The Crying Game

TrailerDVD/Blu-ray

IRA-Kämpfer locken den britischen Soldaten Jody in eine Falle und nehmen ihn als Geisel, um ihn als Druckmittel für die Freilassung eines ihrer Soldaten zu benutzen. Doch Jody freundet sich mit seinem Bewacher Fergus an. Als die britische Armee nicht auf den Erpressungsversuch der IRA eingeht, soll Fergus den Gefangenen exekutieren. Jody kann fliehen, kommt aber auf der Flucht ums Leben. Der treue Fergus macht sich auf die Suche nach Jodys Freundin, die schöne Dil, um ihr persönlich die Todesnachricht zu überbringen – doch seine Reise verläuft anders als geplant. Neil Jordans smarter Neo-Noir-Thriller über politische und sexuelle Identitäten war einer der einflussreichsten Independent-Filme der 90er Jahre, wurde vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Oscar für das Beste Drehbuch, und ist zugleich einer der ungewöhnlichsten queeren Filme seiner Dekade. Für Fritz Göttler hat „The Crying Game“ auch nach über 30 Jahren nichts von seiner faszinierenden Unnahbarkeit verloren, und das hat maßgeblich mit der mysteriösen Femme fatale zu tun, die das diverse Zentrum der amourösen Dreiecksgeschichte bildet.

Foto: Studio Canal

Der Blick des Anderen

von Fritz Göttler

Er schaut nach mir, sagt Dil von Jody, he looks after me. Jody, der kräftige schwarze Soldat in der britischen Armee, Dil, das feenhafte, flatterige Wesen. Man kann nicht sagen, ob Liebe zwischen den beiden im Spiel ist, es ist eher eine klassische Beziehung, eine tradierte gesellschaftliche Rolle: to look after someone, jemand versorgen, behüten, verteidigen, kontrollieren. „The Soldier’s Wife“ war der Titel, den Neil Jordan für seinen Film vorgesehen hatte, als er den ersten Scriptentwurf schrieb, gleich nach seinem ersten Film, den Überraschungserfolg „Angel“ (1982).

Cricket ist Jodys Ding, und der weiße Sportpullover, in dem er durch den Film geistert, steht ihm unglaublich gut. Dann gerät er in Irland mitten in die troubles, so nennen sie dort die Wirren und Aktionen des Bürgerkriegs, zwischen der IRA und der britischen Besatzungsmacht. Er wird entführt von ein paar Leuten der IRA, auf einem kleinen Rummelplatz, um die Freilassung eines der IRA- Mitglieder von den Briten zu erpressen. Fergus ist bei der Entführung dabei, kein Funktionär der Bewegung, kein Fanatiker. Ein volunteer. Er muss Jody in einer Hütte im Wald bewachen, unterhält sich mit ihm, befreit ihn von der schwarzen Kapuze, die man ihm übergestreift hat, versucht ihm die Furcht vor dem Tod auszureden. Er füttert ihn und zieht ihm, weil Jody mit den am Rücken gefesselten Händen nicht allein pinkeln kann, den Schwanz aus der Hose. Es steckt eine sanfte schwule Komik in dieser Beziehung, Jody und Fergus, gespielt von Forest Whitaker und Stephen Rea, dem bevorzugten Akteur von Neil Jordan.

Jody erzählt von Dil, „the soldier’s wife“, und Fergus wird instruiert, er solle, falls Jody nicht überlebt, nach Spitalfields in London gehen, ins Metro, und Dil dort zu einer Margarita einladen. Das Ultimatum läuft ab. Fergus muss mit Jody  in den Wald, wie man’s aus den Märchen kennt, und Jody läuft verzweifelt davon, er weiß, Fergus würde ihm nicht in den Rücken schießen. Auf der Straße durch den Wald wird er von einem britischen Panzerfahrzeug erfasst und getötet. Gleich darauf schlägt eine Granate in dem Waldhaus ein, und es geht in Flammen auf.

Es ist eine verschobene Dreiecksgeschichte, Dil zwischen den beiden Männern Jody und Fergus, aber über sie ist ein verstörendes Spiel der Identitäten, der persönlichen, nationalen, geschlechtlichen gelegt. Nach Jodys Tod übernimmt Fergus dessen Pflichten, ein Rollenwechsel. He looks for Dil – versorgen, behüten, verteidigen, kontrollieren. Die Frau, die sich hierbei der zugeteilten Rolle verweigert und widersetzt, gilt als Femme fatale.

Dil ist fatal, in jeder Hinsicht. Man ist gefangen von ihr, das kräuselige Haar, die fragenden Augen, die wiegenden Schritte, die skeptisch raue Stimme, die flirrende Erscheinung. Aber Dil ist gar keine Frau, das verstärkt das verstörende Moment, das von ihr/ihm ausgeht, diese Unruhe, die auch heute nicht schwinden will, da es jede Menge Diskussion gibt über sexuelle Identität. Der Film war 1992 ein großer Indie-Erfolg in den Kinos – Weinsteins Miramax hat in den USA den Verleih besorgt – und er hat Neil Jordan in Amerika zur Regie beim Blockbuster „Interview mit einem Vampire“ (1994) mit Tom Cruise und Brad Pitt verholfen, so dass er danach sein Lieblingsprojekt realisieren konnte, die Geschichte des gnadenlosen IRA-Manns Michael Collins (1996).

