Von Mädchen und Pferden

Trailerrbb QUEER DVD / VoD

Heute Abend läuft der wunderbarer Coming-of-Age-Film „Von Mädchen und Pferden“ bei rbb QUEER (23h30 im rbb). Ganz im Norden, am Rickelsbüller Koog, soll die 16-jährige Alex endlich feste Strukturen kennen lernen. Das zumindest erhofft sich ihre Adoptivmutter, die die Schulabbrecherin zu einem Praktikum auf den Reiterhof abgeschoben hat. Alex ist zunächst wenig begeistert – Rauchverbot, kaum Handyempfang und viel Arbeit. Aber eben auch: Pferde, ein endlos langer Strand, das Meer – und die charismatische Reitlehrerin Nina, die offen lesbisch lebt… Monika Treut, die große Pionierin des queeren Kinos in Deutschland, befreit den Blick ihrer jugendlichen Protagonistin und eröffnet ihr ganz neue Welten. Tania Witte geht dem Zauber des Films, der für die Begeisterung von Mädchen für Pferde ziemlich handfeste Bilder findet, auf den Grund.

Foto: Edition Salzgeber

Pferdekuss

von Tania Witte

Ganze Generationen präpubertierender Mädchen träumten sich nach Immenhof und Bullerbü. Mädchen, die von schnaubenden Pferden schwärmten, von Lagerfeuern und vom sanften Geruch des Heus. Später dann, während der Pubertät, waren diese „Ferien auf dem Bauernhof“-Geschichten voller Landliebe und Heile-Welt-Szenarien Leinwände für Fantasien von romantischen Begegnungen im Stroh hinter der Stalltür.

Vielleicht war Monika Treut eines dieser Mädchen – zumindest widmet sich die Regisseurin dem „Ferien auf“-Genre mit einer Leidenschaft, wie sie nach ihren bahnbrechenden feministischen Frühwerken, die ihren Ruf als Avantgardistin des Queer Cinema zementierten, nicht zu erwarten war. Nach Klassikern wie „Die Jungfrauenmaschine“ (1988), nach „Female Misbehaviours“ (1992) oder „Gendernauts“ (1999) hier also Mädchenträume à la Treut. Pferde, Lesben und üppige Landschaften inbegriffen. Die vielfach ausgezeichnete Regisseurin ist immer für eine Überraschung gut.

Im Gegensatz zu ihrem vorhergehendem Spielfilm „Ghosted“ (2009), in dem sich Treut mit asiatischen Todeskulten und einer (lesbischen) Liebe zwischen materieller und spiritueller Welt bewegte, zeichnet sich „Von Mädchen und Pferden“ durch überraschende Bodenständigkeit aus.

Die Geschichte der 16-jährigen Alex (Ceci Chuh), die ein Praktikum auf einem Reiterhof am schleswig-holsteinischen Rickelsbüller Koog antritt, entrollt sich häppchenweise und niemals ganz. Die Bilder und die sparsamen Dialoge zeichnen das verwaschene Bild einer Jugendlichen, die kifft und sich schneidet – beides Themen, die aus einer durchschnittlichen Pubertät des Jahres 2014 kaum wegzudenken scheinen. Warum genau Alex auf dem Hof in Holstein landet, bleibt vage. Es sei ihre letzte Chance, erfahren die Zuschauenden, und reimen sich das dahinter stehende „Sonst Jugendknast!“ selbst zusammen. Was genau geschehen ist, spielt auch keine Rolle; wichtig ist, dass Alex’ Adoptivmutter an ein Umdenken ihrer Tochter durch einen Ort ohne Handyempfang, durch harte, körperliche Arbeit und eine reizarme Umgebung glaubt. Und an die Heilkraft von Pferden.

Ein Glaube, den sie mit Pferdetrainerin Nina (Vanida Karun) teilt. Thirtysomething Nina gönnt sich auf dem Land eine Auszeit von Hamburg, möglicherweise von einem anderen anstrengenden Job und ein bisschen auch von ihrer Freundin. Vanida Karun verkörpert Nina als unaufgeregten, in sich ruhenden Charakter, feinstofflich und ein wenig spirituell. Vor allem aber mit einer ganz besonderen Liebe zu Pferden. Diese Liebe hat sie an den Hof der Hansens geführt – eben den Hof, auf dem Alex landet und den Nina leitet… zumindest den Teil, der mit Pferden und Feriengästen zu tun hat.

Foto: Edition Salzgeber

In der toughen und klaren Nina findet Alex zwar keinen Mutterersatz, dafür aber das Role-Model, das sie in ihrer Heimatstadt offensichtlich vermisst hatte. Unter anderem deshalb, weil schon die zweite Frage, die Alex Nina stellt, ein unverkrampftes lesbisches Coming-Out der Pferdewirtin nach sich zieht. Zwischen Longe-Stunden und Stall-Ausmisten entwickelt Alex eine leise Schwärmerei für ihre Vorgesetzte. Als sie Nina allerdings während einer Reitstunde zu küssen versucht, bügelt die sie (zusammenhangslos und kryptisch) mit dem Satz: „Alex, ich bin doch kein Pferd!“ ab.

