Something Must Break
Trailer • rbb QUEER • DVD / VoD
Heute zeigt der rbb den inhaltlich und formal wohl widerständigsten Film seiner Reihe rbb QUEER: Ester Martin Bergsmark erzählt in „Something Must Break“ (23h30 im rbb) eine zärtliche, manchmal heftige Liebesgeschichte zwischen einem androgynen Jungen und einem anderen, der nicht schwul ist. Zusammen rebellieren sie gegen die Langeweile der bürgerlichen Ikea-Welt und suchen nach einer Form für ihre Liebe, die in kein hetero- oder homonormatives Schema passt. Der schwedische Film wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem 2014 mit dem renommierten „Tiger Award“ beim Filmfestival Rotterdam. Aileen Pinkert hat ihn für uns gesehen.
Girlie Stuff
von Aileen Pinkert
„Verrückt! Croissants aus der Dose.“
Einmal erst habe ich mir bisher Croissants aus der Dose gemacht. Weil man den fertigen Teig sofort aufrollen und verbrauchen soll, musste ich mich einen Tag lang davon ernähren. Für Singles nicht besonders gut geeignet. Kein Wunder, so könnte man meinen, dass Sebastian auf den richtigen Moment gewartet hat, um dieses Experiment zu wagen. Die Croissants aber, die er in „Something Must Break“ für sich und Andreas im Ofen aufgehen lässt, werden wie auch der Rest des liebevoll zubereiteten Frühstücks ganz plötzlich unbedeutend. „Ich bin nicht schwul.“ – „Ich auch nicht.“ – „Nicht? Was zum Teufel bist du denn dann?“ Sebastian kann darauf nicht antworten. Zum Kotzen schön sei er, das bringt Andreas noch heraus, bevor er geht.
Bergmarks erster Spielfilm beginnt mit einem Stopptrick: Im Zeitraffer sehen wir eine Rose aufblühen. Im Anschluss streift ein Zeigefinger über Dornen. Um sich abzugrenzen, um dem dornigen Weg, den er auf sich nehmen wird, schon einmal vorzufühlen? Sebastians Stimme aus dem Off erzählt, dass er sich fremd fühlt – verloren und ungeschützt. Er weiß, dass er bald wieder fort sein wird. So schnell, wie eine Rose verblühen kann? Ein Kirchenchor ertönt und geht über in Discobeats. Er sei ein Tragträumer, der sich nie entscheiden kann und der einen guten Fick nötig hat, schlussfolgert seine Mitbewohnerin Lea trotzig.
Nur in der Dunkelheit fühlt sich Sebastian wohl. Doch trägt er nicht einen seiner Kapuzenpullover, fällt er auf mit seinem androgynen Antlitz, seinen langen dunklen, teils gelockten, teils rot gefärbten Haaren, seinem Ring durch die Nase, der Perlenkette um den Hals, den Stöckelschuhen und seinen neonrosafarbigen, goldglänzenden Jacken. Wenige, mit einer zum Teil sehr wackligen Handkamera aufgenommene Filmminuten genügen, um aus den Groß- und Nahaufnahmen des schönen und ruhigen Gesichts abzulesen, wie sehr sich der Protagonist verzehrt nach Liebe, Zuneigung und Geborgenheit, wie sehr er angewidert ist vom Warten, von der Monotonie, von der Leere seines Alltags.
Was folgt, ist der Versuch, Grenzen auszutesten, den Sommer Stockholms auszukosten. Geklautes Bier und ein Tangotänzchen über den Dächern der Stadt (das wohl schönste Pressebild der karikierten Tangopose, dazu noch mit einem Regenbogen versehen, war so leider nicht im Film zu sehen) bringt die beiden näher. Noch näher kommen sie sich in der Steigerung ihres rebellischen Verhaltens, das ihnen hinweghilft über die nervöse Antizipation der noch unsicheren Zukunft. Die Ausrede, nach Zecken zu suchen, erlaubt Sebastian und Andreas, sich gegenseitig auszuziehen, sich zu berühren. Sind sie Kumpels oder Geliebte? Das scheint nicht immer eindeutig. Als sie sich zum ersten Mal küssen, wird die visuelle Naturidylle durchbrochen von einem umgefallenen Baumstamm, der direkt hinter ihren vereinten Köpfen durchs Bild zieht. Ein Detail, das mir erst auf den zweiten Blick aufgefallen ist.
