Caravaggio

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Teil 2 in unserer Artikelreihe zum 80. Geburtstag von Derek Jarman (1942-1994): Mit „Caravaggio“ verfilmte der englische Regisseur und Künstler kongenial das Leben des berüchtigten Renaissance-Malers und übertrug dessen Bildsprache in ein aufregendes Filmporträt, das mittlerweile zu den Klassikern des europäischen Kinos gehört. Das Biopic wurde 1986 auf der Berlinale uraufgeführt und ist bis heute einer der wenigen wirklich adäquaten Filme über Kunst und Malerei. Zusammen mit drei weiteren Meisterwerken Jarmans ist „Caravaggio“ ab sofort im Salzgeber Club zu sehen. Stefan Hochgesand über Love, Crime, Showdowns und Revolution.

Foto: Salzgeber

Keine Hoffnung, keine Furcht

von Stefan Hochgesand

Was haben regenbogenbunte Elektro-Lichterketten, ein grüner Truck, eine klackernde Schreibmaschine (in der Badewanne), ein Motorrad im späten 16., im frühen 17. Jahrhundert verloren? Derek Jarman hat sie dort verloren, nein, er hat sie dort drapiert. Sein Caravaggio trägt einen schneidigen Bob-Dylan-Hut – und pafft gerne Zigaretten an der Bar, im Atelier und auf der Gosse, ach, schlicht: überall, wo er sich so herumtreibt. Wie anachronistisch! Dabei hätte „Caravaggio“ (1986) auch ein braves Biopic werden können: Anders als bei seinem sexuell expliziten „Sebastiane“ (1976) über eine andere große schwule Ikone der Malereigeschichte, namentlich den Heiligen Sebastian, gönnt uns Jarman hier so etwas wie einen klassisch strukturierten Plot mit Love, Crime und mindestens zwei Showdowns. Doch während Jarman in „Sebastiane“ seine antiken Figuren akkurates Latein sprechen lässt (eine Singularität im britischen Film) und damit gehörig Distanz zur Jetztzeit aufbaut, holt er in „Caravaggio“ sein Personal aus der Spät-Renaissance beziehungsweise dem Früh-Barock in die Gegenwart. Wenn man sich nicht von der teils eben doch barocken Studio-Ausstattung hinters Licht führen lässt.

Was mag Jarman so sehr an Caravaggio gereizt haben? Sicher die überbordende männliche, Erotik in dessen wirkstarken Gemälden. Und Jarman hat nicht nur Kunstgeschichte, sondern auch Kunst studiert, er war selber auch ein Maler. So könnte man zwar einerseits sagen: In „Caravaggio“ inszeniert ein Regisseur das Leben eines Künstlers. Man könnte aber auch sagen: Im Film malt Jarman das Lebens eines queeren Mannes, der Gemälde inszeniert hat. Denn oft sehen wir bei Jarman den Künstler Caravaggio im Atelier, wie er seine Modelle zurechtweist und in Pose bringt, einem Regisseur gar nicht so unähnlich.

Über diesen sehr persönlichen Link hinaus, hat Jarman aber wohl auch eine historische Parallele zwischen 1600 und 1986 gesehen. Die hat auch mit struktureller Gewalt, einem der großen Jarman-Themen schlechthin, zu tun: Homosexualität wurde zu Caravaggios Zeit zunehmend präsenter – in Venedig, Florenz, aber auch in Rom, wo „Caravaggio“ hauptsächlich spielt. Zugleich verschärften diese Städte aber auch ihre Gesetze gegen Sodomie. Etwas Vergleichbares hat Jarman in Großbritannien in den 1980ern unter der „Eisernen Lady“, der neokonservativen Premierministerin Margaret Thatcher, erlebt: Als „Caravaggio“ entstand, spitzte sich das zu. Nur zwei Jahre später, 1988, trat Clause 28 in Kraft, ein Gesetz, das es Gemeinden, Schulen und Kommunalbehörden verbot, sich auch nur ansatzweise positiv zu Homosexualität zu äußern. Ein queerfeindliches Gesetz also, in etwa so wie man es heutzutage in Russland kennt. Gegen Clause 28 war die Clique um Jarman herum zusammen auf die Straße gegangen – so hat es Jarman-Gang-Mitglied Tilda Swinton (die in „Caravaggio“ ihr fantastisches Filmdebüt gibt, ohne klassisches Schauspieltraining) erst kürzlich noch mal dem „Guardian“ erzählt.

