The Celluloid Closet (1996)

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Hollywood war immer queer! Doch bis 1968 war die Darstellung von Homosexualität in den Kinos verboten. Filmemacher:innen schafften es trotzdem immer wieder, queeres Begehren auf die Leinwand zu bringen. In „The Celluloid Closet“ (1996) blicken Rob Epstein und Jeffrey Friedman zurück auf 100 Jahre Filmgeschichte und rekonstruieren die Zeichen, Subtexte und Stereotypen des queeren Hollywoodkinos – mit Material aus 120 Filmklassikern sowie den Stimmen von Zeitzeug:innen wie Gore Vidal, Richard Dyer und Whoopi Goldberg. Jetzt ist der Film in digital restaurierter Fassung erhältlich. Beatrice Behn über ein hochgradig aktuelles Manifest, das offenlegt, wie weit sich das queere Mainstream-Kino entwickelt hat – und was dabei an Subversivität und Radikalität verloren gegangen sein könnte.

Bild: Salzgeber

Was für ein Rausch!

von Beatrice Behn

Es sind siebzehn Sekunden in William Dicksons „Experimental Sound Film“ von 1895, in denen zwei Männer Hand in Hand zu live Musik tanzen, die der offen schwule Filmhistoriker und Aktivist Vito Russo in seinem Buch „The Celluloid Closet“ (1981) als die erste Repräsentation von Homosexualität im Medium Film markiert. Auch heute, mehr als 40 Jahre später, ist Russos Interpretation dieser Bilder noch so kontrovers, dass ihr weiterhin vehement und unter Berufung auf vermeintlich historische Fakten widersprochen wird. Allein der englische Wikipedia-Artikel widmet dieser Gegenrede einen ganzen Absatz, inklusive Verweisen auf andere Texte.

Viel besser als dieser Akt, in dem Heteros queeren Menschen erklären, was sie als queer lesen dürfen und was nicht, kann man gar nicht demonstrieren, warum Russos Arbeit und Thesen bis heute so relevant sind. Und weshalb die Dokumentarfilm-Adaption seines Buchs „The Celluloid Closet – Gefangen in der Traumfabrik“, die 1995 nach seinem verfrühten AIDS-Tod von Rob Epstein, Jeffrey Friedman mit Hilfe einer ganzen queeren Film-Community verwirklicht wurde, keinesfalls als datiert, sondern als hochgradig aktuelles Manifest betrachtet werden muss.

Auf den ersten Blick erscheint „The Celluloid Closet“ als klassisch US-amerikanische Dokumentarfilmproduktion, die sich mit Hilfe von Filmclips und Archivmaterial gepaart mit prominenten Interviewgäst:innen und Zeitzeug:innen durch 100 Jahre Filmgeschichte arbeitet. Problematisch an Filmen solcher Art ist oft, dass sie auf eine Verflachung komplexer Themen und einen hegemonialen Anspruch auf Geschichtsschreibung hinauslaufen, der sich als die einzig objektive Wahrheit versteht. Doch Epstein und Friedman entziehen sich dieser Dynamik. Anstatt der Hollywood-Geschichtsschreibung zu folgen, dekonstruiert der Film deren gesamte heteronormativ geprägte Pseudo-Objektivität, indem er sie einer radikalen Analyse unterzieht.

Stück für Stück, vom Stummfilm bis in die frühen 1990er Jahre arbeitet sich „The Celluloid Closet“ durch diese Strukturen. Dabei zeigt sich schnell ein kohärentes Bild von drei spezifischen Mechanismen, die immer wieder (und auch heute noch) zum Einsatz kommen: lächerlich machen, als wahnsinnig und gefährlich deklarieren oder am besten gleich gänzlich tilgen und für nicht existent erklären. „The Celluloid Closet“ nimmt sich anfänglich vor allem des ersten Mechanismus an und untersucht die Figur der Sissy, eines effiminierten Mannes als harmlose, lächerliche Karikatur. Sissies waren nicht dazu da, ernstgenommen zu werden, sondern boten dem Publikum eine Möglichkeit, über queere Andersartigkeit zu lachen und daran zu erinnern, wie man als Mann sein darf und wie nicht – und diese gleichzeitig als gesellschaftliche Randerscheinung abzutun.

The Celluloid Closet

Bild: Salzgeber

Noch problematischer wird es, wenn Homosexualität mit psychischer Instabilität, Gefahr und sexueller Perversion verbunden wird. Wir alle kennen zahllose Beispiele dafür. Selbst in den letzten zwei Jahrzehnten sind die Klischees, wenn auch versteckter, immer noch zu finden. Wobei sie sich über die Jahrzehnte aufgeteilt haben: in tragische Liebe zwischen Lesben, die mit dem Tod, meist als Unfall oder Selbstmord endet („Pandora’s Box“ (1929), „Das Doppelleben der Sister George“ (1968), „Infam“ (1961)); und in obsessive und aufdringliche schwule Liebe („Plötzlich im letzten Sommer“ 1959), die vor allem sexueller Natur ist und entweder gewaltsam oder „verweichlicht“ bettelnd („…denn sie wissen nicht, was sie tun“ (1955), „Brokeback Mountain„ (2005)) daher kommt. Natürlich werden beide Arten bestraft und enden zumeist mit dem Tod, gern noch mit einer Runde Demütigung – vor allem für feminin gelesene Schwule und seit den 1960er Jahren auch vermehrt für vermeintlich wahnsinnige, perversere Crossdresser bzw. trans Personen („Psycho“, 1961, „Das Schweigen der Lämmer“, 1991).

