Die Konsequenz

DVD / BluRay

Wolfgang Petersens kontroverse Verfilmung des autobiografischen Romans von Alexander Ziegler wurde 1978 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Im Jahr zuvor hatte der Bayerische Rundfunk die Ausstrahlung in der ARD noch boykottiert. „Die Konsequenz“ erzählt die Geschichte des Schauspielers Martin, der sich im Gefängnis in Thomas, den Sohn eines Aufsehers verliebt. Nach Martins Entlassung ziehen die beiden zusammen, Thomas Eltern erzwingen daraufhin dessen Einweisung in eine Erziehungsanstalt. Martin muss miterleben, wie der sensible junge Mann dort mehr und mehr zerbricht. Der von Bernd Eichinger produzierte Film mit Jürgen Prochnow und Ernst Hannawald erscheint jetzt neu auf DVD und erstmals auf BluRay. Andreas Wilink über einen Film, der die düstere gesellschaftlichen Realität für schwule Männer Ende der 70er nachbildet – und teilweise noch immer aktuell ist.

Foto: EuroVideo

Eine Liebe, das kostet immer viel

von Andreas Wilink

Das Gericht verkündet folgenden Beschluss: „Auf Antrag der Eltern wird der Jugendliche Thomas Manzoni wegen seelischer und körperlicher Verwahrlosung auf unbestimmte Zeit in eine Erziehungsanstalt eingewiesen“. Nach der Betrachtung von Wolfgang Petersens Romanverfilmung „Die Konsequenz“ müsste vielmehr ein Schuldspruch über die, die dieses Urteil gesprochen und es provoziert haben, gefällt werden. Delikt: ihre eigene „seelische Verwahrlosung“.

Die Welt hinter Gittern, nicht nur solchen aus Eisen. Die Zukunft verriegelt. So erscheint es Thomas Manzoni. Sein Lebensmut ist aufgebraucht – mit 21! Wie anders könnte da „Die Konsequenz“ aussehen, als fotografiert in einem untröstlichen Schwarzweiß, das keine Farbe vertragen und aushalten würde.

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Vielleicht gehören zwei Filme von Wolfgang Petersen – der es seit „Das Boot“ (1981) bis ins Weiße Haus („In the Line of Fire“, 1993), in die „Air Force One“ (1997) und sogar nach „Troja“ (2004) gebracht hat –, die auf den ersten Blick wenig gemeinsam zu haben scheinen, in seinem Oeuvre (keineswegs nur zeitlich) eng zusammen. Zum einen die „Tatort“-Folge „Reifezeugnis“ (1977) mit dem Kieler Kommissar Finke (Klaus Schwarzkopf) und „Die Konsequenz“ nach dem Roman des Schweizers Alexander Ziegler (1944-87). Beide Fernsehfilme sind aus dem Jahr 1977, beide erlangten Berühmtheit, auch wenn Petersen selbst erst vier Jahre später mit der Verfilmung von Lothar-Günther Buchheims „Das Boot“ zur internationalen Handelsware wurde. In beiden Geschichten scheitert eine Liebe und ist die eine bzw. der eine Liebende deutlich jünger als das jeweils männliche Gegenüber, das erfahrener ist, zögernd und schwächer. In diesem Jungsein lebt der schwärmerische Wille zum Absoluten und eine Vorstellung von Glück, die im Moment ihres Scheiterns den Grund verliert, um am Leben bleiben zu wollen.

„Die Konsequenz“, später mit einem Adolf-Grimme-Preis ausgezeichnet, hat in der Bundesrepublik – nicht im Land der Entstehung dieser Geschichte, der Schweiz – ungeheuren Aufruhr ausgelöst. Die Fernsehausstrahlung war nur in einer zensierten Fassung möglich, bei der sich dennoch der Bayerische Rundfunk abschaltete. Die öffentliche Kontroverse – umso weniger verständlich, als die filmische Erzählung ebenso sensibel wie diskret und von erschütternder Traurigkeit ist – führte dazu, dass die WDR-Produktion noch eine Kinoauswertung bekam. Auch für „Die Konsequenz“ gilt der sprichwörtlich gewordene Befund, den Rosa von Praunheim (zusammen mit Martin Dannecker) in einem Drehbuch und mit einem Film fünf Jahre zuvor und damit immerhin schon für die sozialdemokratisch-liberale Willy-Brandt-Republik aufgestellt hatte: „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“.

