Suspiria

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Nach seinem heiß geliebten schwulen Erweckungsfilm „Call Me by Your Name“ hat sich Regisseur Luca Guadagnino das Remake eines italienischen Horror-Klassikers vorgenommen, Dario Argentos „Suspiria“. Wie der berüchtigter Schlitzer-Film aus dem Jahr 1977 erzählt die Wiederverfilmung von einer jungen Amerikanerin, die als neue Schülerin an eine Ballettschule kommt und dort ins Zentrum einer mysteriösen Mordserie und die Fänge von satanischen Kräften gerät. Guadagnino verlegt die Handlung von Freiburg nach West-Berlin, verortet den Film dezidiert im Deutschen Herbst 1977 und macht aus der Balletschule einen lesbischen Hort und eine Welt quasi ohne Männer. Unser Autor und Horrorfilmexperte Jörg Buttgereit freut sich zwar über körperliche Exzesse und Tilda Swinton in einer unheimlichen Doppelrolle, ist von Guadagninos queerem Gegenentwurf aber nicht vollends überzeugt, vor allem weil er einen zwiespältigen Reiz des Originals vermisst.

Foto: Capelight Pictures

Hexentanz im Herbst

von Jörg Buttgereit

„Suspiria“ von Dario Argento ist ein audiovisuell überaus kunstvoller italienischer Schlitzer-Film, ein so genannter „Giallo“, eine Mischung aus Kriminal- und Horrorfilm, aus dem Jahr 1977. Erzählt wird die Geschichte der Amerikanerin Suzy Banyon, die in Freiburg ankommt um an einer renommierten Tanzakademie zu studieren. Als immer mehr ihrer Kameradinnen durch mysteriöse Umstände brutal ums Leben kommen, muss Suzy feststellen, dass die Ballettschule nur als Tarnung für ein satanisches Hexenkonvent dient. Im Kellerlabyrinth unter der Tanzschule steht Suzy im Finale der grausamen Hexe Helena Markos höchstpersönlich gegenüber.

Es ist sicher nicht der mit Horror-Film-Klischees gespickte Plot, der Argentos „Suspiria“ zu einem so aufregenden Genre-Beitrag macht. Es ist die formale Konsequenz, mit der er, aller Logik zum Trotz, ein opernhaft übersteigertes Märchen des Bösen aus Licht und Schatten entwirft.

In Deutschland war Argento wegen seiner spektakulären Mordinszenierungen und der Darstellung der Frau als Lust- und Mordobjekt jahrzehntelang als frauenfeindlicher Sadist gebrandmarkt. Sicher hatte der Regisseur in den späten 70er Jahren noch den heranwachsenden heterosexuellen Mann als Zielpublikum im Hinterkopf. Doch seine Werke als heterosexistisch abzuurteilen, wäre ignorant. So simpel sind Argentos Filme nicht gestrickt, vielmehr dringen sie mit ihrer Traumlogik tief in unser Unterbewusstes vor. Oft sind es als Männer verkleidete Frauen, die mit phallischen Mordwerkzeugen ihre Opfer penetrieren. Cross-Dressing hat im Giallo eine lange Tradition. Argento spielt stets mit unserer unterschwelligen Angst von der Norm abzuweichen, dem „Anders sein“ und der damit verbundenen Ausgrenzung. Die Hexen in „Suspria“ und dem Sequel „Horror Infernal“ (1980) sind übernatürliche Vertreter eines dritten Geschlechts: allmächtige Todesbringer aus einer anderen Dimension, die nach der Weltherrschaft streben.

Foto: Capelight Pictures

Argentos „Suspiria“ war in Deutschland bis zum Jahr 2014 indiziert (Werbeverbot) und trotz einer Freigabe ab 18 Jahren nur in einer um die Gewaltspitzen gekürzten Version verfügbar. Doch in letzter Zeit hat der Regisseur eine feuilletonistische Rehabilitierung erfahren. Im letzten Jahr wurde die ungekürzte Fassung von „Suspiria“ sogar ab 16 Jahren freigegeben.

40 Jahren nach der Erstveröffentlichung hat sich nun sogar ein Oscar-nominierter Regisseur, der Italiener Luca Guadagnino („Call Me by Your Name“), den Argento-Klassiker zur Brust genommen und ein Remake gedreht. Das Drehbuch des Amerikaners David Kajganich basiert auf dem Originalskript von Argento und dessen Partnerin Daria Nicolodi und verlegt den Handlungsort nach West-Berlin und in die Zeit des Deutschen Herbsts 1977. Im Hintergrund laufen immer wieder Fernsehbilder und Radiobeiträge über die Entführung des Flugzeugs Landshut und den Terror der „Rote Armee Fraktion“.

