Hard Paint

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Schon in ihrem Coming-of-Age-Film „Seashore“ (2015) und der vierteiligen Mini-Serie „Das Nest“ (2016) haben die beiden jungen Regisseure Filipe Matzembacher und Marcio Reolon in aufregenden und realistischen Bildern vom queeren Leben in Brasilien, genauer gesagt ihrer Heimatstadt Porto Alegre, erzählt. In der Metropole im Süden des weiten Landes spielt auch ihr zweiter Langfilm „Hard Paint“, der von einem introvertierten jungen Mann handelt, der sein Geld in Sex-Cam-Chats verdient und doch nach etwas ganz anderem sucht. Im Februar wurde „Hard Paint“ auf der Berlinale mit dem Teddy ausgezeichnet, am Donnerstag startet der Film bei uns im Kino. Unser Autor Sebastian Markt findet sich wieder in einem Rausch neonfarbener Bilder und sich bewegender, begehrender Körper.

Foto: Pro-Fun Media

Ein Körper, der tanzt

von Sebastian Markt

Ein Körper. Er gehört einem jungen Mann, hager, dünnhäutig, aber muskulös, mit einem schmalen Gesicht, das zwischen wilden, dunklen Locken liegt. Pedro heißt er, und wenn wir ihn zuerst sehen, dann schläft er, nackt, sieht friedlich aus und zugleich schutzlos. Das Bild ist pixelig verrauscht, und auch auf der Tonspur ist ein Rauschen zu vernehmen, unterbrochen von dem digitalen Klingeln eintreffender elektronischer Nachrichten, und wenn der Blick weiter aufzoomt, erkennt man, dass es das Bild einer Webcam ist, und die Nachrichten sind die Kommentare derer, die ihm da so beim Schlafen zusehen, und am Rand des Bildes aufpoppen. „Ist er schon gekommen?“, fragen sie. „Ja, und dann ist er eingeschlafen und hat vergessen die Kamera auszumachen“, sagen sie. „Zeig uns mehr Pretty Boy“, „Jemand sollte in sein Zimmer eindringen“ und „Er ist mein liebster Performer“.

Ein Körper, der tanzt. In seinem Zimmer in der Wohnung seiner älteren Schwester, die Journalistin ist, und so etwas wie Pedros Anker, aber bald ans andere Ende des Landes ziehen wird, für einen neuen Job. Er tanzt in einem blauen Neonschein, und während er tanzt, beschmiert er seinen Körper mit Farben, die im ultravioletten Licht grell leuchten.

Er tanzt gegen Geld, das ihm die Leute, die ihm im Internet dabei zusehen, überweisen, und tut, was die, die ihn bezahlen, von ihm verlangen. Als „NeonBoy“ verdient Pedro das bisschen Geld, das er zum Leben braucht, indem er sich im Internet zur Schau stellt. Und jetzt, da er von der Universität verwiesen wurde, strukturiert es seine Tage. Die Geschichte mit den Farben hat er sich ausgedacht, es ist sein Markenzeichen. Der Blick des Films streift den Blick der Webcam, die Flachheit ihrer Räume und Grobheit ihrer Bilder nicht ab, aber lässt sich dennoch mitreißen von der Verführung dieser Bilder, dem Rausch der Körper.

Zwei Körper. Der andere kommt zuerst als Phantom ins Spiel, als Screenshot, den ein Bekannter seiner Schwester schickt. Es gäbe da jemanden, der sein Spiel mit Farben imitiert, im Netz. Dann begegnen sie sich in der Welt, verabreden sich zu einer gemeinsamen Performance, die Anklang findet. Leo ist Tänzer, nicht nur nachts und im Internet, er trainiert mit einer Tanzgruppe und träumt von einem Stipendium und einem Leben, in dem die Kunst kein Zweck mehr ist. Das erste Treffen steht unter Vorzeichen von Misstrauen und Vorsicht auf Pedros Seite, und gelassener Neugier bei Leo. Ihre Show, das inszenierte Verlangen, ist ein Erfolg.

Zwei Körper, später, an einem anderen Tag, die nicht mehr tanzen, die nicht mehr performen, deren Bewegungen keinem Script mehr folgen, keinen Anweisungen von Leuten, die dafür bezahlen. Zwei Körper, die sich nahe sind, einander begehren, deren Lust kein Publikum braucht (obwohl wir genau das doch auch sind), die sich ein Bett teilen, aber auch, für einen Moment, eine Geschichte. Zwei, die sich begegnen für eine Weile, die nicht lange dauern kann.

