Die Jungfrauenmaschine

TrailerQueerfilmnacht

„Filme wie der von Monika Treut vernichten das Kino“, schrieb 1988 die ZEIT. Gemeint war „Die Jungfrauenmaschine“, der heute natürlich völlig zu Recht als Klassiker des lesbischen Kinos aus Deutschland gilt – und im April in der Queerfilmnacht auf die große Leinwand zurückkehrt. Der Film erzählt von Dorothee Müller, einer jungen, naiven Hamburger Journalistin, die sich an eine Untersuchung über romantische Liebe macht und für belastbare Antworten bis ins abenteuerliche San Francisco reisen muss. Anne Küper folgt dem Film und seiner Regisseurin auf ihrer lustvollen Entdeckungstour, deren Ursprung auch viel über die engen sexuellen Grenzen im Deutschland der 1980er erzählt, und erkundet Treuts bahnbrechendes queeres Bastel-Prinzip.

Foto: Salzgeber

Hands On

von Anne Küper

Ein Notizbuch, ein Kugelschreiber, ein Fotoapparat, ein Aufnahmegerät, ein Paar mondäner Lederhandschuhe. Dorothee Müller (Ina Blum) packt ihre Handtasche und flüchtet aus dem Büro, in dem sie vorher noch Texte über dieses und jenes verfasste. Denn das Thema ihres neuesten Artikels, eine Untersuchung über die romantische Liebe, lockt die Journalistin aus dem gewohnten Terrain. Fix steigt sie auf das Fahrrad, dann in ein kleines Boot, um die Bewegungen der Menschen vom Fluss aus zu beobachten, ehe ihr Blick auf den Ruderer fällt, der ihr gegenübersitzt, und der prompt das T-Shirt auszieht, als er das Augenpaar bemerkt, das an den Rändern des Fernglases neugierig vorbeischaut.

Der Schreibtisch ist nicht mehr der geeignete Ort, um Entdeckungen zu machen und Wissen über die Welt zu produzieren. Diese Feststellung steht am Anfang von Monika Treuts „Die Jungfrauenmaschine“, der 1988 das Filmfestival in Toronto eröffnete. Gesten des Forschens prägen auf unterschiedlichen Ebenen den Film, vordergründig natürlich bei der journalistischen Arbeit von Dorothee, die sie über kurze Besuche bei den Schimpansen im Zoo oder einem Hormon-Spezialisten (Peter Kern) letztlich von Hamburg bis nach San Francisco führen wird. In diesem Start- und Zielort der Reise deutet sich an, dass die Recherchen auch ein Erkunden ihrer eigenen Vorlieben bedeuten, ein persönliches Ausprobieren, eben hands on.

„Dorothee Müller, das war ich“, wird die Stimme aus dem Off einmal hauchen, um auf die Vergangenheit vor einem sexuellen Experimentieren abseits von Deutschland zu verweisen, diesem bürgerlichen Trauerspiel, in dem das lesbische Begehren auf der Hinterbühne warten muss. Wie diese Lust in Szene gesetzt werden kann, ist derweil Kern einer weiteren progressiven Forschungsbewegung, nämlich derer, die Treut mit ihrem Film selbst unternimmt, wenn sie Intellektualität, Komik und Erotik kombiniert, spielerischer, als sie es noch in ihrem ersten Spielfilm „Verführung: Die grausame Frau“ von 1985 unternahm, der in gemeinsamer Regie mit ihrer damaligen Lebensgefährtin Elfi Mikesch entstand und 18 Jahre auf dem Index für jugendgefährdete Medien lag.