Weitere Annäherungsversuche bleiben aus, nicht aber eine Phase der Eifersucht, als die wohlbehütete Berlinerin Kathy (Alissa Wilms) mitsamt eigenem Pferd auf dem Ferienhof einzieht. Nachdem allerdings geklärt ist, dass Kathy Alex nicht den Rang ablaufen wird und auch mögliches Konfliktpotential bezüglich der Hierarchien von Dienen und Herrschen unthematisiert bleibt, entwickelt sich eine Freundschaft zwischen den beiden Mädchen. Die Beziehung wächst langsam und so authentisch, dass sich Fragen nach ihrer Wahrscheinlichkeit oder beidseitigem potentiellen Standesdünkel erst gar nicht stellen.

Foto: Edition Salzgeber

Das so glaubwürdig zu vermitteln, ist unbedingter Verdienst der herausragenden jungen Schauspielerinnen, denen die sparsamen Dialoge nur wenig Struktur vorgeben. Besonders Ceci Chuh, die Darstellerin der Alex, brilliert mit einer Natürlichkeit, die pubertäres Überkandidelt-Sein und trotzige Unambitioniertheit einschließt. Aber auch Alissa Wilms verschmilzt mit der Rolle der Kathy, und so wirken die sparsamen Dialoge alltagstauglich und die Szenen nur dann hölzern, wenn sie hölzern wirken sollen. Schwäche zeigt „Von Mädchen und Pferden“ (zeigen nicht aber die Schauspielerinnen) in den Szenen, die einer Altherrenfantasie von jungen Mädchen, die ihr Lesbisch-Sein entdecken, entsprungen scheinen. Schlamm-Catchen im Watt gehört dazu, das volle Programm mit lustvoll bematschten Körperteilen und Zooms in Dekolletés, die nicht dem Blickwinkel der Protagonistinnen geschuldet sind. Dazu inszenierte Heu-Schlachten und Hoppe-hoppe-Reiter auf Karussellpferden. Hier atmet der Film Klischees.

Ungeachtet dessen nimmt die Coming-of-Age-Story ihren Lauf. Alex und Kathy wachsen zusammen: Die eine zeigt der anderen, wie man reitet und besorgt ihr einen Ausbildungsplatz, die andere zeigt der einen, wie man sich mit Wodka besinnungslos säuft und dann küsst – und kümmert, wenn die andere semi-komatös im Stroh landet. Es bleibt der Interpretation des Betrachtenden überlassen, ob der Kuss nur ein Kuss oder der Beginn einer Liebe ist.

Foto: Edition Salzgeber

Die Rolle der Pferde in Treuts Spielfilm ist zweischneidig. Einerseits ist die Erotisierung der Tiere, die Metapher sind und Metaebene, zu leicht zu lesen. Das Pferd als feministisches Manifest, als Inbegriff der Weiblichkeit, eines matriarchalen Systems, in dem eine Stute die Herde führt, als abgelutschtes Synonym für Sex. Andererseits sind die Bilder der Tiere eine Stärke des Filmes, vor allem, wenn sie ohne Menschen gezeigt werden, wenn sie zart und kraftvoll mit der Kamera spielen. Dann funktionieren sie plötzlich, ohne zwangsläufig an Metaphern gebunden zu sein.

Auf die Kraft der Bilder zu vertrauen, ist auch das Wagnis der Story. Das liegt neben den beeindruckenden Schauspielerinnen vor allem an der Arbeit der Kamerafrau Birgit Möller, die die Weite der Natur, die Landschaft, die Pferde, die Frauen bis auf die wenigen, oben genannten Ausnahmen, perfekt in Szene setzt.

Foto: Edition Salzgeber

Das Independent-Movie wurde auf amerikanischen Filmfestivals hoch gelobt, dafür, dass der Film so unaufgeregt sei, so bar jeglicher Stereotype, und er obendrein jeder Erwartungshaltung zuwiderlaufe. Betrachtet man die amerikanischen Mainstreamfilme, verwundert dieses Feedback wenig, ist es doch genau das, woran die US-amerikanische Blockbusterkultur krankt: Ein Mangel an Authentizität und die Zementierung der immer-gleichen Klischees. Davon hebt sich „Von Mädchen und Pferden“ in der Tat wohltuend ab. Der Low-Budget-Film, der in 20 Tagen gedreht wurde, ist strikt linear erzählt, traut sich, Dinge unbenannt zu lassen und nimmt sich alle Zeit, dialoglos in langen Bildsequenzen zu schwelgen. Und welche Kraft diese Bildsequenzen haben! Die Weite des Strandes, den Nina und Kathy entlang galoppieren, ein Inbegriff von Freiheit und Sehnsucht. Die Deichlandschaft, die Schafe, die Pferde, die Sonnenauf- oder Sonnenuntergänge, der gleich doppelte Regenbogen, die dramatischen Wolkenformationen am Himmel. Vielleicht aufgeladen mit Bedeutung, vielleicht auch nicht. Beeindruckend, berührend auf jeden Fall.

Wer weder Pferden noch Mädchen etwas abgewinnen kann, wer Actionfilme und auserzählte Stories mag, der wird Monika Treuts neuem Werk vermutlich wenig abgewinnen können. Wer aber Slow Cinema schätzt und Bilderwelten liebt, die sich in Ruhe entblättern, wer großartigen Landschaften verfallen kann und ebenso begabte wie unverkrampfte Schauspielerinnen zu schätzen weiß, der wird von der Welt, die „Von Mädchen und Pferden“ handelt, uneingeschränkt verzaubert sein.




Von Mädchen und Pferden
von Monika Treut
DE 2014, 85 Minuten, FSK 0,
deutsche OF,
Edition Salzgeber

Hier auf DVD.

vimeo on demand

VoD: € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)


↑ nach oben