Tom of Finland

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Das heiß ersehnte Biopic über den finnischen Künstler Touko Laaksonen (1920-1991), besser bekannt als Tom of Finland, Meister des hypermaskulinen Comics und Ikone der Schwulenkultur, spaltet seine Zuschauer_innen. Während er in Finnland einen riesigen Hype ausgelöst hat, als Film des Jahres gefeiert und offiziell ins Oscar-Rennen geschickt wird, gibt es in Deutschland, wo der Film seit Donnerstag im Kino zu sehen ist, einiges Unbehagen von Seiten der Filmkritik, insbesondere bei queeren Autor_innen. Für sissy hat sich Peter Rehberg den Film angesehen – ein ausgewiesener Kenner von Tom of Finlands Werk und Autor des preisgekrönten Essays „Happy Homos. Über Tom of Finlands schwule Superhelden“ (2011).

Foto: MFA+ FilmDistribution

Monsterschwänze in sauberen Händen

von Peter Rehberg

Das Erstaunliche an Tom of Finland, der mit bürgerlichem Namen Touko Laaksonen hieß, ist nicht nur, dass er Zeichnung um Zeichnung die Definition schwuler Hypermaskulinität zu Papier brachte. Erstaunlich ist, dass dieses Werk eben nicht in einer der westlichen Schwulenmetropolen des 20. Jahrhunderts entstand, sondern an der Peripherie. Wie kam diese pornografische Bilderwelt der immer gleichen, geilen und potenten Männer, die den ganzen Tag nichts anderes wollten, als ficken, fisten und blasen, zustande? Woher nahm Tom of Finland, der sein Geld als Werbegrafiker und Art Director in Helsinki verdiente, mehr als zwanzig Jahre vor der Entstehung einer schwulen Pornoindustrie und fünfzig Jahre vor der Verbreitung von Online-Pornografie die Inspiration, die schwule Sexwelt in dieser Direktheit in Szene zu setzen? Gab es reale Vorbilder für diese Kerle mit ihren unwahrscheinlichen Körpermaßen und einem unwahrscheinlich dreckigen Grinsen?

Dass Laaksonens Vorstellungen von Männlichkeit und Männersex durch die Erfahrungen des zweiten Weltkriegs, den er als junger Mann miterlebt hatte, inspiriert wurden, ist bekannt. Uniformen und Rituale von Männerbünden wurden im schwulen Blick erotisiert. Laaksonens studierte, wie Soldatenuniformen und das Lederoutfit von Motorradfahrern dem männlichen Körper Kontur geben, wie sich in ihnen Brust, Arsch und Schwanz abzeichnen. Für die viel diskutierten Fragen nach den politischen Implikationen der Uniformliebe –  insbesondere SS- und Wehrmachtsuniformen hatten es Tom angetan, und Nazis gehörten fortan zum Repertoire seiner Bilder – interessiert sich der Film „Tom of Finland“ von Regisseur Dome Karukoski allerdings kein bisschen.

Eine schwule Szene, die in ihren Sexclubs bis heute nachspielt, was Tom mit seinen Bildern als Vorlage geliefert hat, gab es damals nicht. Was wir im Biopic „Tom of Finland“ zu sehen bekommen, sind nächtliche Cruising-Szenen im Park und schwule Partys in Privatwohnungen. Beim anonymen Sex oder zuhause waren schwule Männer in Finnland, wie auch sonst in den 1950ern und 60ern in der westlichen Welt, von Razzien bedroht. Doch mit seinem Bleistift verwandelt Laaksonen diese Welt der Unterdrückung und des heimlichen Sex in eine Orgie. Die Schwulen sind für ihn dabei mindestens genauso interessant wie ihre Verfolger. In seinen obszönen Zeichnungen löst sich jede Form der Gewalt zwischen Opfer und Aggressor am Ende auf in ein sexuelles Spiel.

Foto: MFA+ FilmDistribution

Es ließen sich also einige Verbindungen ziehen, zwischen dem erotischen Imaginären seiner Bilder und der sozialen Realität. Doch der Lebensgeschichte von Laaksonen, wie sie in „Tom of Finland“ erzählt wird, gelingt es nicht verständlich zu machen, wie das eine mit dem anderen zusammenhängt, und wie Toms nahezu klassische Zeichnungen, die bis heute nichts von ihrer Obszönität verloren haben, zustande kamen.

Das liegt daran, dass der Film sich nicht an sein Thema heranwagt. Als wollte er sich nicht die Hände schmutzig machen. Genauso wie auch Toukos Schwester Kaija nur mit Mühe einen Blick auf die Bilder erhaschen kann, wenn sie versucht herauszufinden, was ihr Bruder, mit dem sie sich eine Wohnung teilt, nachts am Schreibtisch treibt, geht es auch dem Zuschauer. Die meiste Zeit über bleiben die Bilder beinahe versteckt. Manchmal sehen wir Detailausschnitte, Touko, wie er mit größter Liebe und Sorgfalt einen Nippel zeichnet. Oder seine Bilder ausgebreitet an der Wand, aber die Kamera traut sich nur einen kurzen Moment, sie in der Totale zu zeigen. In beiden Fällen verschwindet das Anstößige des Materials.

