Eismayer

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Jetzt im Kino: Hart, härter, Eismayer! Der herrische Vizeleutnant Charles Eismayer gilt als gefürchtetster Ausbilder beim Österreichischen Bundesheer. Und er ist schwul – nur das darf keiner wissen. Doch als der hübsche und offen schwule Rekrut Mario in seiner Truppe landet, gerät Eismayers strenge Gedankenwelt ins Wanken. David Wagners Liebesdrama beruht auf einer wahren Geschichte, die unter Österreichs Soldaten legendär ist: Charles Eismayer, der berüchtigtste Schleifer des Bundesheeres, verliebte sich in einen Rekruten und gab ihm 2014 in Galauniform auf dem Kasernenhof das Ja-Wort. „Eismayer“ wurde nach seiner Weltpremiere in Venedig auf Festivals weltweit gefeiert, vielfach ausgezeichnet und erhielt sieben Nominierungen für den Österreichischen Filmpreis. Andreas Wilink liest den Film mit Tarkowskij, Canetti und Theweleit – und erkennt in der Liebesgeschichte eine bemerkenswerte Geburtserzählung.

Foto: Salzgeber

Zu Ende geboren

von Andreas Wilink

Eine Einstellung wie aus einem Film von Andrej Tarkowskij: Es schneit in ein geborstenes Ziegelsteingemäuer. Auf dem schneebedeckt erdigen Boden wachsen die Bäume krumm. Durch den einzigen, fensterlosen Wanddurchbruch sehen wir die winterliche Natur. Drinnen und Draußen sind nicht voneinander geschieden. Es ist nur eine Momentaufnahme, mit der „Eismayer“ von David Wagner beginnt, auch wenn dieses Bild der Stille und der Umkehrung von Außen- und Innenwelt mehrmals wiederkehrt. Danach ist die Welt, in die wir versetzt werden, eine andere, zerstörerische.

Befehl ist Befehl: Er habe den Charakter des „Endgültigen, Indiskutablen“ und des Unwidersprechlichen. Er muss gebrüllt werden, bis er einem gewissermaßen zu den Ohren herauskommt, damit der Befehlsempfänger den „Stachel“ spürt, der sich in ihn hineinsenkt und der in dem Menschen allzeit gespeichert bleibt, wie es Elias Canetti, der Wahl-Wiener und Spezialist für die Phänomene der Macht, analysiert hat. Man könnte auch sagen, der zum Laut gewordene Befehl ist die sprachliche Übersetzung für den Knüppel, die Rute, die Gerte, die Peitsche, das phallische Züchtigungsinstrument des Befehlshabers und sein verlängerter Wille.

Einer widersetzt sich dem Befehl. Mario Falak sagt ab und an „Nein“ und macht überdies keinen Hehl aus seinem Schwulsein. Junge Männer treten der Reihe nach an zum Wehrdienst: „Nächster. Name“ usw. Der übliche Kasernen- und Befehlston, unpersönlich, ruppig, bestenfalls sarkastisch, damit gleich die Hierarchie und ihre Ordnungsgewalt feststehen. Der Rekrut gibt seinen Anspruch auf Individualität ab, durchläuft weniger ein Eingliederungs- als ein Erniedrigungsritual, vielleicht nicht ganz so beinhart wie in der US-Army und in Stanley Kubricks „Full Metal Jacket“ (1987), aber drastisch genug auch im Bundesheer einer braven westeuropäisch zivilisierten Republik wie Österreich.

„Schwuchtel“, variiert als „feige Schwuchtel“, ist und bleibt offenbar das am stärksten inkriminierende und infamste Attribut, mit dem jemand in dieser Männergemeinschaft gebrandmarkt und an die Gruppe ausgeliefert werden kann. Damit sie sich nicht durch den gefährlichen erotischen Infektionsherd von innen her auflöst, so der psychodynamische Prozess, muss die böse Kraft eliminiert, neutralisiert werden. Antreten, stramm stehen, exerzieren, ausrücken zum Training, und immer Maul halten, sonst gibt’s zur Strafe 60 Liegestützen oder eine „Ehrenrunde“ – nackt ins Gelände hinaus – und die beliebte Spind-Durchsicht, bei der die Diagnose „Schlamperei“ zum Disziplinierungsprinzip gehört. Einübungen im soldatischen Savoir-vivre.

Foto: Salzgeber

Zweifach beim Max Ophüls Preis ausgezeichnet und mit sieben Nominierungen für den Österreichischen Filmpreis versehen, lässt es der ganz ohne melodramatischen Gestus, vielmehr spartanisch erzählte, bisweilen harsch wirkende „Eismayer“ zu, seine Geschichte als Gegenmodell, gar als Erfolgsmodell zu Wolfgangs Petersens und Alexander Zieglers „Die Konsequenz“ von 1977 zu lesen. Wo dort, in einem Gefängnis, Liebe unter Männern möglich scheint, indes an den gesellschaftlichen Bedingungen und an inneren Vorbehalten eines der Beteiligten scheitert, wird sie hier, in der exklusiven Männerwelt des Militärs, lebbar. Beglaubigt zudem durch das Siegel der Authentizität. Ein emanzipatorischer Fortschritt.