Privat ist die Liebe bei Dorothee zu Beginn mindestens eine ambivalente Sache. Mit Arbeitskollege Heinz (Gad Klein) führt sie eine Beziehung, in die beide nicht sonderlich investiert sind. „Ich kann mir nicht vorstellen, was Heinz von mir will. Diese letzte Nacht war doch auch für ihn nicht so großartig“, stellt sie abgeklärt-frustriert fest und bleibt doch mit dem kontrollsüchtigen, schwitzenden Mann zusammen, vor dem sie sich ekelt. Ihr Verlangen projiziert die Journalistin stattdessen auf einen Stiefbruder, eine verbotene Fantasie der Verbundenheit, die aus dem Bett verschwunden ist, bevor Dorothee aufwacht. „Seit wann hast du denn ‘nen Bruder?“, fragt Heinz, auf Eindeutigkeit bedacht, als seine Partnerin das mit ihm versucht zu teilen, wonach sie sich sehnt.

Foto: Salzgeber

Das Geschwisterteil als porn fantasy führt die junge Frau zurück in die Familiengeschichte, mit deren Gespenstern sie einen Umgang sucht. Der Vater ist abwesend, die Mutter gestorben. Unter der Krankheit der romantischen Liebe habe sie ebenso gelitten wie die Tochter, heißt es. Und sie habe ebenso die Ansicht vertreten, dass alle Männer Mörder seien. Als Tänzerin und Stripperin soll die Frau Mama gearbeitet haben. Wenn Dorothee schließlich selbst auf der Bühne einer Lesbenbar in Kalifornien landet, zusammen mit Ramona (von Performance Artist Shelly Mars gespielt), die als heißer Dragking auftritt, dann inszeniert Treut in gewisser Weise gar nicht so sehr eine Provokation und stärker eine Versöhnung. Eine Szene zwischen Coming-in und Coming-out, einer Familienablösung und einer Familienbildung, eine Rückkehr in den Mutterleib bei gleichzeitiger Ausstoßung, die Geburt einer neuen und doch alten Dorothee Müller, deren gesellschaftlich erlernte Naivität nach einer leidenschaftlich-teuren Nacht der Erkenntnis weicht: „Liebe ist eine Sache und Fun eine andere“.

Mit „Die Jungfrauenmaschine“ hat Treut keine romantische lesbische Liebesgeschichte gedreht (die kommt erst später, voller Zärtlichkeit und Pathos: „Von Mädchen und Pferden“, 2014). Die Geschichte des deutschen Mädchens in Amerika muss nämlich noch gegen die Illusion der deutsch-romantischen Gefühle anarbeiten zu einer Zeit, in der Feminismus die Vorstellung bezeichnet, die vor allem Alice Schwarzer innerhalb des Diskurses der Bundesrepublik vertritt. The German girl, das ist nicht nur Dorothee, deren Unbedarftheit sich leicht belächeln lässt, sondern meint irgendwo auch Monika. Die Rezeption von „Die Jungfrauenmaschine“ begleitet die schwierige Beziehung zwischen der deutschen Filmszene und der Filmemacherin, die 1989 nach New York zieht.

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Die Flucht aus Deutschland ist nicht nur motiviert durch die Nähe zu aufregenden Künstlerinnen wie Lizzie Borden („Born in Flames“, 1983) oder Donna Deitch („Desert Hearts“, 1985) sowie Organisationen wie der Lesbian Sex Mafia, mit der Treut schon früher in Berührung gekommen war und die sie 1983 zum Ausgangspunkt der dokumentarischen Arbeit „Bondage“ machte, sondern auch durch die Reaktionen auf „Die Jungfrauenmaschine“ in Deutschland. Nach der Uraufführung bei den Hofer Filmtagen muss Festivalleiter Heinz Badewitz nach Treuts Erinnerung „den Bayrischen Rundfunk daran hindern, die leeren Stuhlreihen zu filmen“. Eine ZEIT-Kritik von Helmut Schödel mit dem Titel „Schön war die Zeit“ erscheint – und sie hat nur „Tod und Hass“ für den Film übrig. „Filme wie der von Monika Treut vernichten das Kino“, schreibt Schödel, und sieht das Deutsche Kino in einem mehr als bedrohten Zustand, sei es doch „in die Hände von Bastlern“ gefallen. Während sich das Ausland um den Film reißt, verliert er in Deutschland seinen Verleih. Manfred Salzgeber übernimmt, zeigt den Film für ein Jahr im Kant Kino.

