Sad Jokes

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Auch in seinem zweiten Spielfilm vermischt Autor und Regisseur Fabian Stumm („Knochen und Namen“) unterschiedlichste Gefühlstonarten zu einer tragikomischen Reflexion der Wirklichkeit: Joseph und Sonya sind durch eine enge Freundschaft und ihren kleinen Sohn Pino verbunden, den sie gemeinsam aufziehen. Während sich Regisseur Joseph an einer neuen Filmidee und der Trennung von seinem Ex-Freund Marc abarbeitet, leidet Sonya unter einer Depression, die sie zusehends aus ihrem Leben herausreißt. „Sad Jokes“ ist absurd und banal, hoffnungsvoll und anrührend oder – wie im wirklichen Leben – alles auf einmal. Für diese Jonglage wurde Fabian Stumm auf dem Filmfest München mit gleich zwei Preisen ausgezeichnet und von der Presse bereits als queerer Nachfolger von Loriot bezeichnet. Jetzt ist „Sad Jokes“ im Kino zu sehen. Andreas Wilink über einen Film, der mit feinstem Pointilismus ein großes Bild vom Wesentlichen und Bleibenden, vom Traurigen und Beglückenden malt.

Foto: Salzgeber

Scherz beiseite

von Andreas Wilink

Auf dem Bücherbord mit den vielen DVDs liegen auch zwei Bildbände über Romy Schneider sowie ein Foto der Unvergesslichen aus einem Film – wenn es richtig zu erkennen ist aus „Eine einfache Geschichte“ (1978) von Claude Sautet. Robert Altman hat seinen Platz in dem Regal, auch Eric Rohmer findet Erwähnung bei Fabian Stumm, dem Hauptdarsteller und Regisseur von „Sad Jokes“. Diese offenbaren Referenzgrößen für ihn und sein filmisches Arbeiten spielen dabei noch auf einer weiteren Ebene in „Sad  Jokes“ hinein, denn die von Stumm darin gespielte Figur Joseph ist ebenfalls Filmemacher. Aber wir sehen nichts von einem seiner Filme, erleben sie nur beim Hörensagen – eine der Methoden (man möchte nicht von Trick sprechen), mit denen „Sad Jokes“ jongliert. Ein Spiel mit Ahnungen, Ungewissheiten, Vorstellungen, Täuschungen, Erwartungen, Phantasiebildungen.

Das Schwerelose und Fluide, das häufig improvisiert und wie hingetupft Wirkende, gleichzeitig das präzise Beobachten und Betrachten menschlicher Beziehungen, das „Sad Jokes“ auszeichnet, ist als Gemeinsames jedenfalls auch den erwähnten Größen Sautet und Rohmer zu eigen. Eine sich vielleicht von Guy de Maupassant herleitende französische Qualität. Dazu passt die von Fabian Stumm ausgewählte Musik, Klavierstücke von Bach, Chopin, Debussy, Mozart, Schumann und Johann Strauss.

Dieser szenische und dramaturgische Pointilismus kennt und bevorzugt die Episode, die Etüde, die Miniatur, die Momentaufnahme. Scherz beiseite, könnte man sagen, während die Mitte der Geschichte einen anderen, ernsteren Strang enthält und entwickelt. Nämlich den von Sonya (Haley Louise Jones), Josephs bester Freundin, mit der der schwule Filmemacher zusammenlebt und mit der gemeinsam er ein Wunschkind bekommen hat, den kleinen Pino.

Wir begegnen Mutter und Sohn in der Küche. Es sieht ganz alltäglich aus. Sonya allerdings verhält sich auf eine Weise aufgedreht und demonstrativ munter, sobald Joseph nach Hause kommt, dass dem Frieden nicht zu trauen ist. Sonya wurde aus der Klinik entlassen, offenbar auf eigenen Wunsch und gegen den Rat ihrer Familie. Diagnose: Depression. Von der kleinsten Kleinigkeit herausgefordert, selbst dem Zuspruch („Wir wollen nur, dass es Dir gut geht.“), steigt ihre Erregungskurve, sie reagiert aggressiv und ausfällig, ist nicht zu bändigen – und kehrt schließlich in die stationäre Behandlung zurück.

