Cousins

TrailerDVD / VoD

Neu als DVD und VoD: Teenager Lucas lebt mit seiner strenggläubigen Tante Lourdes in einem Städtchen irgendwo in Brasilien. Als braver Neffe hilft er ihr im Garten und bei der Organisation der Bibelkreise. Doch ihre fromme Zweisamkeit wird durcheinandergebracht, als Lourdes einen weiteren Neffen im Haus aufnimmt: Mario kommt gerade aus dem Gefängnis und kann sich nur schwer an Regeln halten. Zunächst ist Lucas vom Verhalten seines wilden Cousins irritiert, aber in Lourdes‘ Abwesenheit kommen sich die zwei Jungs rasch näher… In ihrer verspielten Coming-of-Age-Komödie setzen Thiago Cazado und Mauro Carvalho dem religiösen Konservatismus in der brasilianischen Provinz die positive Geschichte einer emotionalen und sexuellen schwulen Erweckung entgegen. Unser Autor Andreas Köhnemann hat sich von der Leidenschaft und dem Humor des Films mitreißen lassen.

Foto: Edition Salzgeber

Schelmenstreiche

von Andreas Köhnemann

„Dying is easy, comedy is hard“, lautet ein Spruch, der dem britischen Schauspieler Edmund Gwenn zugeordnet wird. Damit könnte gemeint sein, dass es vergleichsweise einfach ist, das Publikum mit großer Tragik zum Weinen zu bringen – aber ziemlich schwer, den Leuten ein Lachen zu entlocken. Die häufig unterschätzte Kunst der Komödie besteht nicht zuletzt darin, das Schwere mit Leichtigkeit zu erzählen, das Komische im Kampf gegen die Mühsal des Lebens herauszukitzeln. Das brasilianische Regie-Duo Thiago Cazado und Mauro Carvalho nimmt diese Herausforderung in seinem zweiten gemeinsamen Film „Cousins“ an, indem es sich einem Milieu widmet, das geradezu nach einer beklemmenden Geschichte schreit – und dabei der Versuchung widersteht, dem Schreien nach Leid zu folgen. Stattdessen lassen die beiden Regisseure die Lust auflodern und die Liebe Oberhand gewinnen.

Das Drehbuch von Cazado, der auch eine der zwei Hauptrollen verkörpert, sorgt für den unbeschwerten Ton und Dialogwitz, die Kamera von Carvalho für die hellen, sanften Bilder. So werden wir in die Welt des zurückhaltenden Jugendlichen Lucas geführt, der als Waise in der brasilianischen Provinz bei seiner gottesfürchtigen Tante wohnt. Diese trägt konsequenterweise den Namen Lourdes und ist in ihrer tiefen Frömmigkeit natürlich bewusst überzeichnet. Und auch der scheue Lucas entspricht mit seinem Faible für einsame, stille Gartenarbeit einem Stereotyp. Auf seinem Keyboard begleitet er die (durchweg weiblich besetzten) Bibelrunden der Tante und blickt gehemmt in den Kreis der Gläubigen.

Zum Charme von „Cousins“ gehört jedoch auch, dass Brüche und Grenzüberschreitungen bereits früh mitschwingen. So kommen etwa unter den biederen Pullovern, die Lucas zu seiner braven Frisur trägt, ein paar hübsche Tattoos zum Vorschein. Und die weihevollen Reden von Lourdes werden auch mal von der rabiaten Beseitigung einer Kakerlake unterbrochen, die offenbar nicht in Lourdes’ Vorstellung eines trauten Heims passt. Um diese „Abgründe“ weiter aus dem Verborgenen zu holen, bedarf es eines neuen Hausgastes – wie dies bereits in Pier Paolo Pasolinis queerem Filmklassiker „Teorema“ (1968) in Gestalt des überirdisch attraktiven Terence Stamp der Fall war. Ähnlich wie bei Pasolini hat auch der überraschende Besuch in „Cousins“ destruktive Auswirkungen.