Aber zurück zum Anfang, also zum Ende. Denn „Caravaggio“ setzt ein am Ende von Caravaggios Lebens, nur wenige Tage vor seinem Tode, im Jahr 1610. Caravaggio liegt im südtoskanischen Hafenstädtchen Porto Ercole auf dem Sterbebett und wird von seinem treuen Assistenten Jerusaleme gepflegt. Der Film setzt dort ein und findet immer wieder dorthin zurück mit stets neuen Kameraperspektiven auf das Setting. Es ist der Rahmen für die Rückblenden, die ein episodisches Mosaik von Caravaggios Charakter entwerfen. Aber ganz zu Beginn des Films kommt noch etwas anderes, ein „Motto“, wenn man so will: Ein Pinsel grundiert die Leinwand schwarz. Die Farbe Schwarz nimmt recht viel Platz in Caravaggios Werk ein, denn er ist der Meister des Tenebrismo, der dramatisch verschärften Dunkel-Hell-Kontraste. Die Farbe Schwarz ist bei Caravaggio kein Selbstzweck-Effekt, sondern bringt die von ihm gerahmten helleren Farben stärker zum Leuchten – so wie auch Jarman anschließend (in just dem Jahr, in dem er seine HIV-Diagnose erhält), gerade indem er den Film mit den Sterbebett-Szenen rahmt, das Leben umso stärker zum Strahlen bringt.

Foto: Salzgeber

Denn zu leben hat er gewusst, dieser Caravaggio, auch wenn er sich dabei oft in Schwierigkeiten gebracht hat. Jarman präsentiert ihn uns als einen (mitunter skrupellosen) Draufgänger, den man doch ins Herz schließt. Parallelen zu Jean Genet und Pier Paolo Pasolini dürften Absicht sein. Und es ist eine große Freude, dabei zuzusehen, zumal die Besetzung von Dexter Fletcher, der beim Dreh 20 war, als jungem Caravaggio hervorragend ist. (Interessante Entwicklung, dass Dexter Fletcher in den letzten Jahren selbst als Regisseur nicht-heterosexueller Künstler-Biopics hervortrat, mit „Rocketman“ und, halb offiziell, auch mit „Bohemian Rhapsody“.) Früher Auftritt im Film, der tief blicken lässt: Caravaggio, ein blutjunger, frecher Straßenmaler-Newbie mit Star-Ambitionen, ist gerade frisch aus der Provinz bei Bergamo in Rom angekommen und lässt sich mit einem englischen Typ ein, der um einiges älter ist. Die beiden tanzen vergnügt, oberkörperfrei, doch bald zückt Caravaggio das Messer: Er sei halt teuer, sagt er „in plain English“ dem Briten, und das sei jetzt mal genug gewesen. Die Geldbörse behält er ein, der Brite verzieht sich, Caravaggio krönt sich mit einem Lorbeerkranz und nuckelt an der Rotweinflasche. So lässt‘s sich leben.

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Dieses Messer (mit einer lateinischen Gravur, die „keine Hoffnung, keine Furcht“ bedeutet) soll noch oft zum Einsatz kommen. Und auch Caravaggios ausgeprägtes Gespür für den Zaster: Der Künstler Caravaggio ist auch ein Geschäftsmann, der um seinen Wert weiß. Später wird er seine Bilder gegen Menschenleben verkaufen. Und weil er sich selbst ganz prächtig aushalten lässt, vom Kardinal Del Monte, der offensichtlich – auch sexuell – Gefallen an Caravaggio gefunden hat, kann er selbst auch andere mit Gold füttern, wortwörtlich. So sehen wir in einer Szene, wie er Ranuccio (Sean Bean), einen Typ, den er sich in der Bar angelacht und zum Modell gemacht hat, im Atelier mit Goldmünzen füttert und so einen Kuss forciert, während Ranuccios Geliebte, die Prostituierte Lena (hinreißend: Tilda Swinton), tatenlos zuschauen muss. Die Macht-Hierarchie ist klar. Ebenso Caravaggios ambivalente Rolle, da er mit Leuten im Papstpalast und auf der Gosse verkehrt – wobei er mal der Bittsteller, mal der Gönner ist. Kapitalismus und strukturelle Macht lassen grüßen. Auch als Künstler kann man da ein Rad im Getriebe sein. Jarman, der oft mit niedrigen Budgets drehen musste, aber doch ein renommierter Typ in der Arthouse-Szene war, wird es gewusst haben.

