Klandestin

Kino

Für ihren schwulen britischen Künstlerfreund versteckt eine rechtskonservative Politikerin in Frankfurt einen Geflüchteten aus Marokko in ihrer Wohnung, ihre Assistentin soll kulturell vermitteln. Angelina Maccarone nähert sich dem großen Thema Migration in ihrem neuen Thriller „Klandestin“ aus vier Perspektiven und lässt die Sehnsucht nach persönlichem Glück kühl mit politischen Realitäten kollidieren. Christian Horn über ein filmisches Gedankenkonstrukt, das vor allem im Finale große Kraft findet.

Bild: farbfilm verleih

Die Heimlichen

von Christian Horn

Im eröffnenden Blick auf die Frankfurter Skyline deutet sich schon einiges von dem an, was Angelina Maccarones neuen Thriller „Klandestin“ thematisch wie ästhetisch auszeichnet: die graublaue Kälte, die in der Bildgestaltung und in der Gefühlswelt der Figuren widerhallt; der analytische Blick auf Machtstrukturen und Gesellschaftspolitik; die klare Verortung im Hier und Jetzt. Das Bild weckt Erinnerungen an die Serie „Bad Banks“, was als Vergleich zum ganzen Film passt – auch wenn es hier nicht um die Bankenkrise, sondern um Migration geht; und obwohl die Autorin und Regisseurin Angelina Maccarone keine Serie, sondern einen Kinofilm gedreht hat. Dessen ineinander verschränkte Erzählstruktur hat allerdings viel mit seriellen Erzählmustern gemein.

Noch im Eröffnungsbild hören wir eine Explosion, die Nachrichten sprechen wenig später von einem  mutmaßlich islamistischen Anschlag auf eine Bank. Vor diesem Hintergrundrauschen entfaltet Angelina Maccarone einen vielstimmigen Plot mit vier Hauptfiguren, die jeweils in einem eigenen, mit ihren Vornamen überschriebenen Kapitel in den Fokus rücken. Das erste erzählt vom jungen Marokkaner Malik (Habib Adda), der von einer Zukunft als Rapper in Europa träumt. Der in Tanger lebende britische Maler Richard (Lambert Wilson) will ihm ein Visum verschaffen, was aber misslingt. Also schleicht sich Malik in Richards Lieferwagen, als dieser Bilder für eine Ausstellung nach Frankfurt transportiert.

Bild: farbfilm verleih

Dort soll Malik, der eigentlich weiter nach Berlin zu seinem Onkel will, vorerst bei Richards Jugendfreundin Mathilda Marquardt (Barbara Sukowa) unterkommen, Protagonistin von Kapitel zwei. Die ist inzwischen allerdings eine rechtskonservative EU-Politikerin und begibt sich mit dem illegal ins Land gekommenen Einwanderer in ihrer Loft-Wohnung in eine vertrackte Situation. Marquardts neue Assistentin Amina (Banafshe Hourmazdi) soll ihrer marokkanischen Wurzeln wegen als Vermittlerin fungieren – ihr ist das dritte Kapitel gewidmet, bevor der vierte Akt Richards Motive näher beleuchtet. Kein eigenes Kapitel, aber einige markante Auftritte, erhält Mathildas politische Gegnerin Sybille (Katharina Schüttler), die ihre frühere Affäre mit Amina wiederbeleben will.

Die Kapitel setzen jeweils am Beginn der Ereigniskette an und erzählen dieselben zwei, drei Tage aus unterschiedlichen Perspektiven. Maccarone setzt dabei keine Knalleffekte und wendungsreichen Enthüllungen ein, sondern lotet die Charaktere still und nuancenreich aus, um mit jedem Kapitel neue Facetten dieser Menschen und des Themas Migration zu präsentieren. Der Titel „Klandestin“ – also „heimlich“ oder „geheim“ – erfüllt sich dabei in jeder der Figuren, denn alle bewegen sich in einer Welt der Geheimnisse. Malik zum Beispiel soll in Frankfurt nicht das Loft verlassen und sich von den Fenstern fernhalten. Und wird, als er trotzdem durch die Straßen zieht, immer wieder von Überwachungskameras erfasst. In Seitenblicken und Zeitlupen deuten sich zu Klaviermusik nach und nach die versteckten Wahrheiten und Verletzlichkeiten aller Beteiligten an. Dabei buchstabiert Maccarone nicht alles aus, sondern überlässt die Ausdeutung der engen Verbindung zwischen Richard und Malik oder auch zwischen Amina und Sybille in Teilen dem Publikum.

