Mapplethorpe: Look at the Pictures

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„Ich möchte eine Geschichte sein, die man sich nachts erzählt, in den Betten auf der ganzen Welt“, wünschte sich einst Robert Mapplethorpe (1947-1989), Enfant terrible der New Yorker Künstlerszene der 80er, erotomanischer Bilderästhet und Wegbereiter der Fotografie als Kunstform. Über 25 Jahre nach seinem frühen Aids-Tod gibt es nun einen ersten umfassenden Dokumentarfilm über sein skandalumwittertes Leben und seine bestechend schöne, berüchtigt kontroverse Fotokunst. Der Porträtfilm, den man sich jetzt auch auf DVD anschauen kann, zum Beispiel nachts im Bett, ist zwar inhaltlich vielschichtig, aber formal erstaunlich brav geraten. sissy begibt sich auf eine Passage – vorbei an schwulem SM-Sex und floralen Stillleben, Liebhaber-Akten und High-Society-Porträts.

Foto: kool

Blumenbilder und Bullenpeitsche

von Matthias Frings

Zwei Künstler der Moderne haben die Bildwelt homosexueller Männer bis in deren DNA hinein geprägt: Tom of Finland und Robert Mapplethorpe. Die gezeichneten Hypermänner beim Endlossex, der Fotograf höchstpersönlich, aus dessen Arsch das Ende einer Peitsche lugt und der Mann im biederen Polyesteranzug, dessen Penis desinteressiert aus dem Schlitz hängt – alles Ikonen. Für beide Künstler steht das Bild vom Mann im Zentrum, beide eint die überdeutliche Betonung von (Homo)Sexualität, und beide zeigen diese nicht nur als Begehren, sondern als gelebte Sexualität. Hier wabert keine „Homoerotik“, es ist Sex in Versalien und mit Ausrufezeichen. Hier wird nicht wie in der Kunstgeschichte üblich dezent angedeutet, sondern vergrößert; nicht gelockt, sondern dem Betrachter mitten ins Gesicht gesprungen. Die Modelle sind nicht hübsch, sondern geil, man schläft nicht miteinander, man fickt.

Kaum zu überschätzen, wie provokant, revolutionär und befreiend diese Grenzüberschreitungen einmal gewirkt haben. Mehr noch: Die künstlerischen Darstellungen lustvoll gelebter Sexualität jenseits der Heteronorm wirkten in ihrer Unverschämtheit als emanzipatorischer Schub. Retrospektiv lassen sich hier die letzten Momente einer sozialen Bewegung festmachen, wo man einen veröffentlichten Analverkehr noch als politischen Akt imaginieren konnte. (Ein bemerkenswertes Detail im Oeuvre von Tom of Finland hat übrigens den gleichen Effekt: Das herausragende Merkmal seiner Zeichnungen sind nicht die grotesk überdimensionierten Schwänze, es ist die Tatsache, dass sein gesamtes Bildpersonal beim Sex lächelt. Keine Thomas-Mann-haftes Sehnen, keine Vidal’sche Tragik, keine Genet’sche Freude am Verrat, sondern das kackfreche Grinsen des Tabuverletzers und sexuellen Connaisseurs.)

Zeiten ändern sich: Inzwischen werden die Orgien des Tom of Finland in hochseriösen Galerien ausgestellt und teuer gehandelt. Robert Mapplethorpes Arbeiten, besonders die unverfänglich-hochästhetischen Blumenbilder,  sind teurer, sehr viel teurer, aber irgendwie scheint sein Platz in der Kunstgeschichte noch nicht endgültig bereitet zu sein. Der Glaube an die emanzipatorischen Kräfte „befreiter“ Sexualität hat sich im Lauf der Jahre als Irrtum erwiesen, aber in der Rezeption von Mapplethorpes Werk scheint sich noch immer etwas von der alten , widerständigen Kraft  erhalten zu haben. Auch heutzutage führen Ausstellungen seiner Fotoarbeiten zu öffentlichen Kontroversen. Seinem Werk muss etwas anhaften, dem die heteronormative Gesellschaft sich nur durch pikiertes Zurückweichen, das Pochen auf Jugendschutz oder Zensurversuche entziehen kann.

Keine Frage, Mapplethorpe ist einer der ganz großen Fotografen, aber die seriöse Beschäftigung mit seinem Werk und Leben spiegelt dies nicht wider. Eine 20 Jahre alte Biografie von Patricia Morrisroe und ein Dokumentarfilm über seine Beziehung zum Lover, Förderer und Kurator Sam Wagstaff („Black, White and Gray“) – mehr gibt es nicht. Aufschlussreich und ans Herz gehend sind viele Passagen in „Just Kids“, dem Erinnerungsbuch von Mapplethorpes erster (und letzter) Freundin Patti Smith, ansonsten herrscht Schweigen im Walde.