Foto: MFA+ FilmDistribution

Das zu demonstrieren bleibt die Aufgabe seiner Schwester. Nur einmal hat sie selber einen Moment – masturbatorischen – Glücks. Als sie sich auf ihren Liebhaber wartend im sommerlichen Gras wälzt, noch unwissend, dass dieser in Wahrheit eine nächtliche Parkbekanntschaft ihres Bruders ist und später sein und nicht ihr Partner wird. Ansonsten ist sie zuständig für einen pikierten Gesichtsausdruck, den sie bis zum Ende des Films auch niemals ganz aufgibt. In ihm soll sich die Empörung darüber widerspiegeln, was wir kaum sehen. Pekka Strang als Touko/Tom stellt sich dieser jungfräulichen Moral zwar zunehmend lässig entgegen. Doch der „Genuss“ und die „Lebensfreude“, von dem in diesem Film so viel die Rede ist, und die immer wieder zur moralischen Verteidigung der freizügigen Zeichnungen ins Feld geführt werden, muss fast ohne Anschauungsmaterial auskommen.

Foto: MFA+ FilmDistribution

Schon klar, die kleinen dreckigen Bilder – die zumindest ein schwules Publikum so gut kennt, dass sie tatsächlich fast gar nicht gezeigt werden müssten – sollen als heimliche Parallelwelt erscheinen. Ein utopischer Fluchtpunkt, um den miefigen 1950ern und 60ern in Finnland zu entkommen (der Film ist historisch nicht besonders spezifisch und bietet hierfür nur vage Orientierungspunkte). Kriminalisierung, Erpressung, Pathologisierung – alle bekannten Stationen der Unterdrückungsgeschichte von Schwulen werden ausgepackt. Allerdings werden sie auf so vorhersehbare Art und Weise abgehandelt, dass man das Gefühl hat, das Öffentlich-Rechtliche hätte „Tom of Finland“ in Auftrag gegeben. Im Anschluss an „Dresden“, „Die Flucht“ und „Weissensee“. Schaurig lässt sich von Unterdrückung und Verfolgung erzählen – egal ob politisch oder sexuell, Leiden ist Leiden. Das 20. Jahrhundert war schon finster. Dass es sich bei „Tom of Finland“ um die Lebensgeschichte eines Mannes handelt, der sich vor allem dafür interessierte, kernige Ficker mit Monsterschwänzen und prallen Ärschen in allen erdenklichen Stellungen und Kombinationen von Körperteilen zu zeichnen, gerät dabei fast in Vergessenheit.

Das obszöne Bildmaterial wird hier jedoch nicht nur durch die Übermacht der Heterowelt – die Konflikte der Geschwister und die Verfolgung von Schwulen in Finnland – fast familiengerecht verpackt. Es gibt auch schwule Konventionen, die mit diesen Formen der Verharmlosung des Obszönen paktieren. Zum Beispiel eine Erzähllogik, wie sie aus schwulen Mainstream-Pornofilmen vor allem der 1980er bekannt ist. Deren Happy End lag nämlich darin, die sexuellen Episoden am Ende stets mit einer romantischen Liebesgeschichte zu versöhnen. Die Lover erzählen sich gegenseitig von ihren Abenteuern, um dann Arm in Arm einzuschlafen. So stellt auch „Tom of Finland“ eher die schwule Lovestory als die schwule Ausschweifung ins Zentrum.

Foto: MFA+ FilmDistribution

Aber es gibt auch noch eine andere Geschichte die hier, ziemlich lieblos, abgespult wird. Auch sie zielt darauf ab, das Sexuelle hinter sich zu lassen, wenn auch auf paradoxe Weise. Denn diesmal ist es nicht der marriage plot in seiner Homoversion, der schwulem Sex Bedeutung verleihen soll, sondern das Narrativ der Emanzipation des westlichen Individuums. Im sexuellen Coming-out zeigt sich das Prinzip der Selbstverwirklichung, wie es in spätkapitalistischen Gesellschaften mittlerweile nicht nur mehrheitsfähig ist, sondern auch marktgerecht gefordert wird. Toms Kerle, die vor sexuellem Selbstbewusstsein nur so strotzen, dienen nicht nur als Wichsvorlage, sondern müssen auch noch als Vorlage für die schwule Befreiungsbewegung herhalten. An dieser Stelle wird „Tom of Finland“ mit seiner holzschnittartigen Erzählweise – in Kalifornien begegnen Tom auf einmal die Männer, die er schon ein Leben lang gezeichnet hatte – fast zur Parodie der LGBT-Bewegung.

Dass sich aber gerade in einem Wechselspiel von Parodie, wie sie vielleicht mit Toms Bildern hypermaskuliner Männer tatsächlich erscheint, und sexueller Ekstase, um die es dabei auch immer geht, auch Einiges über die Koordinaten schwuler Existenz erzählen ließe, davon erfährt man in diesem Films nichts. Das scheint der Preis zu sein, wenn man als schwuler pornografischer Zeichner zum Nationalhelden wird. In Finnland gibt es bereits eine Briefmarke im Gedenken an Touko Laaksonen.




Tom of Finland
von Dome Karukoski
FI/DE/SW 2017, 115 Minuten, FSK 12,
deutsche Synchronfassung &
finnisch-englische Originalfassung mit deutschen Untertiteln,
MFA+ FilmDistribution

Website des Films

Ab 5. Oktober hier (SF) & hier (OmU) im Kino.


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