Common Threads – Stories from the Quilt

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Robert Epstein und Jeffrey Friedman dokumentierten Ende der 1980er Jahre den Beginn des Aids Memorial Quilts. In diesem gemeinschaftlichen, bis heute andauernden künstlerischen Projekt werden Erinnerungsstücke von Aids-Toten zusammengewebt und damit dem Vergessen und der Ignoranz entrissen. „Common Threads – Stories from the Quilt“, der ab jetzt im Salzgeber Club zu sehen ist, fasst die Erfahrungen der ersten Dekade des Umgangs mit Aids zusammen, die Trauer über die Verluste, die Wut über die Untätigkeit der Reagan-Regierung und den Kampfgeist der Aids-Bewegung. Zu einer Zeit, in der die schwulen Opfer der Aids-Epidemie in den Medien unsichtbar blieben, bot der Film das ganze Instrumentarium einer großen Hollywoodproduktion auf. 1989 erhielt das Regie-Duo dafür den Oscar für den Besten Dokumentarfilm. Andreas Wilink über ein unentbehrliches Dokument schwuler Geschichte.

Foto: Salzgeber

Heiliger Zorn

von Andreas Wilink

Die wärmende Decke besteht aus unterschiedlichen, bunt gemischten Stoffstücken und -resten, die miteinander vernäht (gequiltet) zu einem Ganzen werden. Das Herstellen von Quilts wurde bei amerikanischen Siedlerinnen in der Pionierzeit zu einem sozialen Ereignis: Sie trafen sich für diese Arbeit und tauschten sich dabei aus. Beide Aspekte – das Kombinieren einzelner Elemente zu einem kompletten Muster und fertigen Stück und die integrative Leistung, die die Handarbeit mitproduziert hat – gehören zusammen, auch in „Common Threads – Stories from the Quilt“ von Robert Epstein und Jeffrey Friedman. Der US-amerikanische Dokumentarfilmklassiker aus dem Jahr 1989 spinnt die „gemeinsamen Fäden“ fort und gestaltet sie zum Netzwerk mit sechs Schicksalslinien.

Konkretes kann symbolisch werden, und auch ein Symbol kann sich ans Konkrete binden. Wie der Quilt, der 1987 Tausende von HIV-Opfern namentlich zusammenfügt und damit zum Memorial wird: ein begehbares und zu erwanderndes Leichentuch, das sich über jene Männer und Frauen breitet, die nicht anonym bleiben sollen. Zugleich repräsentiert er ein Dokument der Anklage gegen einen Staat mit seiner Gesundheits- und Sozialpolitik, der viel zu lange gleichgültig blieb gegenüber der „Schwulenpest“ und sich moralisch entrüstete, Forschung sträflich unterfinanzierte und sich damit unterlassener Hilfeleistung schuldig machte. Dazu gehörte auch Präsident Ronald Reagans Antihaltung gegenüber Sexualaufklärung an Schulen, was etwa Dr. Neil Schram aus L.A. derart aufbringt, dass er im Film erklärt, die Regierung kümmere sich offenbar lieber um die Rettung von Seelen als von Leben.

Es brauchte erst – nach bereits 15.000 Toten! – die Prominenz des an Aids erkrankten und sterbenden Rock Hudson, der im Hollywood der 1950er und 60er Jahre idealtypisch Männlichkeit abgebildet hatte, um Aufmerksamkeit zu schaffen und eine Bewusstseinsveränderung einzuleiten (vielleicht vergleichbar der Emotionalisierung, die Marvin J.  Chomskys Fernsehserie Holocaust“ provozierte, das Unvorstellbare fühlbar machte und das bekannte Faktische „beglaubigte“). Eine Erregungsenergie im doppelten Sinn. Wir kennen im Deutschen den juristischen Begriff der Erregung öffentlichen Ärgernisses. Hier musste Erregung umgeleitet werden, um in eine Art heiligen Zorn über das buchstäbliche Totschweigen zu münden.