Foto: Studio Canal

Fergus will nach Jodys Tod Schluss machen mit der IRA und untertauchen, später wird er merken, dass das nicht geht, you’re never out. Er geht, um wegzukommen und in Erfüllung seiner Pflicht, nach London, schaut nun jungen- und yuppiehaft aus, braver und bourgeoiser, der volunteer ist verschwunden. Im Metro (eine seltsam prophetische Fügung, zwei Jahre später wird der Name eine neue maskuline Sexualität bezeichnen) lädt er Dil zu einer Margarita ein, und sie reden und flirten dabei nicht direkt miteinander, sondern immer über den Barmann Col (Jim Broadbent), der ihre Fragen und Antworten weitergibt, paraphrasiert, durch seine Miene kommentiert. Damals lernten wir, aus dem Kino und von den französischen Philosophen, dass Kommunikation immer indirekt abläuft, dass immer die Vorstellungen und die Sprache das Gesagte ablenken und verschieben.

Eines Abends singt Dil „The Crying Game“ – und so direkt wird er nicht mehr kommunizieren im Verlauf des Films: I know all there is to know about the crying game. I’ve had my share of the crying game. First there are kisses, then there are sighs, and then, before you know where you are, you’re sayin’ goodbye.

Alle  scheinen um Dils Geheimnis zu wissen, nur Fergus, der sich wiederum Jimmy nennen lässt und sich als schottisch ausgibt, kann die Zeichen nicht lesen. Ich dachte, du hättest es gewusst, klagt Dil, als Fergus sich schließlich schockiert zeigt davon, dass Dil einen Schwanz hat.

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Alles ist Erscheinung, das ist die Weisheit des Kinos, gibt es eine Natur dahinter? Jody hat Fergus die Fabel vom Frosch und vom Skorpion erzählt, für die der Film berühmt geworden ist. Der Skorpion will über einen Fluss übersetzen, der Frosch soll ihm dabei helfen. Der Frosch fürchtet den Stachel, aber der Skorpion beruhigt ihn. Wenn ich dich mitten im Fluss töte, gehe doch auch ich unter. Der Frosch lässt sich überzeugen von dem Deal, er nimmt den Skorpion huckepack und sie schwimmen los, gegen den starken Strom. Mitten im Fluss spürt der Frosch plötzlich einen Stich. Er schreit auf. Aber Mr. Scorpion, nun gehen wir beide unter … Der Skorpion: Ich kann nicht anders, es ist in meiner Natur.

Die Macht des Unerwarteten, Unglaublichen, Unverständlichen, Unmöglichen, Irrationalen, davon lebt die absolute, die bedingungslose Liebe, die immer Amour fou ist und immun gegen bürgerlichen Zeitgeist. Den liefert die IRA, eine spießige Truppe, und als ihre Leute wieder auftauchen in Fergus’ Leben und ihn erneut unter Druck setzen, dann ausgerechnet um einen alten Richter zu erledigen, der gern ein Hurenhaus besucht, die Leibwächter müssen davor warten. Die politischen Motive sind hier auf miese Weise mit moralischen verwickelt, mit Hass.

„The Crying Game“ ist mehr ein Klassen- und Rassenfilm als einer über die Geschlechter, über Transvestiten und Transgender. Es geht nicht um Verkleidung oder die Wahl des richtigen Geschlechts, um die Qualen, in einem falschen Körper zu stecken, und die Versuche, endlich den Körper dem Innern anzupassen. Eine Differenz zu verarbeiten. Jody war different, sagt Dil mal, und als Fergus fragt How different? ist die Antwort: As different as it’s possible to be.

Foto: Studio Canal

Jaye Davidson ist als Dil ein synthetisches Geschöpf, ohne Statur oder Identität, ganz Attraktion und Verführung, zwischen den Geschlechtern schwebend. Die gesellschaftliche Ordnung, die von außen auch das Geschlechtliche bestimmt, bricht er von innen auf. Dil lebt in den Blicken der Männer (und gewiss auch der Frauen) um ihn herum, wie Marlene Dietrich in den Filmen von Josef von Sternberg oder Kim Novak in Hitchcocks „Vertigo“ (1958), die als Kunstfigur Madeleine viel natürlicher ist denn als Judy, die aussieht, als wäre sie  kostümiert. Frieda Grafe schrieb einmal über Marlene: „Es gibt keine Spiegel, die über Wirkung Auskunft geben. Dazu braucht es den Blick des anderen. Sternbergs Filme sind ein Diskurs über Weiblichkeit, weil sie Darstellung dieses Blicks sind. Have I lost my looks? fragt Marlene ihren Liebhaber, der sie verändert findet. Sie braucht keine Antwort, weil keine faktische Realität dem entspricht, worum es hier geht.“ Wenn Dil in der Wohnung hin und her geht, aus dem Blickfeld  verschwindet und im Licht sich auflöst, das ist wie bei Jimmy Stewarts Figur in „Vertigo“, als der versucht mit seinen Blicken die verlorene Madeleine neu zu schaffen. „Vertigo“ ist einer von Neil Jordans Lieblingsfilmen, Jimmy Stewart, der in diesem Film einer vertauschten Frau verfällt, heißt Scottie Ferguson.

Am Ende steht zwischen Fergus und Dil die Glasscheibe im Besucherraum des Gefängnisses, wo Fergus  einsitzt, und da sind sie einander so nah wie’s möglich ist zu sein. In einem alternativen Ende, das die Produzenten Neil Jordan aufzwingen wollten und das es in der aktuellen deutschen DVD/BluRay-Edition zu sehen gibt, bleibt Fergus in Freiheit. Mit Dil  bummelt er durch eine Kaufpassage von Spitalfields, es ist Weihnachten und sie wollen fortfliegen, und Fergus zitiert fröhlich den vielleicht berühmtesten Schlusssatz der Filmgeschichte, den Neil Jordan ganz schrecklich grotesk findet, der aber doch die komische Seite dieses komplexen Films resümiert: Nobody is perfect.




The Crying Game
von Neil Jordan
US/UK 1992, 112 Minuten, FSK 16,
deutsche SF & englische OF mit deutschen UT,

Studio Canal

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