Geniale Göttin – Die Geschichte der Hedy Lamarr

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Hedwig Kiesler, eine Wiener Schauspielerin aus jüdischer Familie, wird durch Nacktszenen in einem Film bekannt, flüchtet vor einem eifersüchtigen Ehemann, der ihr das Spielen verbieten will, landet in den USA und bekommt eine neue Identität verpasst: Hedy Lamarr, für einige Zeit das „schönstes Gesicht Hollywoods“. Doch wird sie zu Lebzeiten weder als dramatische Schauspielerin noch als visionäre Erfinderin eines Kommunikationssystems ernstgenommen. Im Kino startet nun ein unruhiges Starporträt, in dem ein schönes Gesicht noch einmal neu ausgeleuchtet wird, ohne den selbstgewählten Anspruch zu verfolgen, dahinter zu blicken.

Foto: nfp

Hollywood & Bluetooth

von Dennis Vetter

Der neue Dokumentarfilm über die Schauspiel-Ikone Hedy Lamarr trägt im Deutschen den übergroßen Titel „Geniale Göttin“. Wenig überraschend ist, dass er sich wie ein Spielfilm anfühlt – etwa wenn die Musik die Geschichte unentwegt zu einer euphorisch aufgeladenen Legende aufplustert und Animationen all diejenigen Aspekte von Lamarrs Karriere versinnbildlichen, die im kollektiven Bildgedächtnis fehlen. Der Film entfaltet seine Qualität im Scheitern, weil er zahlreiche Fragen nach einer im Grunde kaum greifbaren Biografie aufwirft. Tatsächlich war im Leben des Stars selbstredend vieles inszeniert, schon beginnend beim Namen Lamarr, der 1938 vor ihrem Einzug ins Hollywood-System von MGM Studiogründer Ludwig B. Mayer erdacht wurde – inspiriert durch den Stummfilmstar Barbara La Marr. Eine zweifelhafte Verbindung aus Neuerfindung und Kopie, die jedoch ihre Ursprünge als österreichische Jüdin und Ex-Frau eines Nazis verheimlichen konnte, ebenso wie den Skandal um ihren frühen Filmerfolg „Ekstase“ (1933). Lamarr war weitreichend bekannt geworden durch den Film, der sie mit achtzehn Jahren nackt zeigte und in dem sie den angeblich ersten Orgasmus der Kinogeschichte vortäuschte. Die Imitation begleitete sie vom ersten Moment an als ikonisches Karrieremoment.

In Hollywood wurde sie als schönste Frau der Welt vermarktet und doch hatte die Inszenierung bald Grenzen: Nach ihren Sensationserfolgen mit frühen Filme wie „Algiers“ (1938), „Boom Town“ (1940) engagierte sie Mayer in Anlehnung an die Ursprünge ihrer Karriere wiederholt für Produktionen, die ihr wenig Sprachraum gaben, während ihr Gesicht und ihr Körper zunehmend ins Zentrum der Betrachtung rückten. Bereits vier Jahre nach ihrem Karrierestart erschien sie 1942 in „White Cargo“ als exotische „Eingeborene“, die mit einem aufgesetzten Akzent zu sprechen hatte und einen amerikanischen Soldaten verführen sollte. Später versuchte sie ihr Image als Verführerin selbst zu reproduzieren und spielte in Cecil B. DeMilles „Samson and Delilah“, der ihr letzter Erfolgsfilm wurde. Schließlich produzierte sie selbst Filme und scheitert daran finanziell. Ihr Affront gegen die Studios klingt bis heute nach.

„Geniale Göttin“ zeichnet neben Lamarrs Karriere im Kinobetrieb das Talent der Lebenskünstlerin für Erfindungen nach und erzählt, wie sie selbst nach langen Drehtagen in ihrem Wagen am Technik-Tisch saß, um auf Speed Skizzen zu zeichnen und Weltformeln zu erdenken. Unterstützt von Howard Hughes, der zuletzt in Scorseses „Aviator“ eine Würdigung als halbwahnsinniger Magnat, Kinopionier und Visionär erfuhr, gelang es ihr, immer komplexeren technischen Zusammenhängen auf die Spur zu kommen. Und schließlich klügelte sie gemeinsam mit dem Avantgarde-Musiker George Antheil ein Funksystem aus, das sich bis heute als prägend für Standards wie Wifi, Bluetooth oder GPS herausstellte. Auch als Technik-Genie wurde Lamarr jedoch nicht angemessen beachtet, um ihr Patent geprellt und verzweifelte letztlich an der Unterschlagung ihrer Talente in beiden Feldern, während sich ihr Vermögen und ihr Ruhm zu ihrem Karriereende hin beinahe völlig auflösten. Lamarr resignierte im Alter nach zahlreichen Schönheitsoperationen, wurde drogenabhängig und zog sich von der Welt zurück, traf selbst ihre Familie nicht mehr. Die Ironie fühlt sich zynisch an: Die Funksignale ihres Telefons blieben am Ende ihr einziger Verbindungsweg zur Welt.

