Wir beide

Trailer queerfilmnacht

Nach außen hin ist Nina nur die nette Nachbarin von gegenüber, aber für Madeleine ist sie die Liebe ihres Lebens. Schon seit Jahren führen die beiden eine geheime Beziehung und träumen davon, gemeinsam ein neues Leben in Rom zu beginnen. Doch Madeleine kann sich nicht überwinden, ihren erwachsenen Kindern die Wahrheit zu sagen. Als ein unerwartetes Ereignis dazu führt, dass die Wohnungstüren zwischen den Partnerinnen geschlossen bleiben, muss Nina alles riskieren, um zu Madeleine durchzudringen. Im Juli ist Filippo Meneghettis großartiges Liebesdrama „Wir beide“ in der queerfilmnacht zu sehen; am 6. August startet es dann regulär in den Kinos. Unsere Autorin Alexandra Seitz hat sich von dem bewegenden Spiel Barbara Sukowas und Martine Chevalliers berühren lassen.

Foto: Weltkino/Paprika Films

Jetzt oder nie

von Alexandra Seitz

Sie haben in einer Zeit zueinander gefunden, da gab es das Kürzel LGBTQ noch gar nicht, eine Zeit, in der hinter vorgehaltener Hand von „Lesbierinnen“ geflüstert wurde und die Liebesbeziehung zweier Frauen ein Phänomen der Subkultur war. Damals, während einer Reise nach Rom, haben Madeleine und Nina sich kennen- und liebengelernt und sind zusammen geblieben. Obwohl Madeleine verheiratet war und Sohn und Tochter hatte. Mittlerweile ist der Ehemann lange schon tot und Madeleine hat einen Enkel, der bereits zur Schule geht. Doch Rom ist der Fluchtpunkt und Sehnsuchtsort der beiden Frauen geblieben. Und nun wollen sie, die inzwischen in ihren Siebzigern sind, endlich dorthin, um wenigstens ihren Lebensabend ohne Heimlichkeit gemeinsam zu verbringen.

Madeleine, die von Nina Mado genannt wird, muss ihren Kindern nur noch die Wahrheit sagen: dass sie ihre Wohnung verkaufen und mit der Frau, die sie seit Jahrzehnten liebt, ihrer Nachbarin Nina, die die Kinder als Madame Dorn kennen, nach Rom gehen wird. Vielleicht muss sie ihnen damit aber auch sagen, dass sie, Sohn Frédéric und Tochter Anne, ihre Mutter eigentlich gar nicht kennen.

„Wir beide“, das französischsprachige Spielfilmdebüt des aus dem italienischen Padua stammenden Filippo Meneghetti, ist voller nuancierter, subtiler, verborgener, verheimlichter, getarnter Gefühle. Und zugleich ist „Wir beide“ ein Film der großen dramatischen Gesten, des „Alles oder nichts“, des „Jetzt oder nie“.

Das ist natürlich nicht einfach und Martine Chevallier in der Rolle der Mado spielt das Versagen dieser immer etwas zurückhaltenden, sich selbst hintan stellenden Mutterfigur als einen geradezu physisch spürbar werdenden Widerstand, den es ihr nicht gelingt zu überwinden. Zugleich spielt sie den Schmerz ihrer Figur über das Andauern der Lüge und die Hoffnungslosigkeit, daran jemals etwas ändern zu können.

Foto: Weltkino/Paprika Films

Nach einem Streit mit Nina nämlich erleidet Mado einen Schlaganfall und was zuvor noch als recht gut gefügtes und einigermaßen abgesichert zusammengelogenes Konstrukt erschien, erweist sich nunmehr als Falle. Ninas Status sinkt zurück auf den der freundlich sich kümmernden Nachbarin Mme Dorn, die auf derselben Etage im Apartment gegenüber wohnt; der jederzeit mögliche Zutritt zur eigentlich gemeinsam bewohnten Wohnung Mados bleibt ihr verwehrt; die Türen auf dem Treppenabsatz, die zuvor immer offen standen, werden geschlossen. Und Nina hat wenig, auf das sie zurückgreifen kann, ihr Apartment ist voll unausgepackter Kisten, der Kühlschrank nicht mal eingeschaltet; während Mados Wohnung geradezu vollgestopft ist mit den Spuren jahrzehntelangen Familienlebens, mit Fotos und Erbstücken. Doch kaum irgendwo finden sich Spuren von Nina, sieht man von der zweiten Zahnbürste im Badezimmer einmal ab. Davon, dass eine gemeinsam ausgebildete Paar-Identität sich in einem gemeinsam bewohnten Raum widerspiegeln würde, kann also keine Rede sein. Was wiederum Rückschlüsse zulässt auf das Maß an Selbstverleugnung, das Mados und Ninas Liebesroman Zeit ihres Lebens prägte, sowie auf den Druck, den die geänderte Situation auf die beiden ausübt.