Foto: kool

Das ist umso erstaunlicher, als Mapplethorpes Wandel vom All American Boy zum Bad Boy der internationalen Fotokunst, diese Mischung aus Fleischeslust, Fetisch, Glamour und Jetset nach literarischer und filmischer Bearbeitung geradezu schreit. Im Leben des teuflisch attraktiven Künstlers trifft das „Studio 54“ auf das „Mineshaft“, die Bohème Manhattans auf Aristokraten und Milliardäre, der langsame Aufstieg eines hochambitionierten Künstlers auf seinen schnellen Niedergang durch Aids. Vor allem aber wäre es an der Zeit, die Rolle des Künstlers Robert Mapplethorpe im aktuellen Licht zu betrachten. Wie wirkt sein Zugriff auf (Homo)Sexualität heute? Wurde bereits genügend gewürdigt, welch entscheidende Rolle er und Sam Wagstaff bei der Durchsetzung von Fotografie als anerkannte Kunstgattung spielten? Wie steht Mapplethorpe im Licht der Queer Theory?

„Look at the Pictures“ heißt der Film der beiden Routiniers Fenton Bailey und Randy Barbato – nicht die schlechteste Aufforderung für eine Künstlerdoku. Die Bilderflut eines Films ist natürlich einer Print-Biografie gegenüber im Vorteil, besonders wenn es sich um einen Fotografen handelt. Visuell gehen die Regisseure in die Vollen, ansonsten wird Mapplethorpes spektakuläres Leben aber brav linear erzählt. Das Muster der Dualität strukturiert die Dramaturgie: schwarz und weiß die Fotos, schwarz und weiß der Meister und seine Modelle. Mapplethorpe tritt als perfektionistischer Ästhet und ruheloser Erotomane auf, hemmungslos geil auf Ruhm und Geld, fasziniert vom Satan wie von der Mutter Gottes. Und schließlich diese eigenartige Parallele: Das Coming-out des Robert Mapplethorpe fällt genau mit dem Coming-out der Fotografie als Kunstform zusammen.

Foto: kool

Eine imposante Galerie von FreundInnen und ZeitzeugInnen gibt Auskunft: vom Pfarrer, der ihn für Kunst interessierte, über seine Schwester, seine GaleristInnen und wichtigsten Modelle bis hin zu seinem letzten Lebenspartner. Nein, ein netter Mensch war er wohl nicht, aber eine faszinierende Persönlichkeit wohl doch, Verführer und Teufel, Satyr, Kleinkind, Großkotz. Ein paar prominente Gesichter von Debbie Harry bis Fürstin Gloria von Thurn und Taxis geben den Zuckerguss. Patti Smith fehlt unentschuldigt.

Aufschlussreich berichtet Mapplethorpes sympathischer Bruder Edward aus ihrer Kindheit und dem Fotolabor seines Bruders. Übel aber wahr: Er ist auch Fotograf, doch der berühmte Robert verbot ihm den Nachnamen zu benutzen. Edward musste sich ein Pseudonym zulegen – es darf nur einen Mapplethorpe geben.

Kommt das Thema auf die von Robert Mapplethorpe sowohl privat als auch professionell favorisierten Afroamerikaner, wird der Film erstaunlich schmallippig. Manche übel herabsetzende Bemerkung von ihm ist überliefert, und seinem Werk wird nicht selten Rassismus vorgeworfen, aber auf dieses Terrain wagt sich der Film lieber nicht. Dabei wäre genau das interessant, denn Mapplethorpe selbst gibt in einem Interview zu bedenken, dass er seine schwarzen Modelle davon befreien wollte, stets als Fallbeispiele für Sozialstudien herhalten zu müssen.

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Überhaupt gehören die fleißig zusammengetragenen originalen Interviewschnipsel zu den Stärken des Films. Darin erweist sich der Meister, der nicht gerade als Intellektueller berühmt ist, als erstaunlich eloquent.

Und die Kunst? Da finden die Regisseure einen hübschen Kniff: Sie begleiten die Vorarbeiten zu einer großen Ausstellung seiner Werke mit der Kamera und lassen so ganz lässig nebenher die feinstofflichen Kunstsachverständigen zu Wort kommen. Das ist teilweise urkomisch, etwa wenn mit heiligem Ernst der Lichteinfall der Bullenpeitsche wertgeschätzt wird, die Robert Mapplethorpe aus dem Anus ragt.

Gegen Ende des Film, kurz vor Mapplethorpes Aids-Tod, gibt es eine kurze, stille Szene: Manhattan im Schnee, kein Gerede, kein Musikteppich. Ein starker Moment, die daran erinnert, dass man sich gerade bei einem Film über einen weltberühmten Fotokünstler auch einen formal und inhaltlich etwas wagemutigeren Zugriff hätte vorstellen können. Wer sich mit Mapplethorpes Arbeit und Lebensgeschichte nicht oder nur wenig auskennt, wird Baileys und Barbatos Film mit spannenden Eindrücken verlassen. Für Fortgeschrittene heißt es: Look at the Pictures!




Mapplethorpe: Look at the Pictures
von Fenton Bailey & Randy Barbato
US/DE 2016, 108 Minuten, FSK 16,
englische OF mit deutschen UT

Homepage zum Film.

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