Sebastiane (1979)
Trailer • DVD/VoD
Der beim Kaiser in Ungnade gefallene Gardist Sebastian, der sich offen zum Christentum bekennt, wird an einen isolierten Außenposten des Reichs verbannt. Die anderen Soldaten dort vertreiben sich in brütender Hitze mit Schwertübungen, Körperpflege und erotischen Spielen die Zeit. In der aufgeheizten Situation gerät Sebastian in Konflikt mit dem sadistischen Hautpmann Severus, der heimlich in ihn verliebt ist. Da Sebastian sich ihm verweigert, wird er von den Kameraden mit Pfeilen erschossen. In seinem ersten Spielfilm setzt Derek Jarman die letzten Tage des berühmten Heiligen vollumfänglich in die Zeichen queerer Erfahrungswelten, indem er dessen religiöses Martyrium als erotische Geschichte über Homosexualität und Homophobie interpretiert. Janick Nolting über einen Meilenstein des nicht-heteronormativen Kinos.

Foto: Salzgeber
Macht und Ohnmacht
von Janick Nolting
Mit dem religiösen Zeugnis ist es nicht getan. Die Faszination für das Martyrium des Heiligen Sebastian, der christlichen Ikone, richtet sich auf Resilienz und Beharrlichkeit. Zugleich konfrontiert sie die menschliche Natur mit ihrem ganzen Zweifeln und Hoffen, ihrer Endlichkeit. Sebastian, gebunden an einen Pfahl, durchbohrt von den Pfeilen seiner Peiniger, den Blick in vielen Darstellungen gen Himmel gerichtet, ist vor allem ein starkes Zwischenbild: Ein Mann zwischen den Sphären, weder tot noch lebendig. Erhoben über die eigene Pein, die dennoch tiefe Wunden reißt. Marter und Tod treffen auf Akzeptanz und Stärke. Das Unbezwingbare wird bezwungen und das Sterben zur Ekstase, da es sich etwas Höherem vergewissert.
Der Übergang und die Annäherung an das Unbegreifliche des Todes scheinen die Menschen immer wieder aufs Neue zu diesem Bildnis der Transzendenz zu verführen, weil in ihm Macht und Ohnmacht, Leid und Souveränität so eindringlich verschmelzen. Im Laufe der Geschichte wurde diese historische Figur, die während der römischen Christenverfolgung für ihren Glauben gestorben sein soll, immer wieder adaptiert. In der Malerei der Renaissance erfreute sie sich etwa großer Beliebtheit, später tauchte sie insbesondere auch in queeren Kontexten auf. Sebastian wurde zu einem Code, Mythos und Patron, der Gewalt und Stigmatisierung mit Anmut und Leidensfähigkeit begegnet.
Neben der Malerei, etwa in Werken von Sandro Botticelli, Guido Reni oder Albrecht Dürer, wurde der Heilige auch im Kino und in theatralen Praktiken beschworen. Der amerikanische Performance-Künstler Ron Athey beispielsweise berief sich mehrfach auf Sebastian als queere, widerständige Ikone. Im Zuge der Aids-Krise und ihrer verheerenden Stigmatisierungen erfuhr die Legende des Leidenden und Leid Ertragenden eine entsprechende Aneignung: Athey stellte das Martyrium in Inszenierungen wie „Martyrs & Saints“ (1992) nach und ließ seine Haut vor Publikum mit Pfeilen und Nadeln durchbohren. Sebastian galt schon im Laufe früherer Jahrhunderte als Schutzpatron vor Krankheit und Tod. In den Inszenierungen Atheys wird das Spiel mit den Bildern des Heiligen zu einer Auseinandersetzung mit Scham, Drogensucht, religiösem Fundamentalismus, dem Trauma der HIV-Pandemie und dem eigenen infizierten Körper. Diskriminierung und Kontrollverlust setzt er in der Selbstverletzung ein Opfer als Provokation und Geste der Ermächtigung entgegen. Schmerz als Spiegel, kultische Ekstase und künstlerisches Ritual.