Zum Kotzen schön sind auch die beiden anzusehen. Der Film wie ein Oxymoron der Gefühle und Erinnerungen. Hier ein empfindsames Ertasten des noch unbekannten Körpers, da ein zu tiefer Ritz in die Haut des anderen. Frenetische Glücksmomente des Zusammenseins im Wechsel mit apathischer Verzweiflung beim Verlust des anderen. Leicht und schwer zugleich. Ein liebevoller Kuss, dann das Auflecken eines hinterlassenen Schuhabdrucks. Die Zeit in „Something Must Break“ vergeht wie das genuin filmische Motiv des Blätterrauschens im Baum: dem Zeitvergehen durch Bewegung im Bild zusehen. Wir können sehen, wie Sebastian nachdenkt, wie er nicht nachdenkt. Viel zu nah dran: Nicht mehr als konturlose, farbige Pixel sind im heimlich aufgenommenen Handyvideo des schläfrigen Andreas erkennbar. Der gute Geruch ist verflogen. In seiner Abwesenheit löst er Angst aus.
I never felt as beautiful, as when you told me I was beautiful
Your words have a tendency to reach deep within
Touching my soul, penetrating my skin
Tami Tamaki vermag mit ihrer autogetunten Stimme Worte für das zu finden, was wir auf der Leinwand sehen. Wenn Sebastian mit sich allein ist und Andreas vermisst, stellt er sich vor, in dessen Körper einzutauchen und sich darin zu verlieren. In ihm wäre es wohl dunkel und Ellie hätte es schwerer, an die Oberfläche zu gelangen. Zerrissen zwischen dem binären Geschlechtersystem und den Ansprüchen der bürgerlichen, mit Ikea-Möbeln ausgestatteten Gesellschaft, entfremden sich Sebastian und Andreas zunehmend, um sich anschließend wieder anzunähern. Ellie, die mehr und mehr als Frau erscheint und als solche wahrgenommen wird, denkt darüber nach, was kaputt gehen muss, um den Stillstand zu überwinden. Sie oder die Beziehung zu Andreas, der sich selbst in Widersprüchen gefangen hält. Andreas, so scheint es uns, hinterfragt zu wenig, er entzieht sich einer Reflexion. Er will Sebastian nicht verlieren, sieht sich aber auch nicht in einer Beziehung mit ihm. Einerseits soll Sebastian eine Vagina bekommen, andererseits soll er es in der Gegenwart Dritter nicht übertreiben mit dem Mädchenzeug. Grenzen werden nun nicht mehr ausgetestet, sie werden überschritten.
Ester Martin Bergsmark hat unverkennbar Themen und stilistische Elemente seines zwei Jahre zuvor entstandenen Dokumentarfilms „She Male Snails“ in seinen ersten Spielfilm transferiert. Einer der Protagonisten des experimentellen Films ist Eli Levén, Verfasser der Romanvorlage für „Something Must Break“ und gleichzeitig Co-Autor des Drehbuchs. Selbst wenn in der Presse von dramaturgischen Schwächen die Rede sein mag und Schwarzblenden in ihrem konventionellen Gebrauch eines Endes/eines Übergangs obsolet erscheinen, so verstehen der Film und vor allem die Darsteller*innen – allen voran Saga Becker –seltsam intensiv zu berühren. Nicht nur Sebastian/Ellie will sich nicht in Geschlechterrollen einordnen lassen. Auch der Film feiert sich als Hybrid, verbindet gekonnt die Darstellung einer klaustrophobisch-gesellschaftskritischen Milieustudie mit einem kitschresistenten Coming-of-Age-Drama, expliziten Nacktaufnahmen und stilistisch-künstlerischen Zeitlupen.
