Der Diener

TrailerDVD / VoD

Joseph Loseys „Der Diener“ aus dem Jahr 1963 gilt als meisterhaftes Kammerspiel der homoerotischen Subtexte und kühner Klassiker des queeren Kinos. Dirk Bogarde brilliert darin als  höchstkultivierter Diener Barrett, der den neuen Haushalt des Playboys Tony leitet. Barretts zunächst ehrfürchtig-devotes Verhalten gerät dabei immer weiter in Schieflage, bis die Rollen von Herr und Diener gänzlich zu kippen drohen. Anlässlich der Veröffentlichung der restaurierten Fassung des Films auf DVD und BluRay schreibt Fritz Göttler über die vielen Ebenen der sehr britischen Studie über Macht und Männlichkeiten.

Foto: Arthaus

Der perfekte Service

von Fritz Göttler

Es gibt einige, die sehen „Der Diener“ (1963) als einen Horrorfilm, ein Haunted-House-Movie aus den Swinging Sixties von London. In dem zwei Männer, Dirk Bogarde und James Fox, durch eine düstere obsessive Beziehung einander verbunden sind und ein undurchsichtiges, dennoch einfaches Spiel spielen, von Herr und Diener.

Ein Reihenhaus in der Royal Avenue in Chelsea ist dieser Schauplatz, hoch und schmal, im Zentrum ein spiraliges Treppenhaus, voller harter Schatten und runder Spiegel, die aussehen wie Bullaugen und durch die die Realität immer wieder bedrohlich gelöchert wird. Eine manchmal durchaus wohlige Klaustrophobie herrscht hier, wie in den Filmen, die auf Schiffen oder in U-Booten spielen. Am Anfang ist sogar eine kleine Mannschaft an Bord, die Arbeiter, die die Wohnung neu malen und einrichten sollen.

Eine Junggesellenbude, ein wenig versnobt eingerichtet, überall Bilder und Blumen, der Wohnraum unten, droben das Schlafgemach, dann noch ein Stock für die Domestiken. Eine Hausgemeinschaft, in der jeder seinen Platz finden und akzeptieren sollte. Alles ein wenig eng, Türen werden zugleich als Bücherregal genutzt. Der Diener Barrett gab bei der Einrichtung den Ton an und wird dafür von Tony, dem Herrn, gelobt.

„Dies ist der erste Film, bei dem mir keiner dreingeredet hat“, sagt Joseph Losey, „den ich wirklich machen konnte, wie ich ihn wollte.“ Richard Macdonald hat mit ihm das Setdesign gestaltet, der Kameramann Douglas Slocombe schuf in surrealen Schwarzweißbildern ein verstörendes Image des britischen Bürgertums, selbst mit dem gefürchteten britischen Zensor konnte Losey sich angenehm arrangieren. Erst 1967, ein paar Jahre nach dem Film, wurde vom Parlament beschlossen, dass homosexuelles Verhalten in England nicht mehr strafbar sein sollte.

„Er ist ein Peeping Tom“, sagt Susan, Tonys Verlobte, von dem neuen Butler Barrett, und Tony ergänzt, scherzend: „Und ein Vampir, wenn er sonntags frei hat.“ Die Schwelle zu Tonys Haus kann Barrett ganz ungestört überschreiten, wenn er zum Vorstellungsgespräch kommt, die Haustür ist nicht abgeschlossen, er geht ins hintere Zimmer, dort liegt Tony in einem Stuhl, den Mantel über sich geworfen, und schläft. Zu viel Bier beim Mittagessen! Der Blick, den Barrett von oben auf den schlafenden jungen Mann wirft, ist kühl abschätzend, der Blick eines Jägers und eines Lovers.

„Ich will nicht, dass der Film nur eine simple homosexuelle Affäre wird“, erklärte damals Losey einem Journalisten. Auch Dirk Bogarde war skeptisch, er hatte ein paar Jahre zuvor „Der Teufelskreis“ (1961) von Basil Dearden gedreht, da war er ein junger bisexueller Anwalt, der sich verstrickt in die rigiden Gesetze zu gleichgeschlechtlichen Beziehungen – und erklärt, dass er einen Teenager, den er verteidigte, begehrt hatte. Davor hatte er in „Sommer der Verfluchten“ (1961) von Roy Ward Baker einen Westernbanditen gespielt, der sich in einen Padre verguckt. Die Filme waren sicher noch in Erinnerung, als „Der Diener“ in die Kinos kam, sie hatten brutal das Matinee-Idol Bogarde demoliert, das die Teenager aus den Filmen der Komödien der „Aber, Herr Doktor…“-Reihe (1954-57) liebten.

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In der literarischen Vorlage zum Film aus dem Jahr 1946, einem kleinen Roman von Robin Maugham, dem Neffen von W. Somerset, kommt der Diener Barrett unmissverständlich als ein ausschweifender Cherub rüber, „a fish with red lips“, mit eindeutigen homosexuellen (also negativen) Signalen. Losey zeigte Dirk Bogarde das Buch bereits im Jahr 1957, da hätte der den jungen Tony gespielt. Bogarde wollte nicht recht, als Losey ein paar Jahre später wieder fragte, war er zu alt und wurde als Diener besetzt.