Doch „The Celluloid Closet“ hält dagegen. Neben der scharfsinnigen Analyse der heteronormativen Erzählmuster zeigt der Film ganz praktisch, wie wichtig es ist, Filme „gegen den Strich“ zu lesen, sie aus einer radikal subjektiven und queeren Lesart heraus zu dekonstruieren und sich alle hilfreichen Anteile anzueignen – seien es nur zehn Sekunden einer potentiell queeren Figur auf der Leinwand. Zusammen mit den Filmausschnitten, aber vor allem auch den persönlichen Geschichten queerer Menschen, die ebenfalls im Filmbereich arbeiten, spinnt der Dokumentarfilm langsam eine eigene Geschichtsschreibung, eine Alternative zur dominanten pseudo-objektiven Sichtweise. Es ist egal, was objektiv die Geschichte des Filmes ist. Die Macht liegt in der Interpretation des Publikums. „The Celluloid Closet“ ist Ermächtigung, denn wer Geschichte schreibt, hat Interpretationshoheit, und dieses Werk holt sich die Hollywood-Geschichtsschreibung eigenhändig zurück. Es ist aufregend zuzusehen, wie Russos Arbeit mit Hilfe des Mediums, welches er als Teil unserer Geschichte zu beanspruchen wagte, genau dies letztendlich international nach Hause brachte. Was für ein Rausch, was für ein Gewinn!

Bild: Salzgeber

Und doch, gegen Ende des Werks stellt sich Nachdenklichkeit ein. Zum einen, weil nicht alle Momente „gut gealtert“ sind und mit einem kontemporären Blick doch recht klar wird, was auch in „The Celluloid Closet“ fehlt. Das Werk ist ein Kind seiner Zeit und stark beeinflusst von seinem US-zentristischen Blick und der zu seiner Zeit vorherrschenden Aids-Krise. Jetzt, 40 Jahre später zeigt sich klar, wer hier fehlt: people of color, nicht-binäre/genderfluide Menschen sind nicht vorhanden, was natürlich den historischen Umständen, aber auch der Hierarchisierung innerhalb der queeren Community geschuldet ist. Gleiches gilt für trans Menschen, die hier und zumeist unter dem Label Crossdresser vorkommen und mit Quentin Crisp einen Hauch von Repräsentation erfahren – wenn auch dieser zu der Zeit seines Auftritts im Film noch bestritten hätte, trans zu sein (erst 1999 im Jahr seines Todes identifizierte Crisp sich so). Sehr deutlich zeigt sich, wie weit wir inzwischen unsere Idee von Queerness erweitert haben und auch wie weit sich das queere Mainstream-Kino entwickelt hat.

Genauso klar wird aber, dass Repräsentationspolitik allein ein gescheitertes Konzept ist. So sehr haben wir uns im Mainstream darauf versteift, dass wir es versäumt haben, mehr Druck auszuüben und wirklichen Platz an den relevanten Tischen einzunehmen; dass wir uns konfrontiert sehen mit der Wahrheit: Die Hoffnungen, die am Ende von „The Celluloid Closet“ von vielen formuliert werden, sind korrumpiert. Unsere Repräsentation ist vermehrter und vielfältiger, aber auch hohler denn je. Es genügt nicht Teil von kommerzialisierten und outgesourceten DEI-Inititativen zu sein, die zumeist von einzelnen Repräsentant:innen gehandhabt werden müssen, die neben queeren Minoritäten noch zehn andere Intersektionalitäten bedienen sollen. Denn Platz wird zwar jetzt gemacht, aber das bisschen, was geht, muss dann für alle reichen. Doch Sichtbarkeit ohne Substanz, ohne Macht, ohne Ressourcen, reicht nicht aus, um eine echte Transformation zu bewirken.

The Celluloid Closet

Bild: Salzgeber

Queerness hat es aus dem „Schrank“ ins Rampenlicht geschafft, aber dieses Rampenlicht kommt oft mit einer problematischen Bedingung: Assimilation. Viele queere Figuren, die heute in Mainstream-Filmen oder Serien auftauchen, wirken wie glattgeschliffene Versionen queerer Identitäten, die möglichst wenig Reibung erzeugen. Sie sind dazu da, Toleranz (also Duldung) zu zeigen und nicht, um queere Realitäten ehrlich zu reflektieren. Was verloren geht, ist die Subversivität, die Radikalität, die Möglichkeit, nicht nur Geschichten über „Akzeptanz“ zu erzählen, sondern die tiefgreifenden Strukturen zu hinterfragen, die diese Akzeptanz überhaupt nötig machen.

Dass solche Art Repräsentation auf sehr wackeligen Füßen steht, zeigt sich jetzt besonders. Wie Russo zum Ende seines Lebens schon bemerkte, nahmen queere Geschichten und Figuren, vor allem deren positiven Darstellungen, schlagartig wieder ab, als die Aids-Krise kam. Und auch jetzt ist dies der Fall. Mit dem internationalen Rechtsruck und vor allem der queer- und transfeindlichen Politik in den USA ist der Druck auf Hollywood gestiegen und in den letzten zwei Jahren sind fast alle DEI-Initiativen wieder rückläufig. Es kann gut sein, dass sowohl das US-Kino also auch Serien und Fernsehformate alsbald wieder auf einem Stand sind, den wir dachten, hinter uns gelassen zu haben. Und wir zurück sind im Celluloid Closet.




The Celluloid Closet
von Robert Epstein & Jeffrey Friedman
US 1995, 102 Minuten, FSK 12,
deutsche SF & englische OF mit deutschen UT

Als DVD und VoD

 

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