Tackling Life

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Neu auf DVD und VoD: Die „Berlin Bruisers“, Berlins schwules Rugby-Team, sind leider die schlechteste Mannschaft der Stadt. Dennoch haben sie miteinander etwas aufgebaut, das über die Fantasien von Menschen, die die Wort-Kombination „schwul“ und „Rugby“ entweder widersprüchlich oder sexy finden, weit hinausgeht. Und über den sportlichen Ehrgeiz sowieso. Johannes List hat einen Film über den Einzelkampf im Alltag und den Teamgeist auf dem Trainingsplatz gemacht, der ein warmes Communitygefühl ausstrahlt. Können wir gut gebrauchen, findet Axel Schock.

Foto: Edition Salzgeber

Götter des Alltags

von Axel Schock

Seien wir ehrlich: Rugby zählt in unseren Breitengraden nicht gerade zu den Volkssportarten, und schon gar nicht zu den Top 5 der beliebtesten Körperertüchtigungen von Schwulen. Dass Rugby dennoch Einzug in die schwule Alltagskultur hielt, dürfte wohl vor allem auf den alljährlichen Wandkalender „Dieux du Stade“ zurückzuführen sein, für den sich Spieler der Pariser Rugby-Mannschaft als Aktmodelle verdingen.
Umso überraschender, dass 2012 tatsächlich ein Dutzend Kerle dem Aufruf zu einem Rugby-Training im Berliner Tiergarten gefolgt sind und schließlich mit den „Berlin Bruisers“ Deutschlands erstes schwules (und inklusives!) Rugby-Team gegründet haben.

Schwule und der angeblich härteste und gefährlichste Mannschaftssport? Diese Kombination evoziert bei Homo- wie Nicht-Homosexuellen verräterische Klischees wie auch die eine oder andere erotische Phantasie. Ob da wohl kraftstrotzende Muskelkerle, wie eben jene Pariser „Götter des Stadions“, im sexy Sportdress hemmungslos übereinander herfallen? Oder sind die schwulen Jungs für diesen echten Männersport nicht viel zu weich, zu grazil und albern und wollen die sonst so testosterongeladene Jagd nach dem Ball bestenfalls persiflieren?

Eine schwule Rugby-Mannschaft erschüttert unweigerlich das vorherrschende Bild von Männlichkeit, auch das der nicht-heterosexuellen. Man ahnt, auf welche neckisch-schlüpfrige und lustige Inszenierungsideen beispielsweise ein Journalist eines privaten TV-Senders bei diesem Stoff verfallen wäre.

Johannes List, Jahrgang 1984, der für seinen Dokumentarfilm „Tackling Life“ die Berliner Bruisers eine Saison lang mit der Kamera begleitet hat, ging es weder darum, diese schwule Rugby-Mannschaft Deutschlands als schräge Kuriosität zu inszenieren, noch darum, Klischees zu zementieren oder sie vordergründig zu zerstören. Vielmehr verfolgt der Absolvent der Hochschule für Fernsehen und Film München in seinem Abschluss- und Debütfilm einen ganz anderen und letztlich sehr nachliegenden Weg: Er beobachtet die Spieler bei ihren Trainingsstunden, begleitet sie zu Wettkämpfen und Vereinstreffen. Einige der Teammitglieder gewähren zudem auch Einblick in ihr Privatleben.

Foto: Edition Salzgeber

Der Vereinsgründer und Trainer Adam etwa besucht mit seinem Lebenspartner über die Weihnachtstage seine Mutter in Großbritannien. Der Architekt Colin überlegt sich beruflich neu zu orientieren und eine Karriere als Drag Queen einzuschlagen. Trans*mann Jan „Su“ hingegen hat als Trauerbegleiter und Bestatter seine berufliche Erfüllung gefunden. Und Nico, ein Bär von Mann, lässt sich beim Surfen auf schwulen Datingseiten filmen und spricht mit berührender Offenheit über seine Einsamkeit.

Es sind nur recht kurze Szenen und markante Statements; kleine Schlaglichter auf unterschiedliche Lebensgeschichten, Lebenswirklichkeiten und Alltagsmomente. List verzichtet dabei auf jegliche Off-Kommentare, Interviewfragen und eine den Zuschauer bevormundenden Dramaturgie. So lernen wir die Protagonisten erst über die eineinhalb Stunden hinweg nach und nach kennen, und man ist immer wieder überrascht, welche neuen Facetten sich da unvermittelt auftun.

