Edward II

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Am 31. Januar wäre Derek Jarman (1942-1994) 80 Jahre alt geworden. Zu diesem Anlass starten vier seiner Filme im Salzgeber Club . „Edward II“ (1991) erzählt frei nach dem Stück des Shakespeare-Zeitgenossen Christopher Marlowe von einer schwulen Liebe, die eine homophobe Gesellschaft ins Chaos stürzt. Kein Historienschinken, keine langweilige Geschichtsstunde, sondern ein obsessiv-experimentelles Plädoyer für eine Welt, in der die Leidenschaftlichen nicht den Machtspielen und Intrigen zum Opfer fallen und als Verbrecher diskriminiert werden. Andreas Wilink über ein radikal modernes Kunstwerk, das die Anachronismen zelebriert.

Foto: Salzgeber

Requiem für einen nicht-jungfräulichen König

von Andreas Wilink

Es war eine Zeit des Krieges und der Liebe als tödliche Gefahr. Männer mussten wehrhaft sein und tapfer darin, allein zu sterben. Gemeint ist das Elisabethanische Zeitalter, in dem Christopher Marlowe neben William Shakespeare und Ben Jonson das dramatische Dreigestirn bildete. Marlowe, von dem es in Virginia Woolfs Roman „Orlando“ durch den Mund des komischen Dichters Nick Greene witzelnd heißt: „Aber was sollte man von  einem Burschen sagen, der gestorben war, bevor er das dreißigste Lebensjahr erreicht hatte?“, führte ein kurzes, wüstes Leben, das durch Totschlag endigte.

Gemeint ist auch das England an der Schwelle vom 13. zum 14. Jahrhundert, in dem Edward II. Plantagenet König war. Ihm widmete Marlowe ein Drama. Und schließlich ist das England der Margaret Thatcher während der 1980er Jahre gemeint, in denen Derek Jarman (1942-1994) zum künstlerischen Oppositionsführer gegen den Neokonservativismus und Neoliberalismus der Tory-Regierung wurde, zum Aktivisten für die Rechte der Schwulen gegen Repression und zur Galionsfigur im Kampf um die soziale und moralische Anerkennung der an HIV Erkrankten, Ausgegrenzten und Sterbenden. Der lachende Rebell erlag selbst der Krankheit, die ihn, das Auge des New British Cinema, zuletzt erblinden ließ.

Er selbst war ein Skandal, seit er 1975 mit „Sebastiane“ seinen ersten schwulen Film drehte und den christlichen Märtyrer lustvoll als Heiligen der Invertierten inszenierte. Neben experimentellen und essayistischen Filmen (insgesamt ein gutes Dutzend) gibt es solche von eher narrativem Charakter, die Shakespeare-Adaption „Der Sturm“ (1979), seine „Caravaggio“-Künstlerbiografie, die 1987 den Silbernen Bären der Berlinale erhielt, und „Edward II“, der – in der exquisit vorgetragenen, zauberisch schönen Verssprache Marlowes – ein europäischer Kino-Erfolg wurde. Bei Jarman werden historische Gestalten zu unseren Zeitgenossen, bricht das Zeitkontinuum auf, ist jedwedes Kostüm nur eine von vielen Masken, auch seiner, Jarmans Masken. Er sucht Annäherung an seine eigene Biografie in der Begegnung und Beschäftigung mit einer anderen im Sinne doppelter Verfremdung: von King Edward bis zu dem Philosophen und Sprachskeptiker Ludwig „Wittgenstein“ (1993) und dessen Rätselfrage „Wie kann ich ich selbst sein?“.

Drastisch, vital, wie toll und brutal für alle Sinne offen färbt Jarman, der nach seinem Kunststudium und einer Ausbildung als Designer neben seiner Filmarbeit auch malerisch kreativ blieb, das Leben ein. Würde man den Stil von „Mister Postrenaissance“ (so der Filmemacherkollege Harlan Kennedy), der radikal modern ist und Anachronismen zelebriert, der sich in Manierismen schraubt und doch die Schönheitslinie der Klarheit und Reduktion verfolgt, auf einen Begriff bringen wollen, könnte man von sexualpolitischem Sozialsurrealismus sprechen.