Einige Jahre vor Atheys Durchbruch sowie den Skandalen und Kulturkämpfen, die sich daran anschlossen, wurde Sebastian zum Protagonisten eines Meilensteins des queeren Kinos. Derek Jarman, der mit herausragenden Werken wie „Caravaggio“ (1986) oder dem Experimentalfilm „Blue“ (1993) queere Filmgeschichte schrieb, widmete der Heiligengestalt gemeinsam mit Co-Regisseur Paul Humfress seinen ersten langen Spielfilm. Im Jahr 1976 wurde „Sebastiane“, der auf einem Drehbuch von Jarman, Humfress und James Whaley basiert, uraufgeführt. Der Film interpretiert das religiöse Martyrium der Haupt- und Titelfigur als erotische Geschichte über Homosexualität und Homophobie und setzt es vollumfänglich in die Zeichen queerer Erfahrungswelten. Die Entscheidung, „Sebastiane“ komplett in lateinischer Sprache zu drehen, kann dabei weniger als reines Streben nach historischer Authentizität verstanden werden. Stattdessen verstärkt dieser Kniff das Groteske des Films, der das vermeintlich Disparate aus Sakralem und künstlerischem Kitsch, Religion und Sexualität miteinander verschmelzt. Das verfremdet den Blick auf ein System männlicher Gewalt, das der Film im historischen Setting vorführt und über das erotische Begehren dekonstruiert.

Foto: Salzgeber
„Sebastiane“ schildert die Heiligenlegende zunächst als ästhetischen Kahlschlag: Im Sommer des Jahres 303 feiert Kaiser Diokletian, der Christenverfolger, sein Thronjubiläum. Die Festlichkeiten widmet er, wie eine Texttafel erklärt, auch seinem Günstling Sebastian, Soldat und Anführer der Palastwache. Jarman und Humfress inszenieren diesen Blick in das Imperium als üppiges Spektakel: expressives Make-Up, bunte Räume, Tänzer mit bemalten Riesenpenissen. Bis die Ausgelassenheit in Gewalt umschlägt. Eine Hinrichtung soll vollstreckt werden, gegen die Sebastian, verkörpert von Leonardo Treviglio, rebelliert. Also verbannt ihn sein Herrscher in die Ferne. Der Hedonismus kippt in das Bild gefletschter Zähne. Ein bluttropfender, keuchender Schlund in Großaufnahme fasst die Brutalität der Macht und Verfügungsgewalt in ein aggressives Bild.
Wenig später ist von diesem bunten, dick aufgetragenen Pomp nur noch wenig zu spüren. Und hier geschieht der erste große Sprung. Eine Art Ur-Welt erscheint, in die Sebastian mit anderen Männern verfrachtet wurde. In einem Grenzgebiet sollen sie lernen, dem römischen Reich zu dienen. Karge Steinbauten, archaische Landschaften, funkelndes Wasser, Dünen, Gräser, schroffe Felsen. Grau- und Brauntöne dominieren. Noch ehe sich eine Handlung vollends entsponnen hat, scheint sie sich wieder aufzulösen. Die Radikalität des Films besteht nicht zuletzt in der Lust am Stillstand und der vorgeführten Lethargie, die die Figuren zu zermürben beginnt. Halbnackt, mit knappen Strings und Lendenschürzen, wenigen Rüstungsteilen, manchmal auch komplett entkleidet, fristen die Männer ihr Dasein. Eine Trainingseinheit nach der anderen steht an. Schwertkampf, Ringen und Raufen, Körperpflege, dazwischen ein Ballspiel. Dann sitzt man wieder und wartet, dass die Zeit vergeht. Jeder schattige Platz scheint zum Luxus in der Glut des Tages zu werden. Wer sich diesen Routinen entzieht, wird bestraft, wie Sebastian bald am eigenen Leib erfährt.

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Die Alltagsbetrachtungen in „Sebastiane“ weisen aus heutiger Sicht deutliche Parallelen zu dem rund zwei Jahrzehnte später entstandenen „Der Fremdenlegionär“ (1999) von Claire Denis auf. Beide Filme schwelgen in den immergleichen Abläufen eines sinnlosen militärischen Drills, vollzogen in großer Abgeschiedenheit und mit einer zur Schau gestellten Männlichkeit, die sich in jeder Szene aufs Neue formt und sich von sich selbst vergewissern will. Das ach so gefestigte männliche Image und die damit verbundenen Macho-Gebaren erscheinen derweil immer fragiler. Beide Filme finden in der Hitze, in sonnigen Aufnahmen und den gestählten, entblätterten Männerkörpern immense Sensationen. Oberflächen werden mit der Kamera geradezu tastend vermessen und füllen die Bilder. Milch, die eine Männerbrust herabrinnt. Stoff, der über eine Erektion fällt. Der staubige Boden. Die Haut selbst, die mit jedem angespannten Muskel neue Gebilde formt. Blut und Schweiß dringen aus ihren Poren.