Foto: Weltkino/Paprika Films

Ein systemischer Shutdown, der sich auch in Mados Krankheits-Symptomatik widerspiegelt. Konnte sie zunächst nicht aussprechen, dass ihre Nachbarin nicht nur eine gute Freundin ist, sondern ihre langjährige Geliebte, verliert sie nun tatsächlich die Sprache. Also muss Nina die Stimme erheben und für beide sprechen, Nina, die Jahrzehnte lang tot geschwiegen worden war. Doch sie tut das. Und sie kämpft. Sie kämpft wie die sprichwörtliche Löwin. Weswegen „Wir beide“ nicht nur ein ernstliches Familiendrama ist, sondern auch ein ziemlich spannender Liebesfilm, der inszenatorisch Elemente des Thrillers aufgreift und mit Codes des Suspense arbeitet.

Dass diese mit ruhiger Hand vollzogene Verbindung der Genres funktioniert, ist zu nicht geringem Teil Barbara Sukowa in der Rolle Nina Dorns zu verdanken. Sukowas Karriere ist geprägt von angriffslustigen Frauenfiguren, die sich einer Über-Macht nicht ohne weiteres und sowieso nur ungern beugen; erinnert sei beispielhaft an die zahlreichen Kollaborationen der Schauspielerin mit Margarete von Trotta, in deren Filmen sie unter anderem Hildegard von Bingen, Rosa Luxemburg und Hannah Arendt verkörperte. Wie diese Frauenfiguren ist auch Nina Dorn eine, die sich nicht mundtot machen lässt, und wie diesen verleiht Sukowa ihr eine Energie, die ihre nervenaufreibend riskanten Aktionen nicht nur nachvollziehbar und notwendig wirken lässt, sondern auch glaubwürdig und souverän durchgezogen. Immerhin geht es um nicht weniger als die eine große Liebe.

Foto: Weltkino/Paprika Films

Also zittert man mit ihr, wenn sie mitten in der Nacht in die ehemals gemeinsame Wohnung schleicht und sich am Schlafzimmer der hellhörigen Pflegerin vorbei zum Bett der Geliebten tastet. Tatsächlich gelingt es Nina mit ihrer Hartnäckigkeit schließlich, Mado aus ihrem Stupor zu wecken, doch „Wir beide“ ist kein Friede-Freude-Eierkuchen-Werk, das in der These „Rettung durch Liebe“ sein leichtes Ziel und Ende finden würde. Dass die Ereignisse in der Folge geradezu tragische Dimensionen annehmen, liegt auch daran, dass mit der Offenlegung der Lebenslüge der Mutter zugleich die erinnerte Wirklichkeit ihrer Kinder zerbricht: Was diese für die Realität ihres Aufwachsens gehalten hatten – liebende Eltern, ein harmonisches Zuhause – erweist sich mit einem Mal als Trugbild. Die Gegenwehr fällt vehement aus, wird aber nachvollziehbar dank des genauen Spiels von Léa Drucker in der Rolle von Tochter Anna, die zwischen schockierter Erkenntnis, instinktiver Verleugnung und zögerlicher Akzeptanz das richtige Maß findet.

Meneghetti gelingt mit „Wir beide“ ein von Solidarität und Empathie geprägtes, sorgsames Porträt des Gefühls der Sehnsucht: Der Sehnsucht der Geliebten nacheinander, der Sehnsucht der Tochter nach der Mutter, vor allem aber der Sehnsucht nach Aufrichtigkeit und Wahrheit im eigenen Leben. Die Lüge, das wird in „Wir beide“ schmerzlich deutlich, die Lüge, die so billig und leicht zu haben ist, sie fordert am Ende immer einen hohen Preis. Und manchmal kann man ihn nicht mehr zahlen.




Wir beide
von Filippo Meneghetti
FR/LU/BE 2019, 95 Minuten, FSK 6,
deutsche SF & französische OF mit deutschen UT,

Weltkino

Im Juli in der queerfilmnacht.

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