Foto: Salzgeber

Ein Königreich für einen Geliebten. Edward (Steven Waddington) holt, nachdem er die Krone geerbt hat, den nach Frankreich verbannten Gaveston (Andrew Tiernan) – selbst Künstlernatur, erfahren in Verführungskünsten, jähzornig und hoffärtig wie ein Äffchen, das nackt auf dem Thron schaukelt und Schabernack treibt – zurück, auf dass er mit ihm Bett und Herrschaft teile. Er erhöht ihn mit Würden und Titeln und seiner Liebe, die sie vor aller Augen leben: denen der Kirche und des Volks, der Peers und Noblen, von Edwards Bruder, Ehefrau Isabella und des die Vorgänge sehr genau registrierenden gemeinsamen Söhnchens. Der kleine Edward lernt die Mechanismen der Macht, die Untreue und den Verrat, und wird sie selbst praktizieren.

Widerstand formiert sich gegen das verbotene Glück der beiden Männer und wird zunächst gebrochen. Aber das Militär mit Lord Mortimer (Nigel Terry) an der Spitze, der sich mit Isabella verbündet, treibt das Land in den Bürgerkrieg. Bigotte Kirchenherren bilden ein Spalier, um den neuerlich vertriebenen Günstling und Emporkömmling in schwarzer Lederjacke – die Uniform aller Outcasts seit Marlon Brando – wie beim Spießrutenlauf zu bespucken.

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Künstler sind haushaltende Verschwender. Ein matter Abglanz davon fällt auf diesen jungen König, der austeilt, aber nicht zu bewahren versteht, der abgesetzt und umgebracht werden wird, angestiftet von seiner Gattin. Die Haute-Couture-Queen Isabella spielt, marmorkalt und elegant wie eine von Mapplethorpe fotografierte Calla-Blüte, Tilda Swinton – Derek Jarmans Muse, die er dann indirekt „weiterreichen“ wird an Sally Potter, Wes Anderson, Christoph Schlingensief und weitere Avantgardisten des Kinos.

Der Königshof residiert in einem mit torfiger Erde bedeckten Bunker, der sich in Dark Rooms und Folterkammern gliedert, die den Charakter der Lustorte nicht verleugnen. Hitchcocks Überzeugung, Liebesszenen hätten auszusehen wie Mordszenen und umgekehrt, wird von Jarman geteilt – inklusive Judaskuss. Durch die hohen, leeren Gemäuer, die ein Mausoleum darstellen könnten, hetzen Hundemeuten, hängen Tierkadaver wie auf einem Gemälde von Francis Bacon, werden Männer-Muskeln zur Fitness, beim Tennis und in geilen Spielen trainiert, empören sich hochnäsige Madames mit Schleifen- und Rüschenblusen, spielt ein weibliches Streichquartett in rotem Taft den beiden Smoking-Herrn zum ausgelassenen Tango auf, tagt ein Kabinett aus Kleingeistern, und marschiert, quält und torturiert die Soldateska und schwer ausgerüstete Polizei, als seien wir nicht im demokratischen England, sondern bei einem Putsch irgendwo in Südamerika.

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Das Setting enthüllt uns einen einsamen Weltinnenraum für die zwei Weltlosen: Edward und Gaveston, von Licht umglänzt und gekrönt in ihrem Dunkel und gewiss ihres baldigen Endes, was sie melancholisch sein lässt wie ein Gedicht von John Donne. So tanzen sie, beide in adretten Schlafanzügen, im Lichtkegel und aus ihm heraus, während Annie Lennox ihre elegische Version von Cole Porters Abschiedssong singt, „Every Time We Say Goodbye“. Hier wird mehr beklagt als eine „fatale love affair“, es geht auch um das chancenlose Aufbegehren gegen das homophobe Establishment. Einen Moment lang gibt Edward den für schwule Liebe Protestierenden ein Gesicht, bevor die Revolte niedergeknüppelt wird, bevor er selbst zum Schlächter wird und dann zum gepfählten Opfer. Einen Moment lang sind wir ganz in Jarmans Gegenwart, bevor wir zurück in die blutige Frühgeschichte eintauchen – und in die Zukunft.

Denn in einem grandiosen Finale tanzt der kleine Edward (Jody Graber), geschmückt mit den Ohrgehängen, dem Lippenstift und den Pumps seiner Mutter, auf den Gitterstäben des Käfigs, in dem Isabella und Mortimer verwesen. Die letzten Marlowe-Worte von verblichener Macht als den „Schatten eines Sonnentags“ stehen denen von Shakespeares Macbeth im Angesicht seines Endes kaum nach. Derek Jarmans Requiem für einen nicht-jungfräulichen König ist zugleich Totenklage über seine Kameraden, Blutsbrüder, Geliebten und Leidensgefährten.




Edward II
von Derek Jarman
UK 1991, 90 Minuten, FSK 16,
englische OF mit deutschen UT und DF,

Salzgeber

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VoD: € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)

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