Eine total normale Familie

Trailerqueerfilmnacht

Im Mai in der queerfilmnacht: Die 11-jährige Emma hat immer gedacht, dass ihre Familie wie alle anderen ist. Bis ihr Papa Thomas sich eines Morgens als trans outet und erklärt, dass er von nun an als Frau leben möchte. Während aus Thomas nach und nach die elegant gekleidete Agnete wird, verändert sich auch die Beziehung zwischen Vater und Tochter. Mit viel Feingefühl und leisem Humor zeigt Malou Reymann in „Eine total normale Familie“, wie sich eine Familie von heteronormativen Vorstellungen lösen muss, um eine gemeinsame Zukunft zu haben. Unsere Autorin Esther Buss über eine dänische Tragikomödie, die vom Glauben an gemeinsame Veränderung erzählt.

Foto: Salzgeber

Nur zusammen

von Esther Buss

Am Anfang steht ein Appell. „Ihr müsst lernen, als Team zu funktionieren“, ermahnt der Vater seine Tochter, die sich beim Fußballtraining mal wieder etwas zu sehr auf ihr Ego fixiert hat. Dass der Satz schon bald in einem ganz anderen Feld Bedeutung haben wird – dem Mikrokosmos Familie –, davon hat die 11-jährige Emma in diesem Moment natürlich nicht die leiseste Ahnung.

„Eine total normale Familie“ beginnt wie ein typischer Familienfilm, in der Schilderung ritueller Abläufe spielt er ganz bewusst mit den Konventionen des Genres – etwa wenn sich zu Anfang die bürgerliche Familie in aller Normalität am Esstisch zusammenfindet. Mit der Ankündigung, dass die Eltern sich scheiden lassen, versetzt Mutter Helle ihren beiden Töchtern Emma und Caroline kurz darauf einen Schock. Doch die eigentliche Nachricht kommt erst: „Wir lassen uns scheiden, weil Papa eine Frau sein möchte“.

Malou Reymann bearbeitet in ihrem Langfilmdebüt ihre eigene Kindheit mit einem trans Vater, was die anfangs vielleicht etwas irritierende eingeschränkte Perspektive erklärt. Auch wenn die dänische Filmemacherin und Schauspielerin in der Recherche auf die Tagebucheinträge ihres Vaters zurückgegriffen hat, handelt „Eine total normale Familie“ eher am Rande von dem einschneidenden Prozess, den Thomas auf ihrem Weg zu Agnete erfährt – und auch das gesellschaftliche Außen bleibt weitgehend ausgespart. Reymann geht es vielmehr darum, was die Transition für das vormals heteronormative Familiengefüge bedeutet: Wie sich Rollenverhältnisse, Beziehungsdynamiken, aber auch – erst recht nach der geschlechtsangleichenden Operation – körperliche Unbefangenheiten verändern und verschieben, wie für selbstverständlich erachtete Bindungen erschüttert werden, um sich schließlich neu zu justieren. Erzählzentrum des Films ist die jüngere Tochter Emma. Sie steht auch im Zentrum der Kamera.

Monatelang hat Emma den Kontakt zum Vater verweigert, bis sie sich schließlich bereit erklärt hat, an einer Therapiesitzung im Kreis der Familie teilzunehmen. Als Thomas jedoch kurzfristig erklärt, erstmals in der neuen Identität Agnete – und in Frauenkleidern – zu erscheinen, stellt sie sich quer. Das Gespräch sitzt sie schweigend und mit einem Wollschal um den Kopf ab. Während die anderen Figuren nur schemenhaft zu erkennen sind und Agnetes Stimme aus dem Off hörbar ist, besetzt Emma in der Szene vollständig das Bild. So lange, bis sie den Schal endlich abnimmt und ihrem Vater Agnete – nun geschminkt und in rosa Bluse und glitzernder Strickjacke – erstmals ins Gesicht sieht.