„Tja, das hing wohl damit zusammen, dass der deutsche Film damals im Ausland nicht so beliebt war. Man überlegte sich, was ja zyklisch ist, wie der deutsche Film international Fuß fassen kann. Heinz Badewitz […] hatte die „Jungfrauenmaschine“, die er sehr mochte, auf den prominentesten Termin gesetzt. Ich hatte Bedenken und dachte: lieber eine Spätvorstellung! Es war ein Desaster. Es waren überwiegend Kinobesitzer dort, und was sie sahen, wollten sie nicht wahr haben: Schwarzweiß, 16mm, experimentelle Bilder, der dicke Peter Kern und dann noch eine Lesbengeschichte! So kann aus dem deutschen Film nichts werden!“, so fasst es Treut in einem Interview zusammen.

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Dabei ist der Begriff des Bastelns, den Schödel bemüht (abzüglich der negativen Bewertung, mit der ihn der Autor benutzt), eigentlich ein interessanter Beschreibungsversuch für die ästhetischen Verfahren des Films. Mit kleinem Budget und eingeschränkten technischen Möglichkeiten nimmt sich „Die Jungfrauenmaschine“ einer Erzählung lesbischer Sexualität an, sammelt vorhandenes Personal und Motive, nutzt das Bestehende für seine Zwecke, funktioniert um. Die „Junggesellenmaschine“ leiht sich Treut von Duchamp, um die stabilen Trennungen von Männlichkeit und Weiblichkeit in Frage zu stellen, Mechanisches mit Erotischem neu zu verlöten und die Idee eines in sich geschlossenen, heteronormativen Kreislaufes der Reproduktion zu dekonstruieren, wo Frauenkörper wie Blumentöpfe für die Samen der Männer bereitstehen.

Vibrator, Silikon Dildo, Gender Bender: Wie Körper doch auch zusammenpassen könnten, wird bei Treut, die Autorin, Regisseurin und Produzentin des Films ist, nicht alleine herausgefunden. Von Freund:innenschaft erzählt „Die Jungfrauenmaschine“, indem er Orte einer sexpositivistischen Szene filmt, die inzwischen gehörig weg gentrifiziert wurden, und dort die eigenen, teils prominenten Freund:innen in Erscheinung treten lässt: Sheila McLaughlin zum Beispiel in einer kurzen Szene, oder Dominique Gaspar als Dominique, die aus Uruguay kommt, aber schon überall gelebt hatund das deutsche Brot so doll vermisst. Oder Susannah „Susie“ Bright, die als Sexpertin ihre Spielzeugsammlung vorstellt und auf Dorothees unschuldige Frage, wofür sie die denn bräuchte, schlicht „for fucking“ antwortet – obwohl sich die Kollektion natürlich auf dem Coffeetable ebenfalls gut machen würde, wie Susie einräumen muss.

Auch in der Musik scheinen die Freund:innen auf, die gelegentlich vor Mikeschs Kamera treten. Mona Mur, Pearl Harbour. Der Gesang mischt sich mit dem Sound der Flüssigkeiten, die in Dorothees Hamburger Wohnung in Wallungen geraten sind. Es fließt, surrt, blubbert, ein Hahn im Badezimmer hört nicht auf zu tropfen. Die Bewegungen des Wassers, das durch die Löcher im Abfluss schlüpft, lassen sich nicht aufhalten, führen in ein verstecktes Netzwerk, über die Grenzen der Nationalstaaten hinweg, von dem Dorothee Teil ist, wenn sie auf der Suche nach der großen Liebe herausfinden will, was es noch so auf der Erde bei den Butches und Femmes zu erreichen gibt.




Die Jungfrauenmaschine
von Monika Treut
DE 1988, 84 Minuten, FSK 16,
deutsch-englische OF, teilweise mit deutschen UT

Im April in der Queerfilmnacht.