Die Szene mit den Goldstückchen wird noch mal friedlich aufgelöst: Ranuccio gibt einige der Münzen, in der Hängematte schäkernd, seiner Lena weiter, und sie treiben Scherze darüber, wer wen liebt. Das ist in der Tat die Frage, denn auch Caravaggio wird sich in Lena vergucken, und die wird schwanger, und Ranuccio wird gegen beide zeitversetzt das Messer erheben, bis alles kulminiert. So viel zu Crime und Love und Showdowns, mehr soll nicht gespoilert werden.

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Davor sind uns aber noch ein Dutzend zauberschöner filmischer Bewegt-Tableaus vergönnt, denn Jarman findet offensichtlich großen Spaß daran, Atelier-Situationen zu real existierenden Caravaggio-Gemälden zu kreieren (ein Strukturmerkmal des Films geradezu) – etwa Jungs, die Trauben naschen, während der Lautenspieler Caravaggio fragt, was der Kardinal von ihm wohl wolle. Der ältere Caravaggio lässt sich solche Fragen später nicht mehr gefallen, sondern schreit cholerisch die spärlich bekleideten Burschen an, die nicht stillhalten wollen: „You’re paid to be still! “ Auch hier wieder: die Machtpose, die indes keine reine Machtpose ist, denn Caravaggio will ja seine Modelle genau studieren. Er malt nicht nach Skizzen, sondern er will das echte Leben festhalten, soweit das mit flüssigem, stockendem Öl eben geht, und deshalb holt er sich all die Leute von der Gosse mit ihrer ramponierten Renaissance-Kleidung ins Atelier, ins Bibel-Mythos-Bildnis. Stimmig also, dass auch Jarman Zeitgenössisches in seinen Film integriert. Das Nachstellen dieser Tableaus ist so sehr ikonisch geworden, dass auch „Postcards from London“ (2018) noch damit spielt, der wunderbare Coming-of-Age-Film von Steve McLean, in dem es ebenfalls um einen jungen Kunst-Stricher geht, der gerade in der Hauptstadt ankommt.

Eine der letzten Szenen: Priester wollen dem sterbenden Caravaggio das letzte Sakrament spenden. Der will es sich nicht gefallen lassen, wendet noch mal alle Kraft auf, um das Kreuz von seinem Körper abzuwenden. Er, der zeitlebens Deals mit der Kirche gemacht hat, will offenbar doch mit dem Machtsystem brechen. Auch hier, beim eisernen Kreuze, kann mal an die Eiserne Lady denken. Die Kirchenmänner hatten Caravaggio zuvor im Film noch zu verstehen gegeben, dass man seine Sodomie nur toleriert habe, solange er mit seinen Bildern Leute in die Kirchen lockte. Solange er also funktionierte, um (konservativ) den Status quo zu erhalten. „Never heard of a revolution made with paint brushes“, hatte der Papst Caravaggio noch selbstgefällig gesagt. Jarman und Caravaggio wissen es freilich besser. Nichts ist stärker als eine Revolution, die damit beginnt, dass jemand einen anderen Blick auf die Welt wagt – und diesen Blick in Bildern teilt.




Caravaggio
von Derek Jarman
UK 1986, 93 Minuten, FSK 12,
englische OF mit deutschen UT,

Salzgeber

Hier auf DVD erhältlich.

vimeo on demand

VoD: € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)

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