Ein Körper, der Gefahren ausgesetzt ist. Der zwischen Selbstbehauptung und Verletzbarkeit changiert, der sich gehen lassen kann und sich feiern, und auf der Hut sein muss, in den Clubs, wo auch Leute sind, die ihm etwas anhaben wollen, in den nächtlichen Straßen, wo ein marginalisiertes Begehren zum Objekt von Energien werden kann, die niemand von ihm fernhält.

Ein Körper, über den verhandelt wird. Nicht bloß im übertragenen Sinn der Chats seiner Kunden, auch noch in einem anderen, unmittelbareren: Pedro ist angeklagt, ihm wird vorgeworfen einen anderen Jungen ein Auge ausgestochen zu haben, bei einem Streit im Club. Die Szene vor Gericht ist eine der ersten des Films, wir erfahren über Pedros Leben zuerst in Form von Antworten auf die gleichmütig bohrenden Fragen einer Richterin, der es um einen Begriff von Wahrheit geht, der sich unter ein Gesetz subsumieren lässt. Der einer bürgerlichen Existenz zuordenbar ist, in der die unübersichtliche Realität eines Lebens aufgehoben, repräsentiert und zugleich verborgen ist. Es wird noch kein Urteil gesprochen, in dieser ersten Anhörung. Das Licht im Gerichtssaal ist hell, und so viel kälter als das ultraviolette Blau von Pedros Schlafzimmer. Die andere Seite der Geschichte erfahren wir erst viel später, als Wahrheit im Spiegel, wenn Leo eine Geschichte erzählt, als ob sie von einem Dritten handelt. Wir hören von Herabsetzungen und Sticheleien, von Bedrohung und von Einsamkeit, die einer erfährt, bis er in einem Moment der Provokation eskaliert, und nach außen richtet, was sich nach innen angestaut hat. Pedro hört Leo in seiner Erzählung zu, und weiß, wovon sie handelt, und hört sie doch zum ersten Mal. Erzähl mir meine Geschichte, erzähl sie mir, als ob sie die eines anderen wäre, und ich erkenne mich in Dir wieder. Es ist eine ungemein beklemmende und zugleich die berührendste Szene des Films.

Foto: Pro-Fun Media

„Hard Paint“ ist die dritte längere Arbeit von Filipe Matzembacher und Marcio Reolon – nach dem zärtlichen „Seashore“ (2015), einer stillen Coming-of-Age-Geschichte über zwei Jungs, in deren Freundschaft sich ein Begehren einen Weg sucht, und der schillernden Miniserie „Das Nest“ (2016), die einem desertierten Soldaten folgt, der in den queeren Nischen Porto Alegres seinen Bruder sucht, und eine Ersatzfamilie findet. Auch ihr neuer Film  ist im Süden Brasiliens angesiedelt, in Porto Alegre, das nicht eben klein ist, aber klein genug, um die fortbestehende Prekarität von queerem Leben – auch schon vor der Ära Bolsonaro – spürbar werden zu lassen.

In „Hard Paint“ erzählen Matzembacher und Reolon eine Geschichte queerer Räume und der Körper, die diese beherbergen, und eine Geschichte der Ängste und Sehnsüchte, die sie hervorbringen, präzise in ihrer realen Verortung und weitläufig in ihrem Ausloten der Koordinaten einer Welt, die nicht auf einen Ort beschränkt ist. Sie erzählen von den virtuellen Begehrensspähern des Internets und deren Ökonomie hierarchischer Blicke, von der Ambivalenz der Außenräume und den Versuchen, sie deren Logik zu entziehen, und vom Glück und der Geborgenheit jener Räumen, die aus selbstgewählten Gemeinschaften entstehen.

Foto: Pro-Fun Media

Ganz am Ende tanzt Pedro nochmal, am Ende einer langen Nacht, die eine entscheidende ist, die Veränderung bringt. Er steht inmitten eines Clubs, eines dieser ephemeren Orte, die auftauchen und wieder verschwinden, wenn ihnen die Polizei auf die Spur kommt. Er steht da und hält die Hand über sein Gesicht wie jemand, der seinen Anblick verbergen möchte. Doch dann zieht er sie weg, zieht sie weg und hinterlässt dabei eine neonfarbene Spur in seinem Gesicht, krasse Farbe, hard paint, tinta bruta. Und aus dem Wegziehen der Hand wird eine Bewegung des Körpers, und dann tanzt er, tanzt vor Leuten, aber nicht mehr für sie. Inmitten vieler anderer, und doch ganz bei sich und auch ganz für sich: ein Körper.




Hard Paint
von Filipe Matzembacher & Marcio Reolon
BR 2018, 118 Minuten, FSK 16,
portugisische OF mit deutschen UT,

Pro-Fun Media

Ab 15. November hier im Kino.

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