Ediths Glocken – Der Film

 TrailerDVD / VoD

Nach den Trashfilm-Klassikern „Mutti – Der Film“ (2003) und „18:15 ab Ostkreuz“ (2006) hat die Berliner Travestie-Legende Ades Zabel mit ihren Company-Co-Stars Biggy van Blond und Bob Schneider ihr BKA-Kultstück „Wenn Ediths Glocken läuten“ verfilmt. Das Ergebnis ist nicht weniger als der ultimative Neuköllner Weihnachtsfilm! Die semi-relevante Handlung: Hartz-VIII-Empfängerin Edith, Leggingsboutique-Besitzerin Biggy und Kiezwirtin Jutta beschließen das Heilige Fest dieses Jahr zusammen zu begehen: bei Edith in der Nogatstraße, mit lecker Gänsebraten und ganz viel 1,99-Euro-Rotwein vom Lidl. Ihre besinnliche Stimmung lassen sich die wilden Weiber weder von einem grausam verkohlten Vogel noch von einem explodierenden Weihnachtsbalkon vermiesen. Die Feier endet natürlich trotzdem im totalen Chaos. „Ediths Glocken – Der Film“ gibt es ab 23. Dezember im Salzgeber Club. Anlässlich des Kinostarts im November 2016 wagte Ades Zabels alter Weggefährte Jörg Buttgereit einen Blick zurück: auf die Geburt einer gewissen Edith Schröder und die brutalen Folgen für uns alle.

Foto: Salzgeber / Xiomara Bender

Ein Kreis schließt sich

von Jörg Buttgereit

Ades Zabel ist sowas wie der Neuköllner Andy Warhol. Nur in lustig und ohne Siebdruck. Da passt es auch ganz gut, dass er ein wenig wie Louis de Funès aussieht. In den frühen 1980er Jahren umschwirrten Ades willige Künstler wie Motten das Neonlicht. Mit seiner Teufelsberg Produktion drehte er in der Do-it-yourself-Tradition der Genialen Dilletanten (ja, mit zwei „l“) farbenfroh schraubige Super-8-Untergrund-Filme in der grauen Mauerstadt Berlin. Einer der wichtigsten Filme im Oevre der Teufelsberger war „Edith Schröder – Eine deutsche Hausfrau“ aus dem Jahr 1981.

Ein ganz kleines bisschen bin ich auch mitverantwortlicher Geburtshelfer der Kunstfigur Edith Schröder. Denn wenn ich mich recht entsinne, ist die 1981 in meinem dreiminütigen Super-8-Kurzfilm „Oh Edith“ zum ersten Mal aufgetaucht. Der Titel war eine Verhohnepipelung der amerikanischen Sitcom „Mary Tyler Moore“ (1970-77), die im deutschen Fernsehen „Oh Mary“ hieß und die ich immer mit meiner Mutter im Vorabendprogramm beim Abendbrot gesehen habe. Dargestellt wurde Edith von Ades Zabel selbst, den ich aus der Berufsschule kannte und der „Oh Mary“ auch so mochte. Er ließ sich im KaDeWe (damals noch das Flaggschiff des Karstadt-Konzerns) am Ku-Damm zum Herrenausstatter ausbilden. Ich machte bei Wertheim (damals noch Teil des Karstadt-Imperiums) in Steglitz eine Ausbildung zum Schaufenstergestalter. Schauspielerisch führen musste ich Ades bei dem Kurzfilmchen nicht. Seine Edith war schon voll fertig und ausgereift. Die Metamorphose hatte schon stattgefunden.

Weihnachten 1980: Ades Zabel und unser Autor mit Ogar Grafe, Hermoine Zittlau und einem unbekannten Herrn (von rechts nach links) im Berliner Exxess-Club – Foto: privat

Spätestens bei den eher unglamourösen Filmvorführungen im Schöneberger Risiko oder im Kreuzberger Frontkino muss Ades das Potenzial seiner raubeinigen Neuköllner Schreckschraube erkannt haben. Denn noch im selben Jahr drehte er mit seiner Teufelsberg Produktion den 35 Minuten langen Super-8-Film „Edith Schröder – Eine deutsche Hausfrau“. Ich wurde zum Aushilfskameramann degradiert und bekam eine kleine Rolle als besoffener Proll Erich in der turbulenten Partyszene des Films. Auf der offiziellen Webseite wird die Handlung des Films wie folgt zusammengefasst: „Edith (geschieden) und Uschi (verwitwet) hassen Ausländer und alles andere entartete Gesockse. Sie sind stets fröhlich, bis eines Tages Ediths Tochter, die in einem großen Schuhgeschäft arbeitet, als Punkerin nach Hause kommt. Edith alarmiert Uschi, gemeinsam rufen sie den Siedlungsschutz, der dann die entartete Tochter abführt. Am Abend gibt Edith eine Party, bei der es zu einer Schlägerei aus Eifersucht kommt. Am nächsten Tag bekommt Edith einen verhängnisvollen Brief: Ihr geschiedener Mann braucht keinen Unterhalt mehr zu bezahlen. An all diesem Unglück verzweifelt sie und beginnt zu trinken. Dem Alkohol verfallen, irrt sie volltrunken durch die Siedlung und wird von einer Siedlungsschutzstreife interniert…“. „Edith Schröder – Eine deutsche Hausfrau“ ist eine schonungslos bodenständige und brüllend komische Antwort auf Ulrike Ottingers experimentellen Szenefilm „Bildnis einer Trinkerin“ (1979) mit der eleganten Tabea Blumenschein in der Hauptrolle, der uns damals ganz schön gelangweilt hat.

