Bohemian Rhapsody

TrailerKino

Heiß ersehnt, vor allem von Queen-Fans: Seit dieser Woche läuft Bryan Singers „Bohemian Rhapsody“ in den deutschen Kinos, das vor allem ein Biopic des legendären Freddie Mercury sein will. In der Hauptrolle brilliert der in Deutschland bisher weitgehend unbekannte US-Schauspieler Rami Malek („Mr. Robot“, „Papillon“). Das man dem echten Freddie trotz Maleks beeindruckender Bühnenpräsenz nur selten nahe kommt, hat seine Gründe in einem allzu pathetischen und mutlosen Drehbuch, das nur haarscharf am Straightwashing vorbeischrammt. Ein fragwürdiges Filmspektakel, findet unser Autor Paul Schulz.

Foto: 20th Century Fox

„Diese Leute da“

von Paul Schulz

„Is this the real life, is this just fantasy?“
(Queen)

Filmbiografien sind ein merkwürdiges Genre. In den meisten Fällen werden sie gedreht, wenn die Person, von der sie erzählen, längst tot ist, und deswegen nicht mehr sagen kann: „So war das aber nicht. So habe ich das nicht gemeint. So hat das aus meiner Perspektive gar nicht ausgesehen.“ Was dazu führt, dass diese Erzählungen bemüht sind, Dinge über eine öffentliche Person zu enthüllen, die das Publikum noch nicht wusste, sich dabei aber fast immer sekundärer, zutiefst unzuverlässiger Quellen mit eigener Meinung und Moral bedienen müssen. Gleichzeitig haben sie die Verpflichtung, eine Art „Greatest Hits“ der längst bekannten Versatzstücke über die berühmte Person abzufackeln, damit das Publikum den Menschen, von dem da erzählt wird, auch ja wiedererkennt.

Fangen wir also mit den „Greatest Hits“ an: Farrokh Bulsara wurde am 5. September 1946 in Stone Town im heutigen Tansania, damals noch Sansibar, geboren. Mit sechs Jahren wurde er nach Indien verschifft, um dort auf einem englischen Internat erzogen zu werden. Dort gründete er mit 12 seine erste eigene Band, The Hectics, und begann, weil viele seiner Mitschüler seinen Vornamen nicht richtig aussprachen, sich „Freddie“ zu nennen. Er war ein schüchternes Kind mit großen Augen, vier extra Zähnen und einem enormen Überbiss, das von seinen Mitschülern oft gehänselt wurde. Als er 17 war, flohen seine Eltern und Freddie vor der Revolution in Sansibar nach Großbritannien und ließen sich dort in Middlesex nieder. Bulsara schloss ein Kunststudium in London ab und verkaufte danach, zusammen mit Mary Austin, die er später „der Liebe meines Lebens“ nannte, Altkleider und eigene Entwürfe auf Flohmärkten. Außerdem arbeitete er am Flughafen Heathrow.

Im April des Jahres 1970 wurde er der Leadsinger von Smile, einer Band der schon Brian May an der Gitarre und Roger Taylor am Schlagzeug angehörten. Wenig später kam Bassist John Deacon dazu, Freddie änderte seinen Nachnamen im selben Jahr auch offiziell zu Mercury, den der Band in Queen und entwarf ein Design für den Bandnamen, das die Sternzeichen der vier Bandmitglieder kombinierte und noch heute, 48 Jahre später, in Gebrauch ist. Nachdem sich die Band in England bei  Hunderten Auftritten in Pubs und Clubs ein Publikum erspielt hatte, nahm sie ein Plattenlabel unter Vertrag. Schon das erste Album war ein internationaler Erfolg, viele weitere folgten. Queen gilt heute als eine der wichtigsten Bands der Rock- und Pop-Geschichte – mit weltweit 120 Millionen verkaufter Alben. Freddie lebte bis 1976 mit Mary Austin zusammen, danach mit einer Reihe von Männern, äußerte sich aber bis zu seinem Tod nie abschließend zu seiner sexuellen Orientierung. 1985 traf er Jim Hutton, seinem letzten Lebenspartner. Am 23. November 1991 gab Mercury öffentlich bekannt, HIV-positiv und an den Folgen von AIDS erkrankt zu sein. Er starb einen Tag später.

„Bohemian Rhapsody“, ein Film, an dem Regisseur Bryan Singer („X-Men“-Filmreihe, 2000-16) und die Drehbuchautoren Peter Morgan und Anthony McCarten fast ein Jahrzehnt gearbeitet haben, versucht nun diese Geschichte zu erzählen und macht dabei einiges richtig. Singer hat mit Rami Malek („Mr. Robot“, TV, seit 2015) einen Hauptdarsteller gefunden, der in der Lage ist, Mercury in all seiner körperlichen Komplexität – und über das bemerkenswerteste Filmgebiss seit „Austin Powers“ (1997-2002) hinweg – lebendig werden zu lassen. Was kein einfaches Unterfangen ist: Mercury war auch deswegen für zwei  Jahrzehnte ein Rockgott, weil er eine unglaubliche Bühnenpräsenz hatte und in der Lage war, zehntausende Menschen gleichzeitig mitzureißen.

