Darkroom – Tödliche Tropfen

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In seinem neuen Film „Darkroom – Tödliche Tropfen“ befasst sich Regie-Ikone Rosa von Praunheim mit einem wahren Kriminalfall aus der jüngsten Vergangenheit Berlins. Während der Krankenpfleger Lars mit seinem Freund Roland eine scheinbar perfekte Beziehung führt, treibt er sich heimlich im Nachtleben umher, mordet und experimentiert mit tödlichen Substanzen. Der diesjährige Eröffnungsfilm des Filmfestivals Max Ophüls Preis setzt nicht auf Hochglanz, sondern auf sein gut eingespieltes Hauptdarsteller-Duo. Stefan Hochgesand hat sich in die filmische Blackbox begeben und neben ekligen Momenten auch Paradiesisches entdeckt.

Foto: missingFILMs Verleih

Im Düsterraum der menschlichen Seele

von Stefan Hochgesand

In Berlin kann das schon mal passieren, dass man den Anruf von Mama ignoriert. Gibt ja jede Menge Kram zu erledigen und zu genießen in Berlin, und dann ist man eben abgelenkt. Dass aber der Typ, Basti, in der ersten Szene nicht rangeht, während Mama durchklingelt und auf den AB spricht – das hat einen ganz anderen Grund: Er wird gar nichts mehr machen in Berlin. Auch sonst nirgendwo. Sein Herz, es schlägt nicht mehr, er wurde umgebracht.

Nach dem Vorspann mit dem Untertitel-Schriftzug „tödliche Tropfen“ in trashigen roten Lettern über schön behaarten und so gar nicht nach Twink-Pornoseiten aussehenden Männern, ja, nach diesem Vorspann, lernen wir auch Lars kennen, den Mörder. Er trägt sehr hohe Tennissocken und wurde auf einer Liege fixiert. Der Polizist und er plaudern über Tomatenpflanzen im Garten, dann bekommt Lars eine sicher abscheuliche Essenspampe vom Gourmet-Niveau „Jugendherberge“ gereicht, und er zerbricht, während der Polizist vom Handybildschirm abgelenkt ist, sein Plastikmesser, um sich selbst die Halsschlagader aufzuschlitzen. Dieser Moment ist extrem eklig, weshalb hier der Spoiler gestattet sei. Zarte Gemüter sollten sich unbedingt die Augen zuhalten oder, noch besser, zuhalten lassen von der*m Kinofreund*in des Vertrauens.

Rosa von Praunheim, 77, der kultigste schwule Kultregisseur, den Deutschland zu bieten hat, nahm sich für „Darkroom“ einer wahren Berliner Begebenheit ein – um sie dann dramaturgisch frei zu einer Tragödie mit durchaus auch witzigen Szenen zu verfilmen: 2012 brachte im wahren Leben, wenn man so sagen kann, ein Schwuler in Berlin andere Männer zur Strecke, mittels Liquid Ecstasy, auch genannt GBL oder schlicht G (wohlgemerkt englisch ausgesprochen). Das war damals ein ziemlicher Schocker in der Berliner Schwulenszene, und man wusste nicht so recht, was diesen Mann antrieb. Dieses Themas nimmt sich Rosa in seinem Spielfilm also an, mit ein paar eingestreuten kleinen pseudo-dokumentarischen „Interviews“, die er ja sehr mag, wie man wissen kann.

Der Film hat sogar just das renommierte Filmfestival Max Ophüls Preis eröffnet – wo Rosa von Praunheim obendrein den Ehrenpreis für sein Lebenswerk erhalten hat. Sicherlich für viele eine nachvollziehbare Entscheidung, wenn man bedenkt, dass Rosas „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ (1971) der Schwulenbewegung in West-Deutschland große Energieschübe verpasst hat. Andererseits ist durchaus auch umstritten, ob die von Rosa von Praunheim durchgeführten Zwangs-Outings von Hape Kerkeling und Alfred Biolek wirklich legitim waren. Ist es für den gesellschaftspolitischen Fortschritt gestattet, persönliche Krisen von individuellen Menschen zu riskieren, à la „der Zweck heiligt die Mittel“? Vielleicht würden viele die Frage rückblickend weniger wohlwollend für Rosa beantworten, wenn die beiden sich infolge ihrer Zwangs-Outings das Leben genommen hätten. Das nur am Rande.