Foto: Salzgeber

„Beiseite“ hingegen, ohne aufs Nebengleis abgeschoben zu sein, sammeln sich sad jokes im Film wie ein kurioser Aufenthalt für den verletzten Patienten Joseph im Krankenhauszimmer und ein Missgeschick, das ihm zuvor widerfährt und – musikalisch plinkernd begleitet – die Situationskomik und den Slapstick streift. Jacques Tati und die Tücken der Dingwelt. Joseph hat sich auf der Straße seine Hand in einem Automaten eingeklemmt, aus dem sich das Gewünschte normalerweise wie geschmiert und mit einem Ruck herausziehen lässt. Künstlerpech!

Und so fängt es an: „Wie nennt man einen traurigen Kaffee?“, fragt ein kleiner Junge vor der Kamera. Die Antwort gibt er selbst: „Depresso“. Nur einer von mehreren Witzen oder sad jokes, die vorgetragen und von einem unsichtbaren Studiopublikum mit kräftigem Lachen quittiert werden. Die übrigen, etwa der von den Krabben auf der Cocktailparty oder vom Oktopus, sollen hier nicht verraten sein. Erst am Ende von „Sad Jokes“ erschließt sich, weshalb der Film mit der Witzparade beginnt.

Foto: Salzgeber

Joseph also hat einen Sohn, aber keinen Partner. Seinen Familienstatus vertraut er jemandem an, von dem wir zunächst nicht erfahren, in welcher Beziehung er zu ihm steht: Es könnte ein Therapeut sein, aber, wie sich herausstellt, ist es sein Produzent Gero (Godehard Giese). Josephs neues Drehbuch hat der sehr anders gelesen und interpretiert, als der Autor seine Story verstanden haben will: nicht als schwarze Komödie, die von einem Suizid handelt. Der skeptische Gero vermisst darin „das E-Wort“. Gemeint ist Empathie.

Empathisch zugewandt wiederum ist Fabian Stumm seinen Figuren gegenüber, den Randerscheinungen wie auch den Hauptdarstellerinnen und Hauptdarstellern. Wobei er seine eigene ihm vertraute Kunst-Welt – eine Premierenparty, Phrasen emotionaler Anteilnahme von Gästen für das zuvor auf der Leinwand Gesehene (was, wie gesagt, die Zuschauer, nicht sehen) und den Drama-Auftritt zweier Schauspielerinnen – mit einiger Ironie und Schärfe aufnimmt und widergibt.

Foto: Salzgeber

Manchmal bleiben die Bilder stehen, ohne dass Menschen in sie hineintreten, so dass sie ganz für sich sind und alles andere als bloß Rahmung:

In einem Kurs für Akt-Zeichnen, den Joseph besucht und wo das männliche Übungs-Modell Dominik sich mit ihm verabreden will (das Date geht folgenlos daneben), freundet er sich mit der aus Schweden stammenden Bildhauerin Elin (Ulrica Flach) an und bittet sie, seinen Kopf für das geplante Filmprojekt zu modellieren. Unversehens, nachdem Elin ihm von ihrer Begeisterung für Schillers „Jungfrau von Orléans“ erzählt, rezitiert sie den großen Rechtfertigungsmonolog der Johanna auf eine Weise, als spräche sie über ihre eigene Existenz. Ein Vers darin heißt: „Aber ohne diese Dinge kann ich nicht leben“. Diese Dinge sind das, wovon der Film erzählt: das Wesentliche und Bleibende und das Ephemere, das Traurige und Beglückende, das Angstbesetzte und das Gelöste.

In einer schönen, besonnen wehmütigen Szene trifft Joseph per Zufall seinen früheren jüngeren Freund Marc (Jonas Dassler), und beide erkennen, dass das, was zwischen ihnen war, unwiederbringlich vergangen ist. Dazu hören wir Robert Schumanns Träumerei aus den „Kinderszenen“, die die erzählte Stimmung, nein, nicht kommentiert, sondern in ihrer Essenz übersetzt und erfasst.

Und am Ende, bei einem Klinikbesuch, sitzt Joseph mit Pino und Sonya in der Kantine. Mutter und Sohn gehen raus in den Garten, um zu spielen. Joseph sieht ihnen durchs Fenster zu: die gläserne Wand zwischen sich und der Welt – und der Blick geht ins Offene.




Sad Jokes
von Fabian Stumm
DE 2024, 96 Minuten, FSK 12,
deutsch-englisch-schwedisch-italienische OF
teilweise mit deutschen UT
Salzgeber

Ab 12. September im Kino