Hustler White

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Inspiriert von „Sunset Boulevard“, „Tod in Venedig“ und den Sexfilmen Andy Warhols erzählt „Hustler White“ selbstreflexiv und verspielt von einem blasierten Schriftsteller, der sich auf „Recherchereise“ in die Stricherszene von Los Angeles begibt und sich on location prompt verliebt. Mit festem Blick auf Authentizität haben Bruce LaBruce und Rick Castro ihre romantisch Sex-Komödie an Originalschauplätzen auf dem Santa Monica Boulevard gedreht. Der Klassiker des schwulen Stricherkinos ist zu seinem 25. Geburtstag in digital restaurierter Fassung im Salzgeber Club zu sehen und erscheint zeitgleich auf DVD. Philipp Stadelmaier über einen queeren Referenzenreigen voller expliziter Reichtümer.

Foto: Salzgeber

J’adore

von Philipp Stadelmaier

Bruce LaBruces dritter Spielfilm „Hustler White“ (1996) beginnt mit einer ikonischen Kinoreferenz: Ein Mann treibt mit dem Gesicht nach unten in einem Schwimmbecken, wie der von William Holden gespielte B-Movie-Drehbuchautor in Billy Wilders „Sunset Boulevard“ (1950). Nur handelt es sich nicht um den prachtvollen Pool einer alternden Hollywooddiva, sondern um einen billigen Hinterhof-Jacuzzi in der Nähe des Santa Monica Boulevard in Los Angeles, dem Territorium der schwulen Straßenstrich- und Pornoszene, des cruisings und hustlings, das der Film erkunden wird. Aus diesem Milieu stammt auch der vermeintliche Tote im Wasser, der wie bei Wilder aus dem Off lakonisch den Status seiner Persona kommentiert: „No one important really, just a two-bit hustler with a couple of porno credits under his belt.“ Not so gänzlich unimportant war hingegen der Schauspieler des schönen Toten: Montgomery „Monti“ Ward, Modell und Schauspieler, abgelichtet unter anderem in Madonnas „Sex Book“ von 1992 und ehemaliger Boyfriend der Queen of Pop.

Das Recycling von alten Ikonen für neue, schwule, queere Ikonen verfolgte LaBruce schon in seinen ersten beiden Langfilmen. Wobei er, Regisseur wie Hauptdarsteller, selbst zur Ikone seines eigenen Genre wird, das eine Figur in „Super 8 ½“ (1994) selbstreferentiell und ironisch als „Bruceploitation“ bezeichnet. In seinem Debütfilm „No Skin Off My Ass“ (1991) wird, wie Peter Rehberg in seiner sissy-Rezension nachzeichnet, ein Skinhead als hegemoniale, politisch problematisch gewordene Form schwuler Männlichkeit von einem Punk-Friseur (LaBruce) und einer lesbischen Filmemacherin (G.B. Jones) queerifiziert. Der legendäre, von LaBruce verkörperte Pornodarsteller und -regisseur Bruce ist dann die Hauptfigur seines Zweitwerks, das sich bis in Bruces äußeres Erscheinungsbild stark an Warhol orientiert, während der Titel nach Fellinis ebenfalls ikonisch gewordenem Meisterwerk „Achteinhalb“ mit Marcello Mastroianni schreit. Der Film dreht sich um Bruces Lebens- und Schaffenskrise, entlang der Konturen einer zersplitterten, nur noch im und als Film gesicherten Existenz in tausend Facetten, Bruchstücken und verschachtelten Abgründen, aus denen sich die Silhouetten von Brigitte Bardot, Caroll Baker und Elizabeth Taylor erheben.

 

All diese Verweise zielen in Richtung jenes Wunsches, der später auch den von Jean-Pierre Léaud verkörperten Pornoregisseur in Bertrand Bonellos „Le pornographe“ (2001) beschäftigen wird, und den Bruce in „Super 8 ½“ explizit äußert: aus der reinen Pornographie Filmkunst zu machen. Doch die Anspielungen auf einen „philosophing pornographer“, dessen Filme immer auch „pornology“ sind und von den französischen Intellektuellen und Kritiker*innen der „Cahiers du porno“ gemocht werden (eine wunderbare Parodie der „Cahiers du cinéma“), gleichen den hehren cine(porno)philen Anspruch mit viel Spott und Sarkasmus schnell wieder aus. Kritische Selbst- und Metareflexion, postmodernes Pastiche, „Neuinterpretation“? Kann man sagen, meint Bruce zu jemandem, der ihn danach fragt, aber im Grunde hat er alles einfach nur geklaut, und zwar deswegen, weil er selbst keine Zeit hatte, sich Neues auszudenken. Porno bleibt Porno, und Ausbeutung gehört dazu, von Körpern, von Filmen.

