatz. Im Zentrum steht eine Zelle weiblicher Terroristinnen. Ein Kerl hat eine Bank angegriffen und landet verletzt im Stützpunkt der Gruppe. Zunächst versteckt, im Keller, im Unterbewusstsein, dann bald doch ganz woanders. Eine Liebesgeschichte entspinnt sich zu einer der Novizinnen. Und dann wird auch diskutiert. Aber das klappt so einfach nicht. Die Ansage der Obernonne: „Als junger, radikaler, antikapitalistischer Krieger solltest du wissen, dass unser Kampf nichts mit Gleichheit innerhalb eines korrupten Systems gemein hat, sondern sich gegen Männer im Allgemeinen richtet. Wenn du deine aufrichtige Solidarität mit uns beweisen willst, musst du das Opfer bringen!“ Die symbolische Kastration als Versöhnungsangebot. In der Auslöschung des Einen soll die Verteidigung des Anderen untermauert werden. Bald wird dann auch die Menge gespalten, im angeblich öffentlichen Moment, wo aber alle trotzdem irgendwie queer sind. Dann sind die Terroristinnen die Reaktionären: Frauen auf die eine Seite, Männer auf die Andere! Blutfontänen und Genremischmasch hin oder her, das ist alles ein bisschen dröge.

Die Misandristinnen – Foto: Edition Salzgeber

Zum Beispiel verglichen mit dem Schnitt in John Trengoves „The Wound“. Da geht es jungen Männern nur an die Vorhaut, aber viel gefühlvoller. Und Maskulinität ist dort nicht nur eines, sondern vieles: intrigant, militärisch, erotisch, herrisch, schwach, verwundbar, fatalistisch. Wie Bruce LaBruce zeigt Trengove Hierarchien in einer homogenen Gruppe, in dem Fall in der südafrikanischen Gemeinschaft der beschneidungswilligen Xhosa. Junge Männer werden zusammengebracht, um zu echten Kerlen zu werden. Die Schnitte stehen ganz am Anfang, mit einem sehr genauen Sounddesign. Und dann müssen die Wunden heilen, substanzielle Wunden, mit denen viele Nerven verbunden sind. Ein unentwegter Schmerz zieht sich durch den Film, eine Unauflösbarkeit, die sich aus individueller Feigheit nährt, aber ebenso aus der Liebe zwischen zwei Kerlen, aus einem Verhältnis zwischen diesen Männern zu ihren Lebensentwürfen und Prägungen.

Die Wunde – Foto: Salzgeber

Die schaffen es beide nicht, die emanzipatorische Reise zu machen, die Monika Treuts wohlhabende Dorothee ganz einfach machen kann. Treuts Film ist sprachlich natürlich präziser, intellektueller. Und von der Form braucht gar nicht die Rede zu sein. Trengoves Film ist formal ziemlich konservativ. Aber sinnlich ist er und gut gespielt. Und er funktioniert über Gesten und ihre Ambivalenzen. Für die Ambivalenzen in einem guten Schauspiel lohnt es sich zu kämpfen. Bei Trengove gibt es auch die beiden Lager, den Separatismus. Lager im wörtlichen Sinne sogar. Wenn die Männer dort zusammensitzen und den Jungs erzählen, was sie zu tun und zu lassen haben, dann unterscheidet sich das irgendwie nicht so recht von der Homogenität bei Bruce LaBruce, nur dass bei den Terroristinnen die Liebesfragen einfach weniger interessant und viel schablonenhafter sind.

Discreet – Foto: Berlinale

„Discreet“ von Travis Mathews arbeitet auch vielschichtiger. Der Protagonist seines Films ist keiner, der eine linke Logik auf seiner Seite hat, kein Charakter, den irgendjemand unterstützen möchte. Man möchte seine Agenda lieber gar nicht kennenlernen. Ein Sonderling, gewalttätig und vielleicht auch faschistisch. Die rechte Hetze im Radio schaltet er zumindest nicht aus. Wenn er dann mit Kerlen intim wird, dann hat das was Unterkühltes, weniger von Hoffnung auf einen Ausbruch. Stattdessen Hinterzimmer. Sexuelle Befreiung ist da nicht wirklich drin in dieser Welt, ebenso wenig wie bei Trengoves Geschichte. Auch hier entsteht eine Spannung aus den Sackgassen. Es baut sich etwas in Menschen auf, wenn sie keine Freiheit erleben dürfen, sich vielleicht sogar selbst ihre Freiheit zu verbieten gelernt haben. Wie bei „The Wound“ gibt es Gewalt, weil man etwas nicht aushalten kann. Hier macht der Protagonist übrigens Filme. An den Mitteln zum Ausbruch scheint es nicht zu mangeln, der ist nicht arm oder dumm. Es sind die inneren Blockaden, die Manierismen. Und so ist auch der Film: durch und durch manieriert, verquer, betont antinaturalistisch. Auch bemüht irgendwie, beinahe obsessiv in der Entscheidung für das Suggestive, das Uneindeutige. Ein Thriller über Unterdrücktes und Unerfülltes, eher weniger über Erhofftes. Fühlt sich an wie eine Drohung und ist bestimmt kein verkehrtes Zeitdokument zur texanischen Gegenwart.