Foto: 20th Century Fox

Der Film benutzt genau diese Ausgangslage als Rahmen für seine Erzählung: Anfang und Ende von „Bohemian Rhapsody“ bildet der berühmteste Auftritt der Band: ihr Gig beim Live Aid-Konzert im Londoner Wembley Stadion am 13. Juli 1985 vor 100.000 Zuschauern und einem weltweiten Fernsehpublikum von 1,5 Milliarden. In 20 Minuten deklassierten Queen Kollegen wie Paul McCartney und David Bowie, und Mercury zeigte der gesamten Welt, wie man das macht: ein Rockstar sein. Der vor Tausenden von Fans in drei Tagen vollständig nachgestellte Auftritt ist in den letzten 15 Minuten die Stelle des Films, an der alles wirklich gut wird, rein handwerklich gesehen. Sie zeigt aber im Vergleich mit den verbleibenden fast zwei Stunden, in denen hauptsächlich holperig die Geschichte der Band und ihrer Hits erzählt und über Mercurys Privatleben spekuliert wird, auch in aller Deutlichkeit, wo seine Schwächen liegen: „Bohemian Rhapsody“ traut sich nicht so richtig.

Foto: 20th Century Fox

Was schade ist. Und vielleicht schlicht daran liegt, dass Brian May und Roger Taylor sich nicht raushalten konnten. Die beiden Queen-Musiker sind Mitproduzenten des Films und haben das Drehbuch stark beeinflusst, so hört man. Das hätten sie besser gelassen. Denn das Ergebnis ist ein Film, der sich zwar nicht scheut, Freddies HIV-Coming-out gegenüber der Band direkt vor den Live Aid-Auftritt 1985 und damit zwei Jahre vor seiner eigentlichen Diagnose 1987. Aber was Mercurys Sexualität anbelangt ist er so schüchtern wie ein englisches Schulmädchen. Scheue Seitenblicke, Innuendos, verspielte Bemerkungen und zwei Küsse. So kann man von jemanden, dessen künstlerischer Antrieb auch seine über Jahrzehnte einerseits versteckte, anderseits fulminant ausgelebte Sexualität war, nicht berichten. Zwar gibt „Bohemian Rhapsody“ in einigen Szenen vor, etwas zu zeigen, dass nie zu sehen ist. Aber verwischte Koksreste auf Glastischen, und umgekippte Sektflaschen am nächsten Morgen sind eben nicht die Nacht davor. Malik sagte in Interviews zum Film: „Ich wusste erst nicht, wie ich Freddy verstehen sollte. Bis ich gemerkt habe, dass seine Seele in den Songs blank liegt. Es ist alles da, man muss nur hinhören.“ „Bohemian Phapsody“ hört lieber weg, damit die gewünschte FSK-Freigabe nicht Gefahr läuft zu kippen.

Foto: 20th Century Fox

Nun könnte man einwenden, dass der Film mit Mercurys Sexualität eben genauso umgeht, wie Mercury selbst: andeutend, diskret, stellenweise aktiv verhüllend. Was für Mercury verständlich ist: Als der mit seinem ersten Mann schlief, stand auf Homosexualität in Großbritannien noch Zuchthaus, und Oscar Wildes Geist guckte jedem schwulen Mann beim Vögeln über die Schulter. Diese Perspektive 2018 beizubehalten – ein gutes Jahrzehnt, nachdem Elton John von Neil Tennant angeblich einen tschechischen Erotikdarsteller zum Geburtstag geschenkt bekam, wovon beide heute noch gern erzählen – ist schlicht prüde und führt zu einem Film, in dem die Figur von Mary Austin promiske Homosexuelle auch schon mal abfällig als „diese Leute da“ bezeichnen darf, bevor sie Freddie zurück in die liebenden Arme seiner Bandkollegen und Ursprungs-Familie holt.

Ob die allzu behäbige Moral der Grund dafür ist, dass Bryan Singer während der Dreharbeiten mehrere Tage einfach verschwand und für die letzten zwei Wochen von Dexter Fletcher ersetzt wurde, ist nicht bekannt. Was allerdings bekannt ist: der eigentlich schon als Mercury besetzte Sasha Baron Cohen („Borat“) verabschiedete sich vor Drehbeginn vom Projekt und ließ öffentlich verlauten, ihm sei das Drehbuch zu sehr mit den Bandkollegen und zu wenig mit Mercurys Geschichte beschäftigt gewesen. So kann man das auch sagen. Oder: „Bohemian Rhapsody“ ist ein Film, der aus vielen Versatzstücken zusammengeklebt ist, die jedes für sich einen hübschen kleinen Film abgeben, allerdings nicht den gleichen. Dieses Sammelsurium aus oft mitreißenden und unterhaltsamen Szenen ist mit einer dicken, moralinsauren und etwas albernen Schicht Pathos überzogen, wird aber von einem brillanten Hauptdarsteller gekrönt. Das kann man sich schon ansehen. Oder man fährt einfach im Auto irgendwohin, hört Queens „Greatest Hits II“ und headbangt, was das Zeug hält. Dabei ist man wahrscheinlich näher an Freddie Mercury, als „Bohemian Rhapsody“ je kommt. Merkwürdig, aber wahr.




Bohemian Rhapsody
von Bryan Singer
US 2018, 132 Minuten, FSK 6,
deutsche SF, englische OF mit deutschen UT,

20th Century Fox

Ab 31. Oktober hier im Kino.

↑ nach oben