Foto: Capelight Pictures

Die junge Susie Bannion (Dakota Johnson, „Fifty Shades of Grey“-Trilogie) ist nach dem Tod ihrer strenggläubigen Mutter aus Ohio nach Berlin gekommen, um sich dort in einer Tanzakademie einzuschreiben. Nach dem ungeklärten Verschwinden der Studentin Patricia (Chloë Grace Moretz, das quirlige Hit Girl aus den „Kick Ass“-Filmen in einer undankbaren Nebenrolle) ist gerade ein Platz frei geworden. Schon bald zieht Susie die Aufmerksamkeit der Akademieleiterin Madame Blanc (Tilda Swinton als diabolische Version von Pina Bausch) auf sich. Nach ihrem Willen soll Susie gleich die Hauptrolle in der kommenden Produktion „Volk“ übernehmen. Doch hinter der seriösen Fassade der Akademie offenbart sich schon bald eine Parallelwelt, die wie der steinalte Psychotherapeut der Schule, Dr. Jozef Klemperer, erklärt, von drei Hexen beherrscht wird.

Und tatsächlich findet die Mitstudentin Sara (Mia Goth) hinter der Spiegelwand des Tanzsaals ein Kellergewölbe, in dem sie die körperlich entstellte Patricia vorfindet. Bei einem okkulten Tanzritual, das wie eine explizite Coverillustration einer Death-Metal-Schallplatte anmutet, soll Susie schließlich als Neuling in die Hexengesellschaft aufgenommen werden. Noch deutlicher als bei Argento wird aus der Oberhexe ein geschlechtsloser Todesbringer, der sich in den Leibhaftigen verwandelt und ein blutiges Massaker unter den splitternackten Tänzerinnen anrichtet. Der Tod von Madame Blanc und einem Teil ihrer tanzenden Hexenbrut findet seine Entsprechung im kollektiven Suizid der führenden RAF-Mitglieder in der Justizvollzugsanstalt im Stuttgarter Stadtteil Stammheim.

Foto: Capelight Pictures

Guadagninos „Suspiria“ ist ein formaler Gegenentwurf zu Argentos Klassiker: Die satten Primärfarben des Originals sind dem fahlen Grau der Berliner Mauer gewichen. Alle Töne wirken blass im herbstlichen Dauerregen der Mauerstadt. Das progressiv-Rock-Getöse von Argentos Hausband Goblin wird durch das weinerliche Gewimmer von Thom Yorke (Radiohead) abgelöst. Und jeder Funke von heterosexuellen Sexismus wird im Keim erstickt. Hier sind radikale Lesben am Werk, in deren Welt Männer keine Rolle spielen. Die unheimlichen Weiber der Tanzakademie sind sich selbst genug. Zwei männliche Kommissare, die den Fall der verschwundenen Tänzerin Patricia untersuchen, werden umgehend hypnotisiert. Lachend ziehen die Seniorinnen der Tanzakademie (wunderbar: Angela Winkler und Ingrid Caven) den willenlosen Respektspersonen die Hosen herunter, um sich über ihre mickrig kleinen Penisse lustig zu machen. Die einzig relevante Männerrolle, der Therapeut Dr. Klemperer, wird auch noch von einer Frau verkörpert: von Tilda Swinton, die den klapperigen alten Herren mit einer allzu offensichtlichen Latexmaske unter dem Pseudonym Lutz Ebersdorf spielt .

Foto: Capelight Pictures

Horrorfilme aus den 70er und 80er Jahren üben gerade heute einen herrlich zwiespältigen Reiz aus, weil in ihnen moralisch fragwürdige Gewaltphantasien ungehemmt ausagiert wurden. Sie sind wie verbotene Früchte, die besonders süß schmecken. Im Vergleich zu den schmuddeligen Klassikern von damals wirkt das Remake von „Suspiria“ trotz aller Exzesse im Finale wie ein allzu politisch korrekter Beitrag zum Gender-Mainstreaming. Der voyeuristische Blick des heterosexuellen Mannes wird sich  deswegen wohl trotz aller queeren Tendenzen des Remakes an den nackten Körpern der graziösen Tänzerinnen delektieren können.




Suspiria
von Luca Guadagnino
IT/US 2018, 152 Minuten, FSK 16,
deutsche SF mit englische OF mit deutschen UT,

Capelight Pictures

Ab 15. November hier im Kino.

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