„Sebastiane“ reizt damit die Grenzen zwischen erotischer Sinnlichkeit, kühler Objektivierung und Unterwerfung der Körper unter die Schaulust der Kamera gleichermaßen aus. Das Subjekt wird zum Objekt und Fetisch – und umgekehrt. Das erste Mal, als man Sebastian im Exil begegnet, wird der Blick auf ihn von einem Aufseher gebrochen und gespiegelt. Gaffend sitzt dieser da und scheint seine eigene Erregung nicht wahrhaben zu wollen, als der nackte Jüngling eine Vase klaren Wassers über seinen Körper gießt. Und die Dusche scheint gar nicht aufhören zu wollen, so sehr ergötzt sich auch die Kamera am Anblick des Nackten und der herabfließenden Flüssigkeit.

Foto: Salzgeber
Später raufen zwei Männer im Wasser, tauschen Küsse und Zärtlichkeiten aus. Es ist eine der markantesten Sequenzen in „Sebastiane“, weil sie in der Verlangsamung der Bewegung, dem Einsatz von Zeitlupen und der Fragmentierung der Körper ein solches Spektakel aus der Berührung macht, dass die ganze Grausamkeit der gezeigten Welt verunsichert wird. Die Erotik ist hier keineswegs nur reiner Schauwert, sondern untergräbt die Gewalt der Männer, die sich permanent gegenseitig necken, auslachen, bekämpfen und quälen und sich ihr latent oder ganz offen zu Tage tretendes homosexuelles Begehren nicht eingestehen wollen. Die Lust tarnt sich im Gewand der Phobie und Degradierung. Distanzen werden künstlich und verkrampft performt, wo sie in den zwischenmenschlichen Kontakten längst spielerisch überwunden sind. Aus der erotischen Zurückweisung und unerfüllten Befriedigung erwachsen Hass und Erniedrigung. Das Andersartige und Begehrte ist unbezwingbar, also soll beides verdrängt und vernichtet werden.
Und so wird gerade Sebastian, der Naturjunge und Pazifist, zum Feindbild und Sündenbock erklärt. Der militärischen Abrichtung und dem Kampf verweigert er sich. Schwerter werden zu Boden geworfen. Im Spiegelbild im Wasser spricht er zu seinem Gott. Tanzend und meditierend erscheint er in der Wildnis, zurückgezogen in seiner eigenen Welt, die weniger den Menschen als dem Himmlischen gebührt. Fesseln und sadistische Folter erträgt er, die sich im Film als Strafritual in sexuell aufgeladene Passionen verwandeln. Und so wird Sebastian erneut verstoßen aus dieser kleinen verbleibenden Männergruppe. Man bindet ihn an einen Pfahl, ehe das ikonische Martyriumsbild filmisch rekreiert wird: in aller Ruhe und in einer zerdehnten, intensiven Sequenz, mit den Geräuschen des Windes untermalt.
Und selbst in diesem offenkundigen Finale versteht es „Sebastiane“ noch zu überraschen. Der Passionsfilm geht über in jenes unbegreifbare, visuell verzerrte Dazwischen, das weder dem Diesseits noch Jenseits angehört. So groß und verschlingend die Lust auch wird, in diesen Schwellenbereich zu blicken – in „Sebastiane“ wechselt der Blick irritierend den Standpunkt. Er wird auf die Peiniger zurückgeworfen. Was hinter ihm liegt, ist nichts für die Lebenden, also bleibt diesen nur, sich abzuwenden. Erleuchtet, bekehrt oder erschüttert, ganz bei sich. Übermächtig und unbezwingbar erscheint die Wahrheit, die der erotisierte und gepeinigte, erschossene Körper birgt. Bewaffnete Männer zwingt sein Anblick in die Knie.
Sebastiane
von Derek Jarman
UK 1976, 85 Minuten, FSK 16,
lateinische OF mit deutschen UT
Als DVD & VoD