Er ist ein „manservant“, sagt Tony, wenn er Barretts Profession beschreibt, das ist, im Britischen zumal, mehr als ein gewöhnlicher Butler, „a gentleman‘s gentleman“. Was Barrett macht, ist formvollendet, aber auch auf dubiose Weise geil. Der perfekte Service, den er Tony zukommen lässt, erinnert an einen Messdiener, ist fast eine subtile Form von Prostitution. Barrett stellt ein Tablett mit dem Essen vor ihm hin, gießt Wein ein, zündet seine Zigarette an, holt ein Lager-Bier, bürstet den Anzug ab. Er ist immer nah dran an Tony, ist zuvorkommend, alles soll, wie man es von wahrer Liebe kennt, einfach sein und selbstverständlich.

Natürlich ist das alles very, very British, eine klassische erotische Paarung, die Tradition hat, von Wooster und Jeeves bei P.J. Wodehouse bis hin zu Batman und seinem Alfred. Natürlich ist die Verlobte, Susan, not amused, natürlich schikaniert sie Barrett, indem sie hochnäsig Dame spielt und ihm anschafft. „Das ist dein Haus“, sagt sie Tony, weist ihn in seine Schranken.

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Losey und sein Drehbuchschreiber Harold Pinter sind stark interessiert an der politischen Parabel, die von der Degeneration einer gutbürgerlichen korrupten Klasse handelt. Barrett, sinister und elegant und verführerisch, inszeniert eine zweite Verführung, schleust seine Verlobte in das Haus ein, die dem armen Tony keine Chance lässt, Sarah Miles spielt das mit einer zaghaft zitternden Unverfrorenheit. Wenn Miles und Bogarde dann die Maske fallen lassen, erst hinter Tonys Rücken, dann ganz offen, dann wird es ganz ordinär, archaisch, laut und aufdringlich. Die Sinnlichkeit ist weg, alles ist brutal zur Schau gestellt. Sie machen sich in Tonys Schlafzimmer breit, und als Tony und Susan überraschend nachts nach Hause kommen, hören sie im Treppenhaus die zwei rumoren. Dann geht oben im ersten Stock die Tür auf und Barrett erscheint, der nackte Mann, ein verbotener Blick der Lust, erschütternd für Tony. Man kriegt als Zuschauer nur den drohenden tiefschwarzen Schatten zu sehen, den Barrett auf die Wand wirft, er ist die Urgewalt. Das ist der Ursprung von Tonys Trauma.

Gewalt bei Losey, schrieb Gilles Deleuze in seinem Kino-Buch, sei das Gegenteil von realistischer Gewalt, von gewalttätiger Aktion. „Sie ist eine Gewalt in actu, noch ehe sie sich in einer Handlung entlädt … Sie ist nicht nur angeborene Gewalt oder Veranlagung, sondern statisch. Sie hat ein Äquivalent nur in der Malerei, bei Bacon, … oder in der Literatur bei Genet.“ Noch einmal gibt es knallharte Schatten im Treppenhaus, da tollen Tony und Barrett in einem wilden Ballspiel herum, in grotesken, animalischen Bewegungen. Ein Geisterspiel, wie Jungs im Internat, befreiend, erschöpfend, mit starkem homosexuellen Unterton. Und eine Parodie auf die Kitchen-Sink-Filme der Fünfziger- und Sechzigerjahre von Karel Reisz, Lindsay Anderson und Tony Richardson, die enge Arbeiterwelten zeigten.

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Homosexualität sei nicht das Sujet von „Der Diener“, schrieb Olivier Père, aber die Lehre daraus, der Schluss, die Konklusion. Alles, was auf der politischen, inhaltlichen Ebene des Films verhandelt wird, die Signifikate des Films – das Herrschaftsverhältnis, die Lust der Servilität, das Dandytum und der Feudalismus, die Dominanz und die Anarchie des Eindringlings – werden auf der Ebene der Signifikanten sexuell aufgeladen. Immer wieder wird ein Bezug hergestellt zwischen Loseys Film und dem Film „Performance“ (1968) von Donald Cammell und Nicolas Roeg, noch ein Haunted-House-Movie, mit Mick Jagger und erneut James Fox.

Es sind die Gesten, die Rituale, die Codes zwischen den zwei Männern, die die eigentliche Geschichte erzählen, von der Lust, ohne die Politik nicht funktioniert, vom Masochismus, ohne den Macht nicht möglich ist. „Der Diener“, versichert uns Losey, „isn’t all evil, the master isn’t all weakness. There is innocence in both of them.“




Der Diener
von Joseph Losey
UK 1963, 116 Minuten, FSK 12,
englische OF mit deutschen UT & DF,

Arthaus

Ab 23. September als BluRay, DVD (Digital Remastered) und VoD.

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