Foto: Edition Salzgeber

Marios Ankunft verursacht peu à peu den Abbau der vielen Hemmungen, die in Lourdes‘ Haushalt gelten. Der renitente junge Mann, der gerade aus dem Knast entlassen wurde und Zoff mit seinem Vater hat, betritt mit rockigem Musikeinsatz den Schauplatz. Es dauert nicht lange, bis er ganz selbstverständlich blankzieht, um Lucas und uns klarzumachen, dass die Zeit der unnötigen, lustfeindlichen Zurückhaltung nun wirklich vorüber ist. Wenn Lucas und Mario, die sich ein Schlafzimmer teilen, sturmfreie Bude haben, beginnt ein hinreißendes Spiel zwischen kumpelhafter Verführung und neckischer Glückseligkeit, die man nur äußerst selten so unbekümmert auf der Leinwand erlebt: „SpongeBob Schwammkopf“ gucken und Karottenkuchen essen, nächtliche Telefonstreiche spielen und Wodka trinken, in Boxershorts zu lauter Musik tanzen. Und bald wird es zwischen den beiden immer erotischer – auf überaus verspielte Weise.

Foto: Edition Salzgeber

Trotz des repressiven Umfelds, in dem sich die Jungs begegnen, geht ihr sexuelles Erwachen bemerkenswert sorglos vonstatten. Die Entdeckung der Leidenschaft macht die Dinge für die beiden nicht komplizierter, sondern im Gegenteil: lockert sie auf, vereinfacht alles. Nacktheit, von der es in „Cousins“ reichlich gibt, hat hier weniger etwas Voyeuristisches, sondern vielmehr etwas Schelmisches. Sex hat hier nichts Bedrohliches, sondern führt zu wunderbar albernen Häschenspielen im Bett, zum Grinsen und fröhlichen Kichern. Herrlich ist auch das heimliche Füßeln unterm Tisch beim Kartenspielen mit der zurückgekehrten, völlig ahnungslosen Tante. Oder wenn die beiden Jungs schwer verliebt mit dem kleinen Nachbarshund herumtoben, den sie Gassi führen, um ein bisschen Geld zu verdienen. All das funktioniert letztlich deshalb so gut, weil Cazado und sein Co-Star Paulo Sousa die erforderliche Chemie miteinander haben: Es knistert und prickelt, wenn die beiden sich anschauen und anlachen, man spürt ihr Begehren mit jeder Berührung.

Foto: Edition Salzgeber

Die Konflikte, die Lucas, Mario und Lourdes im Laufe des Plots zu überwinden haben, werden derweil betont komödiantisch behandelt. Die gläubige Hausbesitzerin, auf deren Gunst die finanziell klamme Lourdes angewiesen ist, wird rasch als scheinheilig entlarvt. Und die unglücklich in Lucas verknallte Julia, die das aufkeimende Glück zwischen ihrem Schwarm und dem rebellischen Provinz-Eindringling Mario mit einem Fernglas im Gebüsch beobachtet und mit zittrigen Händen ein Foto der beiden zerschneidet, um Voodoo-mäßig alles kaputt zu machen, spinnt eine derart durchschaubare, Telenovela-eske Intrige, dass zu keiner Sekunde eine ernsthafte Eintrübung und Gefahr der neu gewonnen Freiheit für Lucas, Mario und Lourdes zu befürchten ist. Wenn sich das zentrale Trio – noch ergänzt um einen vierten Mitspieler, der auch für Lourdes ein Liebes-Happy-End verheißt – sich einen Wein gönnt, weil schließlich auch Jesus beim Abendmahl zum Rebensaft gegriffen hat, ahnt man, dass die Harmonie hier einfach mal unerschütterliches Glück sein darf. Und es macht wirklich Spaß, das mitanzusehen.




Cousins
von Thiago Cazado und Mauro Carvalho
BR 2019, 82 Minuten, FSK 12,
portugiesische OF mit deutschen UT,

Edition Salzgeber

Hier auf DVD.

vimeo on demand

VoD (OmU): € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)

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