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1977 galt noch der berüchtigte Paragraph 175 aus dem Reichsstrafgesetzbuch, der von der nationalsozialistischen Justiz verschärft, in der BRD beibehalten, zwar 1969 und 1973 reformiert, aber erst nach der Wende 1994 vollständig aufgehoben wurde. Die „sexuellen Handlungen“ zwischen den Hauptfiguren Martin Kurath und Thomas Manzoni bleiben strafbar: Thomas ist anfangs 17, und Kurath ist ein „Unzüchtler“, so hieß das rechtskräftig. Mögen sich heterosexuell normierte Männer auch sonst in nichts einig sein, in dieser Verachtung bildet man eine Einheitsfront voller Stolz auf das eigene So- und nicht Anders-Sein. „Einheit“, schreibt Klaus Theweleit in seinen „Männerphantasien“, „bezeichnet überhaupt ein Herrschaftsverhältnis, nicht etwa eines von Gleichheit.“

Die Geschichte erzählt Petersen von ihrem Ende her, um in einem Kreisschluss dorthin zurückzukehren. Jemand rudert im Boot hinaus auf einen See, taumelt und – Thomas Manzoni hat 60 Schlaftabletten geschluckt und will sich ertränken. Er wird gerettet und liegt in der Klinik. Martin Kurath wird auf Wunsch von Thomas informiert und kommt ihn besuchen. Wie konnte das geschehen, fragt ihn der Arzt? Lange Rückblende.

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Der Schauspieler Martin Kurath (Jürgen Prochnow) wird in ein neues Gefängnis verlegt – zweieinhalb Jahre hatte er als „175er“ bekommen, bestraft für den Sex mit einem Minderjährigen. Hier nun in diesem Knast muss er das letzte Drittel absitzen. Mit einigen Mithäftlingen führt er im Kirchensaal ein Theaterstück auf, in dem die Figur, die er selbst spielt, sich am Ende erschießt. Ein Mitspieler ist der Sohn des Gefängniswärters Manzoni, Thomas (Ernst Hannawald). „Junge, mein Sohn“ sind die ersten Worte, die Martin zu Thomas sagt – auf der Bühne, in seiner Rolle. Nach der Premiere schleicht sich Thomas in Martins Zelle und lässt sich mit ihm einschließen.

Es sind die Szenen ihres Zusammenseins – der Gespräche, ihres Zutrauens und ihrer Zärtlichkeit füreinander und ihrer körperlichen Begegnungen –, bei  denen der Raum und seine Wirklichkeit schwindet und die Gesichter von Jürgen Prochnow und Ernst Hannawald allein aus dem Dunkel hervortreten, als gäbe es die Welt nicht mehr. Ihre Beziehung fliegt auf, als bei Martin ein Foto und Briefe von Thomas gefunden werden, den Hannawald unter blondem Engelshaar mit nonnenhaft schlichter Aufrichtigkeit und mit Sanftmut spielt.

Die manchmal etwas hölzernen Dialoge, die wir etwa in Thomas’ kleinbürgerlichem Elternhaus hören („Wir wollen doch nur dein Bestes“), täuschen nicht über die ihnen innwohnende furchtbare Gewalt und das Missverständnis hinweg, dass Liebe durch Überwachen und Strafen zum Ausdruck kommen könnte. Vorurteile, Zwang, Repression, rigide Moralvorstellungen und staatlicher Zugriff als verlängerter Arm der elterlichen Erziehungsgewalt, die aus dem Sohn „einen Mann machen“ will, verwandeln Thomas in einen ‚Fall’. Nur einen  Moment lang scheint es, als könnten beide frei sein: Martin und Thomas ziehen zusammen. Aber bald schon klingelt es an der Tür: Polizei.

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Obgleich Thomas’ Schicksal von Petersen ganz persönlich erzählt wird, beschreibt es doch eine ‚typische’ Abwärtskarriere: Einweisung ins Heim, Drangsale, Flucht, Depression, Verrat aus Notwehr, Verzweiflung, Scham, Aufenthalt in der Psychiatrie, Suizidversuch. Ein Mensch wird gebrochen. Martin Kurath, der nach seiner Entlassung ein Theaterengagement in München angenommen hat, kann zunächst für den kasernierten Thomas nichts tun. Dann jedoch schleust er sich unter falschem Namen als Psychologe in die Anstalt ein, verhilft Thomas zur Flucht und erreicht über den Kontakt zu einem schwulen Politiker, der sein Doppelleben kultiviert hat, dass Thomas’ Aufenthaltstatus in Deutschland erhält, wobei auch dieser Ausweg wiederum für ihn zur Sackgasse wird.

„Die Konsequenz“ ist das – ja, auch – historische Dokument über eine gesellschaftliche Realität, in der es „Fluch“ bedeutet(e), schwul zu sein: eine Realität, die aber längst nicht überall der Vergangenheit angehört, sondern in Russland und anderswo gemeine Gegenwart ist. „Eine Liebe, das kostet immer viel“ würde Rainer Werner Fassbinder als Epitaph über diesen Film gesetzt haben, er, der zur selben Zeit, als Petersen „Die Konsequenz“ drehte, an seiner groß angelegten deutschen Comédie und Tragédie humaine arbeitete. Die lange Narbe auf Thomas’ Wange, die ihm von dem Aufseher Diethelm zugefügt worden ist durch einen Schnitt, ist nur das äußere Zeichen seiner inneren Versehrtheit. So lebte er hin – ein jüngerer Bruder von Georg Büchners Lenz. Falls Thomas es überlebt hat.




Die Konsequenz
von Wolfgang Petersen
DE 1977 96 Minuten, FSK 12,
deutsche OF,
EuroVideo

Auf DVD und BluRay erhältlich.

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