Mit ihrem Charisma und ihrer gelassenen Sicherheit tritt Becker ein für die Idee einer freien, unabhängigen Persönlichkeit jenseits der Kategorien Mann und Frau. Es kann nicht nur am Erfolg einer Conchita Wurst und den Transfiguren aus „Orange Is The New Black“, „Glee“ und „Transparent“ gelegen haben, dass Becker als erste Transfrau in der Kategorie Beste Schauspielerin die bedeutendste Filmauszeichnung Schwedens erhalten hat. Allein um Cross-Dressing geht es schon lange nicht mehr. Es gehe um so viel mehr als nur um einen Film, es gehe um die Bereitschaft der Gesellschaft für etwas Neues, so Becker nach der Verleihung. LGBT-Filme handelten zumeist von Sexualität und Liebe. Wichtiger noch scheint aber die Selbsterkenntnis zu sein. Erst wenn ich mich akzeptiere, kann ich lieben, wen ich will. Auch wenn Neil Jordans „The Cyring Game“ von 1992 ein breiteres Publikum erreichen konnte und mit Jaye Davidson in der Rolle der Dil eine noch ambivalentere Figur geschaffen wurde, so erscheint Ellie über 20 Jahren später und dank des Meta-Presserummels um Becker vergleichsweise selbstbestimmt.
Auch „Something Must Break“ wird in seiner Fortdauer immer selbstbewusster. Ziel des Films ist es in keinem Moment, festgefahrene Meinungen des Publikums verändern zu wollen. Bergsmark geht es nicht um eine gute Tat. Es geht um eine möglichst emotionale Inszenierung, um Tränen, Blut, Schweiß, Urin, Speichel und Sperma: Flüssigkeiten, die von innen nach außen treten – wie auch Ellie. Dass sie als Transgenderfigur verstanden werden kann, zweifelt der Film nicht an, wenngleich er keine Identitätslabel verhängt, diese nicht einmal ausspricht. Inspirierend und bereichernd dagegen zugelassene Graubereiche und Unsicherheiten.
Eindeutig allerdings ergibt sich aus dem anfangs erwähnten Dialog, dass sich weder Sebastian noch Andreas als schwul identifizieren (wollen). Ein Vexierproblem, das die Beziehung der beiden immer wieder einholt. Dass sie unterschiedliche Vorstellungen von einer gemeinsamen Zukunft haben, wird spätestens dann klar, wenn Ellie die zigarettenspendende Funktion, die bisher Andreas innehatte, übernimmt. Andreas beachtet sie in dem Moment nicht, nimmt weder ihre Zigarette an, noch überreicht er ihr eine. Stattdessen zündet er sich eine dritte an. Es scheint, als würden die beiden nie das gleiche für einander zur gleichen Zeit empfinden. So schön, dass er kotzen muss. Vielleicht lieben sie aneinander vorbei. Ein beklemmendes Gefühl bleibt: Ist ein drittes Geschlecht für Andreas so überflüssig wie eine zweite Zigarette zu viel für Ellie? Wer riskiert mehr, wer verliert am Ende am meisten?
Etwas muss jetzt kaputtgehen, dieses Leben ist nicht meins. Als Ellie vorerst bei sich angekommen zu sein scheint und den Raum betritt, besingt Andreas in der Karaokeversion des Lieds „Fading Like a Flower“ die Metapher einer verwelkenden Rose, sobald seine Liebe das Zimmer verlässt.
Everytime I see you
Oh, I try to hide away
But when we meet it seems I can’t let go
Sebastian muss loslassen, um Ellie zu werden. Einiges auslassen musste auch der Film, um eigentümlich zu werden: so bei elliptischen Jump Cuts oder der verhinderten Wiederkehr von Lea, der Mitbewohnerin von Sebastian. Mit Ausnahme seiner Sexualpartner kommen erwachsene Figuren wie Arbeitskollegen, Vorgesetzte oder Familienangehörige erst gar nicht vor. Genau diese Auslassungen aber kommen dem Film zugute, kann er sich so doch in einer Wucht präsentieren, die auch Ablenkung und Kontemplation wohlberechnet einkalkuliert hat und Lust auf mehr macht. Vielleicht sogar auf Croissants aus Dosen.
Something Must Break
von Ester Martin Bergsmark
SE 2014, 81 Minuten, FSK 16,
schwedische OF mit deutschen UT,
Edition Salzgeber
DVD: € 16,90 (inkl. Porto & Verpackung)
VoD: € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)