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Bei „Darkroom“ nun mag man vorschnell an Darkrooms denken, in denen Männer mehr oder weniger anonymen und mehr oder weniger dreckigen Sex mit anderen Männern haben. In diesem Film „Darkroom“ geht es aber vielmehr um den Düsterraum der menschlichen Seele. Ja, wie konnte Lars das nur diesen anderen Männern antun? Denn eigentlich könnte Lars (Bozidar Kocevski)  glücklich sein. Wenn er so rumschäkert mit seinem festen Freund Roland (Heiner Bomhard) und die beiden sich liebevoll necken und die idyllische, ach was, paradiesische Palmenmustertapete an der Wand ihrer Wohnung festkleistern – da glaubt man schon wirklich, dass das was für immer sein könnte, trotz (oder vielleicht ja gerade wegen) ihrer offenen Beziehung.

Rosa von Praunheim ist nicht eben berühmt dafür, perfekte Hochglanz-Kinobilder à la Xavier Dolan durchzukomponieren. Und das tut er auch diesmal nicht. Aber diese Dialoge und die Schauspielführung, die sind echt überzeugend. Man nimmt Lars und Roland so gut ab, dass sie ein Paar sind, wie das in Filmen nicht oft gelingt. Vielleicht hat es da ja extra geholfen, dass die beiden Hauptdarsteller Ensemble-Kollegen am Deutschen Theater Berlin sind – und dort auch zusammen mit Rosa schon an dessen Stück „Jeder Idiot hat eine Oma, nur ich nicht“ gearbeitet haben. Die Gespräche wirken mitunter leicht improvisiert, was sie vielleicht gar nicht sind; aber zumindest klingen sie nicht papieren nach Drehbuch. Gerade weil die beiden so glaubhaft lieb miteinander sind, schockiert es freilich besonders, was Lars hinter Rolands Rücken treibt. Jeder schwule Mann hat sich wohl schon mal gefragt, ob der eigene Freund hinterrücks mit anderen rummacht. Aber dass er mit ihnen tödlich rummachen würde – damit rechnet wohl kaum jemand.

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Das Sujet des schwulen Serienmörders fasziniert. Besonders wenn das eine wahre Geschichte ist. Die Netflix-Serie „American Crime Story“ beschäftigte sich 2018 eine ganze Staffel lang mit dem schwulen Mörder von Gianni Versace. „Der Mord an Gianni Versace“ hat einerseits genau die Hochglanzbilder, die Rosa von Praunheim niemals produzieren könnte, wohl schon aufgrund seines eher schmalen Budgets nicht. Andererseits haben beide Produktionen doch mindestens zwei Gemeinsamkeiten: Die schwulen Täter (Lars hier und Andrew in „Gianni“) sind ausgesprochen charismatische Blender. Die Menschen, die ihnen begegnen, halten sie nicht schnell für lebensgefährliche Weirdos, ganz im Gegenteil: Sie erliegen ihrem Charme. Lars und Andrew können anderen das gute Gefühl geben, geborgen, geschätzt zu sein. Während die Morde bei „Gianni“, anti-chronologisch erzählt, zusehends brutaler ausgestellt (man möchte fast sagen: ausgeschlachtet) werden, sind sie in „Darkroom“ gerade ob ihrer Beiläufigkeit so gruselig: Kann man beim ersten gezeigten Mord, an Basti, mit viel Mühe noch ein Motiv erkennen, geschehen die anderen Morde anscheinend willkürlich; nicht mal blutig, sondern einfach mit den Tropfen.

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Die zweite Gemeinsamkeit mit „Gianni“ ist, dass im letzten Viertel mit nachgeschobenen Kindheitsszenen küchenpsychologisch „erklärt“ werden soll, warum die Täter selbst Verletzte sind und womöglich aus einem Trauma heraus metzelten. Fragt sich, ob diese „Erklärungen“ absichtlich zum Scheitern gebracht werden im Szenenkontext. Das wäre dann sogar wieder ein ganz raffinierter Schritt. Diese Darkrooms gleichen Blackboxes: Flugdatenschreibern. Solchen, die nach einem Flugzeugabsturz aufgesucht werden, um den Hergang nachzuvollziehen. Die Menschen, die sie auseinandernehmen, erwarten, Gründe für die Katastrophe zu erhalten. Doch vielleicht hat ja auch das düsterste Herz seine Gründe, die der Verstand nicht erkennt. Lars sagt vor Gericht, und es klingt fast glaubhaft, er sei doch ein sauberer Mensch, mustergültig und ehrlich. Dass er sich das durchbrochene Plastikmesser durch die Ader zieht, lässt freilich ahnen, dass die Idee, die andere nunmehr von ihm haben, und die Idee, die er selbst von sich hatte, irreparabel zerrissen sind.




Darkroom
von Rosa von Praunheim
DE 2019, 92 Minuten, FSK 16,
deutsche OF,

missingFILMs Verleih

Ab 30. Januar hier im Kino.

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