Bild: farbfilm verleih

„Klandestin“ sucht das Politische im Privaten und ist schon von der Anlage her ein Film, der auf persönliche Verstrickungen abhebt, ein Thriller im Zwischenmenschlichen. Dass Angelina Maccarone, die 2005 mit „Fremde Haut“ einen thematisch nicht unähnlichen Film vorgelegt hat, dabei auch einen Kommentar auf den gesellschaftlichen und zeithistorischen Kontext abgeben will, spiegelt sich in immer wieder eingebauten Nachrichtenbeiträgen aus Radio oder Fernsehen; in den Phrasen der politisch tätigen Charaktere; in Szenen mit einer aufgeregten Presseschar; und nicht zuletzt in der Ästhetik mit ihrem analytischen Blick auf das Geschehen. So entsteht eine spannende Reibung zwischen der kontrollierten Inszenierung und den oft emotional handelnden Figuren. Die wertigen, ambitionierten Bilder des Kameramanns Florian Foest („Jagdhunde“) veredeln diese deutsche Produktion mit einer guten Portion Weltläufigkeit  – zumal neben etwas Deutsch und Arabisch mehrheitlich Englisch gesprochen wird und einige Szenen in Marokko spielen.

Die verschachtelte Erzählweise gereicht dem Film immer dann zum Vorteil, wenn sie eine bis dahin etablierte Sichtweise oder Charakterzeichnung wieder in Frage stellt. Stückweise wird das Gesamtbild komplexer, möglicherweise bereits gefasste Urteile können hinfällig werden.

Bild: farbfilm verleih

Doch deutlich bleibt dabei immer, dass Maccarones Ansatz auf einem gedanklichen Konstrukt beruht. Die Figuren sollen bestimmte Aspekte des Migrationsthemas verkörpern und bekommen wenig Raum, um sich als wirklich eigenständige Charaktere entfalten zu können. Die Ereignisse greifen oft mit mechanischem Kalkül ineinander, auch auf Kosten der Glaubwürdigkeit. Dass Malik etwa im Skatepark ausgerechnet den Bruder des Banken-Attentäters und dann auch noch den Attentäter selbst kennenlernt, erscheint doch als etwas zu offensichtlicher Zufall mit dramaturgischer Funktion.

Ähnlich konstruiert wirkt zunächst auch die Politikerin Mathilda, die in den ersten beiden Kapiteln als überzogene Karikatur einer Rechtspopulistin angelegt ist. Mit verbittertem Gesichtsausdruck und zackigem Befehlston trägt sie ihren Groll wie eine Monstranz vor sich her, stöhnt genervt auf, weil sie eine muslimische Delegation empfangen soll („Kann man das nicht absagen?“) oder lässt ihre Assistentin stehen, als diese drei Minuten zu früh zu einem Termin erscheint. „Ich bin ein wandelndes Klischee“, sagt Mathilda einmal über sich selbst – was wie Maliks Treffen mit dem Terroristen einer der Momente ist, in denen man dem Drehbuch beim Arbeiten zuschauen kann. Im Verlauf jedoch wird ihre Fassade brüchig. Ihre tiefe Freundschaft mit Richard, mit dem sie offenkundig eine freigeistige Vergangenheit teilt, stört das anfängliche Bild ebenso wie ihre späteren Interaktionen mit Malik. Hilfreich dabei ist sicher, dass Barbara Sukowa in der Lage ist, auch die platteren Psychologisierungen ihres Charakters schauspielerisch plausibel zu vermitteln. Ähnliche Ambivalenzen gesteht das Drehbuch auch den anderen Figuren zu.

In „Klandestin“ geht es um kulturelle Unterschiede und um alltäglichen Rassismus; um Abhängigkeitsverhältnisse und um Sehnsüchte, die unerfüllt bleiben – doch wie ein trockener Themenfilm wirkt der zeitgeistige Plot wegen seiner episodischen Struktur mit den Perspektivwechseln und dank der hervorragenden Besetzung nie. Als die Fäden im finalen Kapitel zusammenlaufen, verdichtet Angelina Maccarone das zuvor in die Breite erzählte Panorama wie unter einem Brennglas zu einem spannenden Polit-Thriller, der in einen starken Schlussmoment mündet.




Klandestin
von Angelina Maccarone
DE 2024, 124 Minuten, FSK 12,
OF (englisch/deutsch/arabisch) teilweise mit deutschen UT

Ab 24. April im Kino