Der Wille zur Persönlichkeitswerdung, gerade auch im Kontakt mit der eigenen „Bruderschaft“, wird zur „fast unerschöpflichen Quelle  transformatorischer Energie“, wie es Eve Kosofsky Sedgwick nennt, die Didier Eribon in seinen grundlegenden „Betrachtungen zur Schwulenfrage“ von 1999 (deutsche Erstauflage 2019) zitiert. Der französische Soziologe, der durch seine „Rückkehr nach Reims“ auch der nichtwissenschaftlichen Öffentlichkeit bekannt wurde, zeigt auf, was Fluchträume und „Freundschaft als Lebensraum“ für Entwicklung, Abgrenzung und Verhaltenstechniken, für die Befreiung aus psychischem Elend und individuell zu leistende Trauerarbeit bedeuten.

Foto: Salzgeber

Mit der Heimsuchung durch Aids und der Reaktion der heterosexuellen, weißen  Majorität und politisch konservativen Klasse auf die „Seuche“ musste sich diese Energie noch mal ganz anders konzentrieren und die seit den 1960er Jahren erkämpfte Identität unter verschärften Bedingungen behaupten, offensiv umformulieren und neu definieren. Die ohnehin erlittenen Verwundungen der Stigmatisierten – „Scham isoliert“, schreibt Sartre – schienen sich nun in einem äußeren schuldbehafteten Zeichen zu manifestieren, auf das die Anderen (Gesunden) mit Fingern zeigen, sanktionierender Kontrolle unterwerfen und das sie mit aktualisierter Verachtung strafen konnten.

Wir sehen und hören von sechs Biografien in Bildern und Erzählungen ihrer Angehörigen, Eltern und Lebensgefährten, ergänzt um medizinische Nachrichten und journalistische Berichterstattung aus den 80er Jahren und kontrastiert von schlimmen Interviewäußerungen „frommer“ Bürger, die den in ihren Augen „abnormen Lifestyle“ abkanzeln, es nicht mal bei Ausgrenzung belassen und zu Gewalt greifen.

Foto: Salzgeber

Jeder Einzelne zählt: Tom, der Athlet, Olympionike und Mitbegründer der Gay Games, dessen Lebensgefährtin sich empört: „Als ob man sich durch Tränen anstecken könnte“; der Afroamerikaner Rob Perryman, der sich als Drogenabhängiger infizierte; Jeffrey Sevcik in „seiner kindlichen Unschuld“ und dem Gefühl der Nicht-Zugehörigkeit, wie sein Freund es nennt; der kleine David Mandell, der sich an einer Blutübertragung infiziert und doch so gern „das Leben verschlungen“ hat, wie seine Mutter sagt; der Gartenarchitekt David C. Campbell, der nicht besonders glücklich darüber gewesen war, schwul zu sein, wie sein Lebensgefährte bekennt; der Krankenpfleger Bobbi Campbell, der als Nummer 16 der HIV-Positiven in San Francisco registriert worden war. 1989 erreicht die Zahl der Aids-Fälle in den USA die Marke 100.000, mehr als 59.000 Tote sind zu beklagen.

„Dieses heißt Schicksal: gegenüber sein und nichts als das und immer gegenüber“, schreibt Rilke in seiner Achten Duineser Elegie. „Common Threads“ zieht die Summe aus Schock und Schrecken, Trost und Untröstlichem, Angst um geliebte Menschen, emotionalen Belastungen, hilflosem Betrachten des Leidens und Sterbens, aus den unterschiedlichen Methoden und Geisteshaltungen, mit denen Todkranke es sich leicht oder schwer machen, aus der Erfahrung des Schweigens und bösen Banns, der über HIV-Infizierte verhängt worden ist, und aus der aufbauenden Kraft der Agitation.




Common Threads – Stories from the Quilt
von Rob Epstein und Jeffrey Friedman
US 1989, 79 Minuten, FSK 0,
englische OF mit deutschen UT,

Salzgeber

Hier auf DVD erhältlich.

vimeo on demand

VoD: € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)

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