Mapplethorpe

TrailerDVD / Blu-ray

Die Celebrity-Porträts, Blumen-Kompositionen und insbesondere die Milieustudien der New Yorker S/M-Underground-Szene von Robert Mapplethorpe (1946-1989) zählen heute zu den Meilensteinen der Fotografie des 20. Jahrhunderts. In ihrem ersten Spielfilm „Mapplethorpe“ spürt die Regisseurin Ondi Timoner dem Seelenleben des queeren Künstlers nach, der sich selbst als „modernen Michelangelo“ verstand. Unser Autor Peter Rehberg sah eine überzeugende Darstellung des „Doctor Who“-Stars Matt Smith in der Titelrolle – aber auch ein weiteres Biopic, das das Transgressive bagatellisiert.

Foto: Weltkino

Familienfreundliche Obszönität

von Peter Rehberg

Auch 30 Jahre nach seinem Tod hört der schwule Fotograf und Künstler Robert Mapplethorpe  nicht auf, uns zu beschäftigen. 2016 erschien der Dokumentarfilm „Look at the Pictures“, der vor allem Mapplethorpes Besessenheit mit Ruhm in den Mittelpunkt stellte. Dieses Jahr zeigt das Guggenheim New York eine zweiteilige Ausstellung seiner Fotografien und frühen Collagen – die Blumenbilder, die Celebrity-Fotos und die S/M- Aufnahmen hängen hier dicht beieinander. Und nun kommt das 2018 veröffentlichte Biopic „Mapplethorpe“ hierzulande auf DVD heraus.

Eingeleitet wurde die Mapplethorpe-Renaissance schon vor einiger Zeit mit der Autobiografie „Just Kids“ (engl. 2010), in der die Sängerin und Dichterin Patti Smith von ihren Jahren mit Mapplethorpe erzählt. Smith und Mapplethorpe kamen zur selben Zeit nach New York, um Künstler_innen zu werden. Von Gelegenheitsjobs lebend, unterstützen sie sich bei der Verwirklichung ihrer Träume. Die beiden wohnten zusammen in einer ärmlichen Gegend in Brooklyn, sie waren ein Liebespaar. Bis dann Roberts Faszination für Männerkörper, die auch ins Zentrum seiner Kunst rückten, ein Coming-out unausweichlich machte. Patti packte die Koffer und ließ das gemeinsame Bohemian-Leben hinter sich. Robert machte Karriere in der Schwulenszene – und in der New Yorker Kunst-Welt.

Diese beiden Seiten, Transgression und Glamour, bildeten die Säulen seines auf formale Perfektion ausgerichteten Schaffens. Innerhalb der Kunstgeschichtsschreibung gehörte Mapplethorpe noch zu einer Generation von Fotograf_innen, die darum kämpfen mussten, dass ihre Arbeit als Kunst und nicht bloß als Handwerk wahrgenommen wurde. Mapplethorpe bediente und durchbrach diese Erwartung souverän. Sein Auge für Kompositionen und seine Arbeit mit Licht ließen keinen Zweifel am ästhetischen Wert seiner Bilder aufkommen. Zugleich behandelte er Männerkörper, besonders gerne auch Schwänze und Ärsche, mit der gleichen Genauigkeit und Wertschätzung wie Gesichter oder Blumen-Stillleben.

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In der New Yorker Kunstwelt bewegte er sich geschickt. Während seine Glamour-Bilder immer höhere Preise erzielten und sich Celebrities von Debbie Harry bis zu Gloria von Thurn und Taxis von Mapplethorpe porträtieren ließen, sorgte sein „X-Portfolio“ mit S/M- und Fetisch-Bildern dafür, dass ihm der Vorwurf des kommerziellen Ausverkaufs nicht gemacht werden konnte. Nie war das explizite Zeigen von schwulem Sex – inklusive Pissen und Fisting – dichter dran am Mainstream als bei Mapplethorpe. Dass diese Balance nur für eine Weile im Milieu der New Yorker Kunstwelt möglich war, wurde schließlich deutlich, als die 1980er vorbei waren. Mapplethorpes Ausstellung „The Perfect Moment“ wurde 1990 zum Anlass des größten Gerichtsstreits über die Kunstfreiheit in der Nachkriegsgeschichte der USA (zu sehen in der TV-Produktion „Dirty Pictures“ von 2000). Mapplethorpe selbst war zu diesem Zeitpunkt schon tot. Er war 1989 an den Folgen von Aids gestorben.

