Touch Me Not

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Als die experimentelle Sexualitäts- und Liebesstudie „Touch Me Not“ im Februar mit dem Goldenen Bären der Berlinale ausgezeichnet wurde, war die Filmkritik zwischen heller Begeisterung für die unorthodoxe Wahl und scharfer Empörung tief gespalten. Radikal entblößt die rumänische Regisseurin Adina Pintilie in dem Film die seelischen und körperlichen Tabus unserer vermeintlich sexuell befreiten Zeit und scheut sich auch nicht, Menschen mit Angststörungen und körperlicher Behinderung auf dem Weg zu einer erfüllten Intimität zu begleiten. Sebastian Markt hat sich an „Touch Me Not“ herangewagt – und sich von ihm berühren lassen.

Sich nah sein

von Sebastian Markt

Es beginnt mit der Haut, einer Haut, in Großaufnahme, ihren Falten und Poren, und den Haaren die aus ihr sprießen, so nah, dass es wirklich Haut ist, und nicht ein Körper, den sie umschließt und beschreibt, eine Oberfläche, die sichtbar lebendig ist und damit doch auf den Menschen verweist, zu dem sie gehört.

Es beginnt aber auch mit einer Apparatur, einer filmischen freilich, aber nicht nur der, die erlaubt, dass das, was man sieht, auf eine Leinwand projiziert werden kann, sondern auch einer, die selbst ins Bild rückt, man sieht wie die Kamera aufs Stativ gesetzt und eine Vorrichtung installiert wird, die es möglich macht, dass eine Interviewte in die Kamera blickt und dabei, auf einem Spiegel davor, das Gesicht der Interviewerin ansieht.

Es beginnt schließlich, und noch einmal, mit Sprache, einer körperlösen zunächst, die eine Frage nach dem Ausbleiben einer anderen Frage stellt, der worum es in dem Film denn ginge, einer Frage, die wiederum keine Antwort erfährt.

Es geht weiter, mit einer Begegnung zwischen einem Mann und einer Frau, auf der Straße und dann in einer Wohnung. Der Mann zieht sich aus und duscht sich, während die Frau ihm Fragen stellt, nach seinen Tätowierungen zum Beispiel und einer ganz besonders, die Schrift ist, aber was es genau damit auf sich hat, das möchte der Mann nicht so recht sagen, weil es persönlich sei.

Womit es – zunächst – nicht weitergeht, ist einer Berührung. In der ersten Begegnung im Bild findet sie nicht statt. Die Frau betrachtet den Mann, der in ihrem Bett masturbiert, und wenn er gegangen ist, wird sie sich in die Laken wühlen, und ihren Geruch und den des Mannes einsaugen.

Die Frage, die der Regisseurin, deren Stimme am Anfang des Films zu hören ist, nicht gestellt wurde, ist tatsächlich nicht leicht zu beantworten. Oder schon, einerseits: Adina Pintilies Film “Touch Me Not“ ist ein Film über Intimität. Das wäre zweifelsohne richtig, fällt andererseits ein Urteil, das vorwegnimmt, was der Film selbst als zweistündige Suchbewegung vollzieht, und suggeriert eine Eindeutigkeit, die der Film nicht nur unterläuft, sondern der er eigentlich entgegenarbeitet und dabei einen Weg wählt, in dem Form und Gegenstand ineinanderübergreifen.

Foto: Alamode

Pintilie, die in den Traditionen und Neuerungen des experimentellen Kinos bewandt ist und auch als künstlerische Leiterin des Internationalen Experimentalfilmfestivals Bukarest fungiert, beschreibt Film oft als eine gemeinsame Form der Recherche. Das verweist zum einen auf die Praxis von artistic research, einer seit über einem Jahrzehnt etablierten transmedialen und transdisziplinären Hybridform, die künstlerische Formen von Evidenzproduktion epistemologisch ernst nimmt und umgekehrt Erkenntnisprozesse reflexiv zum Gegenstand künstlerischer Arbeiten macht.

Zum anderen, und das ist im vorliegenden Fall die triftigere Fährte, ist damit ein ergebnisoffener Prozess gemeinsamer Erkundung assoziiert. Pintilies Mitstreiter*innen sind hier, neben ihrem Team, vor allem eine Reihe von Personen die vor der Kamera miteinanderund durch die Kamera hindurch mit der Regisseurin in Beziehung treten.