Vizeleutnant Charles Eismayer ist in der vierten Garde berüchtigt als Schleifer. Er ist jemand, der droht, die Jungs „nach Strich und  Faden umzuschneidern“, wenn sie keine Leistung liefern. Sein moderater Hauptmann hat eine andere Vorstellung von Ausbildung und Gehorsam, und mahnt den Untergebenen, er bewege sich auf einem „Minenfeld“. In einem ganz anderen Sinn hat er damit Recht. Eismayer betritt feindliches Gelände: Das Gegnerische liegt in ihm selbst. Sein Vierkantschädel ist die Härte. Seine Miene lässt glauben, er presse beständig Ober- und Unterkiefer aufeinander und halte seine Gesichtsmuskeln krampfhaft unter Kontrolle, auf dass sich nur ja nicht etwas lockern möge oder der Mund gar in ein Lächeln ausarte. Das Wort „töten“ kommt ihm leicht über die Lippen, als sei dieses Tun die eigentliche, freilich fehlgeleitete Ekstase. Zuneigung ist für ihn – noch – nicht ohne Gewalt denkbar.

Foto: Salzgeber

Ein sich selbst und seinen Körper kujonierender, sich und ihm alles abverlangender Triebunterdrückungstäter, aus dem es dann aber herausbricht – die Lust und das Begehren – und in rabiatem Sex mit Falak mündet, nachdem die beiden Männer sich zuvor unter der Dusche mit ihrer Nacktheit erregt hatten. Auch dies, zumindest beim ersten Mal, ein Kampf, bei dem der eigene Wille absolut durchgesetzt und der des Partners bezwungen werden muss. Gerhard Liebmanns Darstellung des Vizeleutnants bringt das Kunststück zustande, die wunde Seite Eismayers, geprägt von der Angst, mit seiner Weichheit würde sich Schwäche verbinden, ansichtig, nein, nur ahnbar sein zu lassen.

Kurz darauf lädt Eismayer unter dem Vorwand, er brauche Hilfe bei einer Reparatur, Falak zu sich nach Hause ein und lässt ihn bei sich übernachten. Die schäbigen Unterkünfte in der Kaserne und die Zimmer von Eismayers Wohnung sehen nicht sehr verschieden aus. Ihre Beziehung – oder vielleicht richtiger: die Anziehung – setzt sich fort. Gefolgt von Eismayers Geständnis gegenüber seiner Frau, schwul zu sein und dies nicht erst seit heute. Sie verlässt ihn und die gemeinsame Wohnung und nimmt den Sohn mit.

Foto: Salzgeber

„Nur nicht drüber reden“, sei der Ratschlag seiner Mutter gewesen, erinnert sich Eismayer. Dann spuckt er plötzlich Blut. Diagnose: Krebs. Etwas frisst an ihm. Nach Entlassung aus dem Krankenhaus und der Chemotherapie hilft ihm Mario Falak, der sich als Berufssoldat verpflichtet hat und zum Offiziersstudium zugelassen wird, wieder auf und zu Kräften zu kommen. Im privaten Verhältnis kehrt sich damit das frühere Muster um: Eismayer ist nun derjenige, der parieren muss, um gesund zu werden und sich neu zu stählen.

Zurückgekehrt in die Armee, wachsen in ihm Zweifel an seiner Funktion und Rolle, an seiner Identität, an seinem Selbstbild. Unwillig und scheinbar realitätstüchtig mokiert er sich über eine idealerweise denkbare Zukunft mit Mario, der als Figur, trotz seiner entscheidenden Bedeutung, etwas im Ungefähren bleibt. Fassungslos hört Eismayer die selbstverständlich vorgetragene Frage seines kleinen Sohnes, wie denn sein Freund heiße.

Foto: Salzgeber

Als er sich in den Wagen setzt und losrast, ist für einen Moment lang offen, was passiert. Möglich wären ein Amoklauf, eine Kurzschlusshandlung, ein Suizid. Doch er bricht auf, um sich vor Mario und den Kameraden zu outen und sich zu sich selbst und dem Geliebten zu bekennen. Charles Eismayer hat die innere Front, hat „die Ich-Struktur des Nicht-zu-Ende-Geborenen“, wie Klaus Theweleit es in seinen epochalen „Männerphantasien“ nennt, überwunden. Könnten nur alle Sieger so aussehen – es müsste keine Besiegten mehr geben. Das Bild des Anfangs war keine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Vielmehr gilt: vom Eise befreit.

„Nach wahren Begebenheiten“ informiert der Vorspann. Im Nachspann liest man, dass die beiden Soldaten „am 31. Jänner 2014 in der Maria Theresien Kaserne offiziell verpartnert“ worden und bis heute aktiv im Dienst seien.




Eismayer
von David Wagner
AT 2022, 87 Minuten, FSK 12,
deutsche OF

Ab 1. Juni im Kino.