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„Mapplethorpe“, bei dem die als Dokumentarfilmerin bekannte Ondi Timoner Regie führte, erzählt diese Stationen seines Lebens und seiner Karriere ziemlich routiniert herunter. Die Besetzung der Hauptrolle mit Matt Smith – bekannt als Queen Elizabeths Ehemann Prinz Phillip in den ersten beiden Staffeln der Netflix-Produktion „The Crowne“ – ist zwar ein Glücksgriff; Smith hat das gleichermaßen schöne wie leidende Gesicht eines Künstlers und dazu ein ziemlich unwiderstehliches, rätselhaftes Lächeln. Doch die Dialoge in „Mapplethorpe“ bleiben oberflächlich und vorhersehbar. Alles ist immer nur „great“ – so simpel ist selbst der amerikanische Small Talk nicht. In kaum einer Szene vertraut die Regisseurin auf die Präsenz ihrer Schauspieler. Sie lässt ihnen keinen Raum, damit sich etwas entwickeln könnte, das mehr als nur eine Behauptung wäre.

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Die ikonischen Momente von Mapplethorpes Biografie werden nacheinander abgehakt. Robert trifft Patti. Robert nimmt Drogen. Robert arbeitet als Escort. Robert lernt seinen Mentor Sam Wagstaff kennen. Robert fotografiert schwarze Schwänze. Eingestreut dazwischen grobkörnige Filmsequenzen, die eine dokumentarische Aura verbreiten sollen, aber gespielt sind. All das bekommt überhaupt nur Bedeutung, weil man es schon vorher kannte. „Mapplethorpe“ ist eine nachträgliche flüchtige Illustrierung einer schon bekannten Biografie.

Das heißt natürlich auch, dass die Sex-Szenen und Sex-Fotosessions, bei denen jene ikonischen Aufnahmen wie „Man in Polyester Suit“ entstanden, meistens keusch und verklemmt ablaufen. Es ist nicht einmal so, dass der Film vor Sex-Szenen zurückschreckt. Nur was an denen aufregend und inspirierend sein soll, wird nicht klar. Den Zusammenhang von sexuellem und ästhetischem Interesse, der ja für Mapplethorpes Werk so entscheidend ist, versteht man hier jedenfalls nicht.

Foto: Weltkino

Warum gibt es also diesen Film? Um einer neuen Generation eine der Ikonen der schwulen Kunst näherzubringen? Die Biopics über Tom of Finland (2017) und Freddie Mercury (2018) haben gezeigt, dass man nun auch einem Mainstream-Publikum schwule Biografien verkaufen kann – wenn man denn das „Obszöne“ schwuler Sexualität nicht feiert, sondern bagatellisiert (oder im Fall von „Bohemian Rhapsody“ moralisiert). Diese Filme sind von einem eigenartigen Widerspruch gekennzeichnet: Während sie schwule Künstlerschaft, ein intensives Sexualleben und im Fall von Mapplethorpe und Mercury den Aids-Tod zum Thema machen, bleiben sie gleichzeitig sehr familienfreundlich. Transgression wird zugleich bemüht und verboten. Auch wenn Mapplethorpes Geschichte tatsächlich nichts von ihrer Faszination verloren hat, bleibt auch der Film „Mapplethorpe“ deshalb eine Enttäuschung.




Mapplethorpe
von Ondi Timoner
US 2018, 102 Minuten, FSK 16,

deutsche SF & englische OF, deutsche UT,
Weltkino

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