Foto: Edition Salzgeber

Der Dokumentarfilm vermittelt dabei nicht nur ihre Freude am Sport und am Gruppenerlebnis, sondern lässt die Kinobesucher_innen an ihren ureigenen, ganz persönlichen Kämpfe teilhaben: Gleich ob im privaten Umfeld oder auf dem Sportplatz, Johannes List kommt seinen Protagonisten ungemein nahe, zeigt sie in still beobachten Situationen, ohne ihnen unangenehm auf die Pelle zu rücken oder den Zuschauer zum unfreiwilligen Voyeur zu machen. Im Gegenteil: die Berlin Bruisers haben List und seine Kameramänner Tim Kuhn und Eugen Gritschneder sicht- und spürbar ihr Vertrauen geschenkt und sie in ihre Mitte aufgenommen. Entdeckt hat List dort ein Team, die sich selbst ganz unironisch als die sicherlich schlechteste Rugby-Mannschaft Berlins bezeichnet. Jan „Su“ sieht sich selbst als den untalentiertesten Spieler der Bruisers und doch: „Ich habe mir noch die Gedanken gemacht, dass das ein Problem sein könnte.“

Foto: Edition Salzgeber

Nicht, dass die Bruisers den Sport nicht ernst genug nähmen. Aber die wenigsten von ihnen hatten zuvor mit Rugby überhaupt etwas zu tun. Als Laienmannschaft gegenüber etablierten nicht-schwulen Mannschaften auf dem Spielfeld mithalten zu können, braucht seine Trainingszeit. Die schier endlose Serie an verlorenen Spielen wird im Laufe des Films zwar gebrochen, doch all die Niederlangen haben den Bruisers den Spaß am Sport nicht genommen. Denn allein ums Siegen geht es ihnen gar nicht. Mannschaft bedeutet für sie vor allem Gemeinschaft, Zugehörigkeit und gegenseitiges Vertrauen bis hin zur gegenseitigen Fürsorge. Kampfgeist, Fairness, Spaß gehen hier Hand in Hand mit gesellschaftlichem Engagement. „Einfach indem wir existieren, sichtbar sind und uns nicht schämen für das, was wir sind, verändern wir bereits etwas“, erklärt der Spieler Colin. List zeigt die Bruisers aber auch bei ihren außersportlichen Aktivitäten, bei einem Anti-Mobbing-Workshop in einer Schulklasse oder einem Event von Krankenhaus-Clowns.

Foto: Edition Salzgeber

Johannes List gelingt mit „Tackling Life“ ein überaus vielfältiges und vielschichtiges Gruppenporträt, das gleichermaßen mitreißend, berührend und unterhaltsam ist. Und ja, um den Rugby-Sport geht es natürlich auch, auch wenn ich, um ehrlich zu sein, die Spielregeln bis heute nicht verstanden habe. Was List mit „Tackling Life“ aber gelingt: dass selbst ein Mannschaftsportmuffel wie der Autor dieser Zeilen mit großem Spaß und wachsender Begeisterung den Bruisern beim Trainieren, Verlieren und Gewinnen, beim Feiern und Herumalbern zuschaut und neben viel Respekt tatsächlich ein wenig Neid empfindet. Denn was die Bruiser miteinander aufgebaut haben und tatsächlich auch leben, ist für viele in der queeren Community nicht immer so leicht zu finden. Für so manche(n) werden der Teamgeist und das Gemeinschaftsgefühl, von dem die Bruisers getragen sind und das dem einen oder anderen in der Mannschaft eine entscheide Stütze in der Bewältigung der eigenen Alltagsprobleme ist, ein wenig utopisch vorkommen. Doch selbst wenn Johannes List ein wenig idealisiert haben sollte, so wäre „Tackling Life“ immer noch Film, der dazu ermutigt, sich für ein besseres Mit- und Füreinander in der LGBT-Community einzusetzen.




Tackling Life
von Johannes List
DE 2018, 93 Minuten,
deutsch-englische OF mit deutschen UT,

Edition Salzgeber

Hier auf DVD.

vimeo on demand

VoD: € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)

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