Nach dieser Vertiefung in die eigene Kunst und ihre Grenzen bewegt sich LaBruce mit „Hustler White“ ins Freie und Offene, raus auf die Straßen, wo angeschafft wird. Er selbst spielt den hyperkultivierten und blasierten Schriftsteller Jürgen Anger, der aus Europa nach L.A. kommt, zu „Recherchezwecken“ am Santa Monica Boulevard; seine Begegnung mit dem Hustler wird in Rückblenden erzählt. Wie Bruce im Film zuvor, der von seinen Mitarbeiter*innen schon mal mit Hitler verglichen wird, ist auch Jürgen ein riesiges Arschloch. Beim Aussteigen aus dem Flugzeug jagt er die Leute mit knappen Befehlen aus dem Weg („away“, „move“), und seinen jungen Chauffeur überzieht er mit dem hässlichsten Schimpfwort, das ihm in den Sinn kommt: „Student!“

Foto: Salzgeber

„Hustler White“ ist LaBruces erster Langfilm in Farbe und der komischste unter seinen frühen Filmen – nicht nur wegen der überspitzten Figur von Jürgen. Monti überfährt aus Versehen einen anderen Hustler, so dass dieser ab sofort mit einem amputierten Bein herumläuft, das er aber auch zum Ficken verwenden kann. Vor dem Unfall hat der Hustler Sex mit einem weiteren, sehr emotionalen Hustler, der sich beim Geschlechtsakt beinahe selbst stranguliert. Der Film kombiniert die Liebesgeschichte des ersten Films (in „Skin“ verliebt sich LaBruces Figur in einen Skin, hier in einen Hustler) und die Arschlochhaftigkeit des zweiten und ersetzt den Reigen der Filmverweise durch eine großzügige Parade von Typen, Fetischen und Praktiken der homosexuellen Hustler-Szene in L.A. in ihrem ganzen schimmernden, expliziten Reichtum. Ein Althippie schwärmt vom Ficken in den 1970ern, als er noch mit Dennis (Hopper) unterwegs war: „ass and drugs and booze, needles, guns and gras!“ Es gibt die BDSM-Kunden mit diversen Fetischspielen, Peitschen, Leder und Rasierklingen, einen alten, abgehalfterten Soap-Star („und Versace-Modell!“), die Cowboy-Nummer („hop in, friend!“), Amputee-Fetisch-Spiele, einen Pornodreh, bei dem Monti den Anwichser spielt, verantwortlich fürs verlässliche Funktionieren der Schwellkörper, sowie einen Leichenbestatter, dessen Travestie- und Klebeband-Spiele manchmal tödlich enden. Und es gibt Vaginal Davis als Chef*in einer Schwarzen Hustler-Gruppe, deren Mitglieder der Reihe nach einen der weißen Jungs auf einem Tisch durchnehmen, der für ein paar Dollar bereit ist, alles zu machen und jeden zu nehmen.

Währenddessen schweift der schnöselig-faszinierte Blick von Jürgen aus dem Autofenster über den Boulevard und bleibt auf Montis nacktem Oberkörper hängen, was er mit einem ausgehauchten „J’adore!“ kommentiert. Wenn es eine Kunst der homosexuellen, queeren Pornographie gibt, dann besteht sie bei BLB, rough und luzide, in der auf die Ausbeutung folgenden Anbetung von nackten, schweißglänzenden, gewissenhaft fickenden oder gefickten Körpern. Sie besteht in der Notwendigkeit, mit diesen Körpern oder ihrem Anblick Geld zu verdienen, das von Anfang an die Besitzer wechselt, auf zerknautschte Bettlaken geworfen und von dort schnell eingesteckt wird. Vor allem aber besteht sie in der Hinwendung zu dem, was niemand einfach nur alleine macht und alle miteinander teilen: zu einer ganzen queeren Kultur, die LaBruce auf dem Santa Monica Boulevard abfährt und dokumentiert.




Hustler White
von Bruce LaBruce & Rock Castro
DE/CA 1996, 79 Minuten, FSK k.J.,
englische OF mit deutschen UT,
Salzgeber

vimeo on demand

VoD: € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)

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