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Empfindsam und mit einem melancholisch grundierten Humor erzählt Reymann in warmen, lichten Bildern, wie die Familie durch die jeweils unterschiedlichen Bedürfnisse ihrer Mitglieder einfach nicht auf einen Nenner zu bringen ist. Helle, im Film eher Hintergrundfigur, hat den Wunsch nach einem symbolischen Ritual, sie schlägt vor, dass sich alle gemeinsam von Thomas verabschieden. Für Caroline eine absurd morbide Idee. Der Teenager und Britney-Spears-Fan – einziger Verweis auf die Zeit, in der der Film spielt – macht sich nur kurz Sorgen um die bevorstehende Konfirmation, nimmt Agnete dann aber nahezu übergangslos als Vater an. Über geteilte Interessen (Kleidung, Maniküre etc.) entsteht sogar eine Verbindung, die in ihrer Komplizenhaftigkeit vorher der jüngeren Schwester vorbehalten war. Emma dagegen sieht sich ins Abseits gestellt. Als Agnete in den gemeinsamen Ferien vor einer Urlaubsbekanntschaft ihr Fußballwissen verleugnet und die ahnungslose Mutter spielt, steht ein kleiner Verrat im Raum.

Der Film spielt diese Erfahrungen jedoch nie dramatisch aus, sie bleiben eher als Irritationen und Verstimmungen im Raum stehen. Reymann arbeitet mit Zeitsprüngen, Szenen werden eher abgebrochen als ausformuliert. Was nicht gesagt wird, findet seinen Ausdruck umso mehr im ausdrucksstarken Gesicht der kindlichen Darstellerin Kaya Toft Loholt. Dramaturgischer Erzählfaden sind außerdem vom Vater gefilmte Videoaufnahmen, verschiedene Stadien von Emmas Kindheit werden darin bilderbuchhaft durchlaufen: Ostereiersuchen, Geburtstag, der erste Fußball, geschlechterspezifische Verkleidungsrituale (Prinzessin). Der Effekt dieses Refrains ist durchaus amivalent. Die Homevideos führen ein heteronormatives Modell vor, das von der Wirklichkeit überschrieben wird, sie zelebrieren die geteilte Erfahrung von Vater und Tochter aber auch und belegen sie dadurch mit dem Unterton eines Verlusts. Letztlich sind aber genau das die Ambivalenzen, die von Emma erst durchlaufen werden müssen, um in Agnete ihren Vater vollständig anzunehmen.

Foto: Salzgeber

„Eine total normale Familie“ ist über Emmas aufwühlende Erfahrung hinaus natürlich auch die Geschichte einer Frau, die erst ankommen muss. Agnete, gespielt von dem Schauspieler Mikkel Boe Følsgaard, genießt sichtlich ihr neues Frau-Sein. In jeder ihrer Bewegungen und Gesten, der Art auch, wie sie verschiedene Kleidungsstile ausprobiert, liegt eine große, stille Freude. Dass sie dabei nicht immer Emmas Bedürfnissen gerecht werden kann, formuliert der Film nie als Vorwurf. Ohnehin stellt sich Reymann mit ihrem Film abseits der identitätspolitischen Debatten, sie vermeidet scharfe, auch kritische Töne und positioniert sich eher als vermittelnde Instanz. Auch dann noch, als bei einer Familienfeier der Schwiegervater selbstverständlich weiter von Thomas spricht und sich erst nach Agnetes Einspruch langsam zum richtigen Personalpronomen durchringt, schwebt über der Szene der Glaube an Lernfähigkeit und Veränderung. „Eine total normale Familie“ bringt den verschiedenenen Perspektiven Geduld und Verständnis entgegen, bis alle begriffen haben, was es heißt, „zusammen zu spielen“.




Eine total normale Familie
von Malou Reymann
DK 2020, 93 Minuten, FSK 6,
dänische OF mit deutschen UT,

Salzgeber

Im Mai in der queerfilmnacht.

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