Fluidø – Foto: Berlinale.

Shu Lea Cheang schaut natürlich auch auf die Gegenwart, ihre Zeitebene ist aber wieder einmal die Zukunft. „Fluidø“ spielt in einem Gesellschaftsentwurf, der unbedingt anders aussehen soll. Wie ein Comic fühlt sich das ein wenig an, ständig wird im Bild irgendwas verändert, viele Flächen und Linien gibt es, auch bei den Kostümen. Grafikschnipsel und farbige Formen lassen nie lange auf sich warten. Sperma fliegt in Slow-Motion durch die Gegend. Bei diesem Film sind die Dualitäten auf der Strecke geblieben, der ist irgendwie tatsächlich progressiv. Alle sind hier gefühlt alles, weil klassische Begriffe zugunsten von vergnüglichem Kauderwelsch vermieden werden. Kunstfiguren sind die alle, vielleicht Cyborgs. Infiziert oder nicht, aber in der Regel interessiert am Infiziertsein. Oder zumindest an dem neuen Virus, das auch eine Droge ist. Es geht auch irgendwie um Aids, aber alles, was aus der Vergangenheit an politischen Realitäten herbeizitiert wird, das scheint auch ein bisschen zum Vorwand zu werden. Zumindest wird infiziertes Sperma von eifrigen Typen massenweise hergestellt. Die Wichsen in einem dafür angelegten Raum von morgens bis abends, als Teil einer größeren Strategie. In der Tat hat in dieser Zukunft nicht alles Hand und Fuß, aber alle haben Lust aufeinander und die vielen hell ausgeleuchteten Körper bekommen regelmäßig Aufmerksamkeit. Und immer wieder werden Ordnungshüter_innen angepisst, das ist doch was. Pissen als Terrorismus, das macht mehr Spaß als ausgelutschte Kastrationsrhetorik.

Fluidø – Foto: Berlinale

Mal im Ernst. Warum muss es bei „The Misandrists“ ausgerechnet darauf hinauslaufen, auf das Offensichtlichste? Und Queer Porn darin als Utopie zu verteidigen, braucht es das noch? Wo doch Queer Porn an sich schon gegenwärtig und sichtbar ist, eine ausgelebte Utopie? „Fluidø“ macht wenigstens keinen Hehl daraus, dass Sex an sich im Zentrum steht, als sinnlicher Aufhänger des Films. Aber da gibt es keinen interessanten Bruch. Die Form ist in dem Film total ausgestellt, aber sie wird einfach nicht genutzt in ihren Möglichkeiten.

Die Misandristinnen – Foto: Edition Salzgeber

„Casting“ von Nicolas Wackerbarth bringt zum Beispiel viel mehr Ebenen zusammen. Das ist kein Film nur über ein Thema. Da gibt es vor allem Intimität, die sich wie Intimität anfühlt, weil sie keinem Duktus gehorcht, sondern innerhalb einer Situation vielgestaltig sein darf. Natürlich auch, weil es hier Schauspiel zu erleben gibt, das sich nicht wie Overacting anfühlt. Und wenn dann Andreas Lust als Gerwin bei einer Szenenprobe seinen sturen Hetero-Spielpartner küsst und sich auf einmal beide küssen wollen, dann geschieht da eine Veränderung, die eben spürbar ist als Entwicklung in zwei Psychologien und als Veränderung einer angeblichen Gewissheit.

In Wackerbarths Film haben Leute eben gerade keine festen Rollen. Weil sie handlungsfähig sind, wenn es darauf ankommt. Diese Menschen, viele von ihnen Schauspieler_innen, sind in der Lage, Grenzen zu formulieren und halten sie ein, oft geradezu fanatisch. Aber sie sind nicht kastriert, ganz und gar nicht. Sie sind in der Lage, Grenzen zu überschreiten, wenn die Dynamik von Situationen mit dem Erlernten etwas auslöst. Diese Figuren müssen nicht behaupten, dass sie eine harte Vergangenheit haben. Weil außer Frage steht, dass sie in der Gegenwart, jetzt, in diesem Moment, während die Kamera auf sie gehalten wird, ganz und gar in Bewegung sind. Es gibt da eine Bewegungsenergie, die Begründungen hinfällig macht, weil sie nicht strategisch ist und keine Theorie braucht, sondern die eben Energie ist. Und dann spielen Zuschreibungen und angebliche Autoritäten und Drehpläne keine Rolle mehr. Dann wird sogar Fassbinders Petra von Kant zu einem utopischen Raum, wenn auch nicht zu einem freien oder angenehmen. Denn frei ist im Bewusstsein der Geschichte ja irgendwie niemand, und das ist in der Tat unangenehm. Aber darin liegt eben auch eine radikale Provokation, die sich zeigen und spüren lässt.

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