Foto: Salzgeber / Xiomara Bender

In den 1990er Jahren wird Edith in Bühnenprogrammen wie „Edith & Hotte in The Big Kiss“ oder „Edith & Hotte in Muttis Rache“ zum Berliner Off-Theater-Star. „Edith Schröder, Hartz IV-Empfängerin und unterbeschäftigte Hausfrau mit Hang zu Alkoholismus und Pfandflaschendiebstahl, ist der Megastar, auf den Deutschland wartet“, hieß es 2003 in der Ankündigung des Neuköllnicals „Edith Schröder Superstar“. Insbesondere die Weihnachtsshow „Wenn Ediths Glocken läuten“ wurde zum BKA-Dauerbrenner.

Nun gibt es die Verfilmung: „Ediths Glocken – Der Film“. Damit schließt sich ein Kreis. Edith ist wieder Film. Und heute, in der verdammt hippen multikulturellen Touristenmetropole Berlin, ist die Urberlinerin auch ein Fels in der Brandung. Sie hat die Mauer noch im Kopf und das ist gut so. In einer Zeit in der keine neuen Staffeln der Westberliner Vorabendserie „Drei Damen vom Grill“ mehr möglich sind (Günter Pfitzmann, Brigitte Mira, Harald Juhnke – alle sind sie tot!) und die einst so schön provinzielle „Berliner Abendschau“ auch immer neumodisch verrückter wird (mit Computer-Apps und so wilden jungen Leuten als Co-Moderatoren), ist es tröstlich, auf unsere gute alte Edith Schröder zählen zu können. Doch wie alle Dinosaurier hat auch Edith Probleme mit der Anpassung.

Foto: Salzgeber / Xiomara Bender

Alle Jahre wieder steht Weihnachten vor der Tür. Die grantige Hartz-VIII-Empfängerin Edith  verliert ihren Aushilfsjob als Weihnachtsmann bei Karstadt am Hermannplatz, weil sie die kleinen Kinder nicht verzaubert, sondern verschreckt. In der Leggings-Boutique ihrer lieben Freundin Biggy (Biggy van Blond) trifft die traurig klagende Edith auch die Kneipenwirtin Jutta Hartmann (Bob Schneider). Die drei betagten Neuköllnerinnen stellen fest: Sie haben diesmal richtig Angst vor dem Weihnachtsfest. Denn die alleinstehenden Schabracken haben keine Familien, die mit ihnen feiern könnten. Edith hat die Mikrowellengerichte und ollen Kriegsfilme im Fernsehen zu Heiligabend satt. Schluss mit der Einsamkeit. Die drei Damen beschließen den Vierundzwanzigsten diesmal gemeinsam bei Edith zu feiern. Auch wenns bei der immer so schmuddelig ist und die gar nicht kochen kann. Doch als Edith und Biggy beim Einkaufbummel bei Karstadt am Herrmannplatz einen Vibrator für Jutta mopsen wollen, bekommen sie beinahe lebenslanges Hausverbot von dem zudringlichen Kaufhausdetektiv. Die besinnliche Stimmung droht in triebhafte Unzucht umzukippen…

Foto: Salzgeber / Xiomara Bender

Sicher könnte man „Ediths Glocken – Der Film“ auch als handlungsfreie Transen-Klamotte abtun. Doch wer Edith kennt, weiß, dass sich hinter dem scheinbar amateurhaften Dilettantismus eine authentische Charakter- und Millieustudie direkt aus den Hinterhöfen von Berlin-Neukölln verbirgt. „Ick bin die Edith Schröder und der Ades hat mir vor mehr als über dreißisch Jahren erfunden. Det is so lange her, dass ick mittlerweile real jeworden bin“ mit diesen Worten skizziert Ades Zabel selbst seine Edith. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Höchstens, dass ich die olle Frau inzwischen echt lieb gewonnen habe.




Ediths Glocken – Der Film
von Ades Zabel, Biggy van Blond und Nicolai Tegeler
DE 2016, 100 Minuten, FSK 0,
deutsche OF,
Salzgeber

Hier auf DVD.

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VoD: € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)


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