Falling

TrailerDVD / VoD

In seinem Regiedebüt nach einem eigenem Drehbuch erzählt Hollywood-Star Viggo Mortensen von Willis, der seinen Sohn einst im konservativen Mittleren Westen der USA zu einem „echten Mann“ erziehen wollte. Mittlerweile lebt John in Kalifornien, zusammen mit seinem Ehemann Eric und der gemeinsamen Adoptivtochter Monica. Als bei Willis eine beginnende Demenz diagnostiziert wird, ist er zunehmend auf die Fürsorge seines Sohnes angewiesen. Und der bemüht sich noch einmal um eine Annäherung. Mortensen spielt in dem emotionalen Familiendrama selbst die Rolle des erwachsenen John. Dennis Vetter über einen Film, in dem sich (zu) vieles um Versöhnlichkeit dreht.

Foto: Prokino

Der verlorene Vater

von Dennis Vetter

Viggo Mortensens Regiedebüt „Falling“ hat den Schauspieler in den USA in öffentliche Diskussionen um die Besetzung nicht-heterosexueller Figuren verwickelt. Er selbst spielt darin die Hauptrolle eines schwulen Liberalen und Sohn eines rassistischen Sexisten. Sein Film feierte Anfang 2020 unter komplizierten Prämissen in Sundance Premiere, kurz vor Beginn der Vorwahlen zwischen Bernie Sanders und Donald Trump und damit vor dem Hintergrund einer stark polarisierten US-Öffentlichkeit. Bereits das Oscar-prämierte Drama „The Green Book“ (2018) mit Mortensen wurde von Kontroversen begleitet: Der Film und die von ihm dargestellte Figur eines weißen Retters seien altbacken und machen Rassismus salonfähig, hieß es zu der Zeit. Mortensens Schauspielleistung, ohne die „The Green Book“ indiskutabel wäre, geriet schnell aus dem Blick. Politische Auseinandersetzungen scheut der Schauspieler auch als Regisseur anscheinend nicht – und veröffentlichte „Falling“ diesen Februar in den US-Kinos zu einem Zeitpunkt, als erstmals die Umsetzung von Diversitätskriterien im Zentrum einer Oscarverleihung stand.

„Falling“ erzählt von John und seinem dementen Vater Willis – und von der Hoffnung auf Versöhnung. Willis hat für das Leben von John und dessen Ehemann Eric keine freundlichen Worte übrig, er äußert sich seinem Sohn gegenüber ausnahmslos fluchend, diskriminierend und beleidigend. Mit Johns Adoptivtochter Monica kommt er besser klar. Zwischen Alltagsszenen und ausführlichen Rückblenden auf Johns Kindheit, Jugend und die gemeinsame Vergangenheit mit der verstorbenen Mutter versucht Regisseur Mortensen Vater und Sohn Tiefe zu verleihen und die schreienden Gegensätze zwischen ihnen mit einem Sinn für familiäre Intimität und einem Statement gegen Altersdiskriminierung zu verknüpfen.

Was diesen Schauspielerfilm, der von einer dick aufgetragenen Musik (ebenfalls von Mortensen!) begleitet wird, überraschend ungreifbar, regelrecht verwirrend und so dann doch auch immer wieder interessant macht, ist letztlich die Montage von Ronald Sanders, der alle wichtigen Filme von David Cronenberg geschnitten hat. Sanders gelingt es, Blicke, Körper und Zeitebenen in Widersprüche und Wendungen zu verstricken, die das überdeutliche Drehbuch immer wieder verweigert. Auch Cronenberg selbst taucht auf: als Arzt, der den Vater einer Rektaluntersuchung unterzieht – und verleiht dem Film für eine Szene eine sonderbare Ironie, die im Kontrast zum sonst streng sentimentalen Tonfall steht.

Mortensens Regiedebüt bleibt über diese Szene hinaus und bis zum ausschweifenden Ende ein Film der Widersprüche und losen Enden. Berührend ist er damit am ehesten noch als Dokument einer Performance: Mortensen spielt den „schwulen Mann“ und arbeitet sich an seiner eigenen Rollengeschichte ab. Er bricht mit den Körperbildern, die ihn zum Star gemacht haben, und spielt somit auch an gegen die Helden und Mörder aus den Filmen von Peter Jackson und David Cronenberg, aber auch gegen den riesigen Tony Lip aus „The Green Book“ – und sucht vielleicht nach jener Undefinierbarkeit, von der gerade Charaktermimen zehren. Im besten Sinne widerlegt er damit die Idee, der Körper eines Schauspielers sei einzig an dessen persönliche Sozialisation gebunden, und unterstreicht, dass er nicht nur die eigenen Biografie, sondern auch die Biografien seiner Figuren mit sich vor die Kamera trägt.

Foto: Prokino

Mortensen arbeitet sich in seinem Film aber auch unmissverständlich an den gesellschaftspolitischen Spannungen der USA ab und versucht nahezu in jeder Szene Positionen in Stellung zu bringen, die zunächst unvereinbar scheinen. Im Zentrum seiner filmischen Gewissensfrage macht er damit aber auch „dem hassenden Mann“ auf kuriose Weise die Bühne frei und fordert von seiner Hauptfigur, diesen zu lieben oder zumindest nicht wegzustoßen. Diesen zerstörerischen und gleichermaßen zerbrechenden Mann will Mortensen in seinem Film beinah obsessiv verstehen. So bleiben insbesondere die Frauenfiguren im Film frustrierend unterkomplex. Henriksen schillert hingegen als seniler Landwirt mit Freiheitstrieb und Wehmut im Blut über den gesamten Film hinweg – mit innigen Wutanfällen, verletzender Wortwahl und momentanen Gedächtnisverlusten.

Ein Punkt des Films scheint zu sein, dem Dementen nicht seine Haltung abzusprechen, nur weil er dement ist. Das reißt herausfordernde Fragen auf, macht den Film in seiner letztlich undeutlichen Haltung aber auch unbefriedigend und frustrierend: Wenn der hassende Vater tatsächlich die Inkarnation des gesellschaftspolitischen Feindes ist, warum umarmen ihn der Sohn und die Kamera dann doch so bedingungslos? Der wagemutige Schnitt des Films soll am Ende alles klären. Mit dem Abschweifen des Films in einen versöhnlichen (das wichtigste Wort zum Film!) Ausbruch von Transzendenz und Naturromantik läuft Mortensen seinen politischen Fragestellungen allerdings davon und entzieht ihnen den Boden.




Falling
von Viggo Mortensen
UK/CA/US 2020, 113 Minuten, FSK 12,
englische OF mit deutschen UT und DF,

Prokino

Seit 9. Dezember auf DVD erhältlich.

↑ nach oben