Da ist an erster Stelle Laura, deren Weg durch den Film einer Handlung am nächsten kommt, eine Frau um die 50, die vor Berührung zurückschreckt und Lust scheinbar nur aus der Distanz verspüren kann. Es gibt ein Begehren oder zumindest einen Wunsch. Die Momente zwischen ihr und ihrem verstummten Vater im Krankenhaus lassen die Lesart einer traumatischen Erfahrung zu, die einen Grund von Lauras Kontaktschwierigkeiten darstellen könnten. Ihre Suche nach einer Berührung, die sie nicht zurückschrecken lässt, führt sie zunächst zu einer Reihe von Sexarbeiter*innen, die sie in ihrer Wohnung aufsuchen. Hannah zum Beispiel, einer Frau die wenig älter ist als Laura und ihr Geschlecht erst seit wenigen Jahren öffentlich lebt. Oder Seani Love, der zwischen BDSM und Tantra nach einem Weg sucht, Laura durch konsensuale Grenzüberschreitungen aus ihrer Starre zu holen.

Und dann sind da Tómas und Christian, die die Kamera zuerst in einem Touch-Yoga-Workshop beobachtet, als der eine, dem als pubertierenden Jugendlichen sämtliche Körperhaare ausgefallen sind, den anderen, dessen verkrümmter Körper von Muskelschwund gezeichnet ist, mit vorsichtigen Fingern im Gesicht berührt, um ihn, in den Worten des Workshop-Leiters, mit den Fingern zu sehen. Die Konstellationen, in denen sich diese und andere Charaktere begegnen, werden wechseln, zusammen und allein, vereint darin, dass sie von einem Rand her auf die Frage zugehen, wie das ginge: anderen nahe sein. Und die Frage ein ums andere mal auf ihr Komplementär zurückspielt: sich selbst nahe sein.

Es fügt sich in Pintilies Verfahren, dass die Grenzen zwischen Personen und Figuren fließend sind. Der Film gibt keine Anhaltspunkte, um eine Trennlinie einziehen zu können zwischen einem Filmselbst, und einem, das außerhalb existiert. Er gibt dazu aber auch keinen Anlass, was die Protagonist*innen als Einsatz mitbringen, ist eine Wahrheit der Körper. Sprechen, Betrachten, Berühren: Hannah, die voller Zuneigung über ihren eigenen, in ihren Worten „unvollkommenen“ alternden Körper spricht. Tomás, der Christian den Speichel abwischt, der im aus den Mundwinkeln tropft. Seani, der Laura am Gelenk hält, bis sie es nicht mehr aushält, ihr auf den Brustkorb boxt, bis ihr ein Schrei entfleucht, der zugleich ihre klarste und unklarste Artikulation ist. Laura, die die Regisseurin auffordert, mit ihr Platz zu tauschen, und sie vor die Kamera setzt. Christian, der darüber spricht, wie er seinen Körper nutzlos findet, wie er ihn schön findet, wie er ihn da, wo es um die Möglichkeit geht, Lust zu empfinden, nicht verlässt.

Foto: Alamode

Mit wenigen Ausnahmen, deren grellste ein düster im Stroboskop-Licht pulsierender Sexclub ist, den Tómas durchstreift, sind die Räume von „Touch Me Not“ von einer fast klinischen Weißheit. Die Kontrastarmut der weißen Räume, das therapeutische Dispositiv, das die Begegnungen wie auch die Selbstauskünfte prägt und nach Widerständen sucht, die es zu überwinden gilt: Zusammen führen Pintilies ästhetische Entscheidungen zu einem Verwischen gesellschaftlicher Konturen und zur Desartikulation einer Politik der Intimtität, die man als Fluchtpunkt noch hätte vermuten können. Pintilies Film umkreist eine Ethik der Intimität, die alle Fragen abstrakter Verhältnisse in konkreten Momenten der Berührungen auffangen möchte.

Dass „Touch Me Not“ ein irritierender Film ist, behaupten die ablehnenden Stimmen (von denen es bei seiner Weltpremiere im Wettbewerb der Berlinale viele gab, und erst recht, als er auch noch mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde) so sehr, wie es die anderen, die von ihm fasziniert sind, nicht in Abrede stellen. Dass der Film in der denkbar größten Sanftheit einer transgressiven Poetik folgt, Dinge ausspricht und zeigt, die anderswo beschwiegen und verborgen bleiben, scheint mir nicht die größte Provokation zu sein. Tiefer sitzt, dass Intimtität im Grunde einen unmöglichen filmischen Gegenstand darstellt: der Ausschluss der Welt zugunsten eines anderen oder sich selbsts, aufgeführt und aufgenommen zur Betrachtung der vielen und wahrgenommen im sozialen Raum des Kinos, in der Gegenwart von Fremden. Dass „Touch Me Not“ durch seine beständigen Spiegelungen dieses Paradoxon in den Zuschauer*innenraum auflöst, indem er ein unbeteiligtes Betrachten unmöglich macht, ist seine größte Irritation. Vielleicht gab es noch nie einen Film, der so sehr darin insistiert war, sich berühren zu lassen.

 

 



Touch Me Not
von Adina Pintile
RO 2018, 125 Minuten, FSK 16,
deutsche SF, rumänische OF mit deutschen UT,

Alamode

Ab 1. November hier im Kino.

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