Foto: nfp

Alexandra Dean produzierte „Geniale Göttin“ aus ihrer Expertise als Journalistin und Regisseurin von Fernsehformaten heraus und verschreibt sich in dem Film ganz einer Ästhetik, die Ruhm illustriert und reproduziert, statt zu verstehen. So ist ein Film entstanden, der sich keine Ruhe nimmt und hektisch geschnitten ist, für gelangweilte Augen, die den Niedergang eines Stars mit einer trägen Betroffenheit zu den Akten legen können. In der Tat scheitert der Film selbst an seiner eigenen Rhetorik: Niemand blickte hinter ihr Gesicht, heißt es immer wieder. Und doch bleibt jede künstlerische Auseinandersetzung mit Hedy Lamarr jenseits der Auflistung von Karrierefakten weitestgehend aus. Da erzählt ein Mann, wie sie Mayer mit ihrem Erscheinungsbild beeindruckt und den Raum für sich einnimmt. Für ganze fünf Minuten darf über Feminismus gesprochen werden. Raum für Gedanken zu systemische Fragen gibt es nicht. Etwa nach einer immer wiederkehrenden Rhetorik der Bevormundung und des Ignorierens visionärer Frauen in Geschichte und Gegenwart.

Und so liegt der Erfolg des Films eben in seinem Scheitern, eine ästhetische oder intellektuelle Position zum Gezeigten zu formulieren. Stattdessen, und das hat hier sonderbaren Refraincharakter, verhalten sich alle Befragten zu einem Image, das von Lamarr selbst, vom Filmstudio, von Gosspikultur und letztlich auch ihrer Familie selbst immer wieder überdeutlich inszeniert und ausgesponnen wurde. Interviewgäste wie Mel Brooks oder Peter Bogdanovich sprechen aus opportunistisch bis strategischen Positionen über Lamarr und verlieren nie ihre Selbstinszenierung aus dem Blick, während sie wie nebenbei und mit einer floskelhaften Euphorie die Aussage abnicken, wie beachtenswert die Frau war. Das hat immer wieder etwas Tröstendes und zugleich Geringschätziges. Patscher auf den Kopf. Hauptsache, es sind Promis dabei: Larger than life, das scheint die Maxime. Die filmischen Mittel der Dokumentation erscheinen wie ausgemessen für ein aufmerksamkeitsgieriges Sensationssystem, das der Film doch angeblich in Frage stellen will. Brüche und Verhältnismäßigkeiten ästhetisch zu verstehen, Gegenbilder zu liefern, das gelingt hier nur selten. Formulierungen wie: „Sie war ein Opfer des Systems, das sie berühmt gemacht hatte“, bleiben Lippenbekenntnisse. Am Ende wird ihr Erbe in Dollars gegengerechnet.

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„Geniale Göttin“ weigert sich, Lamarrs verworrene Identitätspolitik systematisch zu untersuchen und faktische Zusammenhänge auch nur anzudeuten. Der Film verschweigt etwa, dass frühe Portraitaufnahmen von der lesbischen Fotografin Trude Fleischmann stammten. Auch Lamarrs eigenartiges Verhältnis zur eigenen Biografie – sie distanzierte sich noch im Alter von einer zugeschriebenen Bisexualität, ebenso von ihren jüdischen Ursprüngen. Ihr Leben führte zu einer radikalen Fiktionalisierung, vielleicht im völligen Realitätsverlust. Zumindest der wird angedeutet. Zu ihrem letzten Scheidungsprozess schickte sie ihr Filmdouble. Und davon gibt es natürlich ein schönes Foto.




Geniale Göttin – Die Geschichte der Hedy Lamarr
von Alexandra Dean
US 2017, 86 Minuten, FSK 0,
deutsche SF, nfp

Seit 16. August hier im Kino.

 

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