Tom of Finland: Interview mit Dome Karukoski
Kino
Dem Regisseur Dome Karukoski ist das zweifelhafte Kunststück geglückt, die obszöne Schwulenikone Tom of Finland zur Hauptfigur eines großformatigen und – zumindest in Finnland – massenkompatiblen Biopics zu machen. Im Interview mit sissy erzählt er, warum Tom of Finland für ihn eine Art schwuler James Bond ist, was Toms Kunst besonders explosiv macht und was die Finnen heute über einen ihrer bekannten Künstler denken.
„Die Sehnsucht, sich frei zu fühlen“
Interview: Sabine Matthes
„Tom of Finland“ ist Ihr siebter und bislang größter Film. Was hat Sie als heterosexueller Filmemacher an dem Thema gereizt?
Ich war schon immer ein Fan seiner Arbeiten und bin ihnen bereits in jungen Jahren begegnet. Ich glaube, ich war etwa 12 als ich zum ersten Mal Zeichnungen von ihm sah, und ich erinnere mich noch gut an den Moment, als in Finnland bekannt wurde, dass hinter dem Pseudonym „Tom of Finland“ die Person Touko Laaksonen steckt, also tatsächlich ein Finne, was vorher nicht klar war. Auf der Filmhochschule verstand ich dann auch den künstlerischen Wert seiner Bilder und für was seine Arbeiten stehen – und was es damals bedeutet haben muss, glückliche schwule Kerle zu zeichnen, die bei vollem Tageslicht Sex haben. In der Ära, in der Touko lebte und arbeitete, hat es dafür viel Charakterstärke bedurft. Ich sehe in ihm deswegen eine Ikone des Muts – und eine Art schwulen James Bond, der bis heute seinen Mut weitergibt an alle, die seine Arbeiten entdecken. Unser Film erzählt die Geschichte über die Freiheit des Ausdrucks, über eine Person, die sich selbst treu bleibt, egal unter welchen Umständen.
Tom of Finlands Zeichnungen, die lange „nur“ als schwule Pornografie betrachtet wurden, inspirierten zahllose Musiker, Künstler und Modemacher wie Freddie Mercury, Robert Mapplethorpe, Jean Paul Gaultier und Mike Kelley. Seine Arbeiten gehören heute zu bedeutenden Kunstsammlungen wie dem New Yorker Museum of Modern Art. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?
Touko fand seine Stimme als Künstler im Nachkriegs-Finnland, also zu einer Zeit, in der es strafbar war, als Mann Sex mit einem Mann zu haben. Selbst als Sex zwischen Männern 1971 in Finnland legalisiert wurde, galt Homosexualität in der öffentliche Meinung noch etwa ein Jahrzehnt lang als Krankheit. Tom of Finland ist gerade deswegen ein außergewöhnlicher Künstler, weil er sich in seinen Zeichnungen gerade über jene Autoritäten lustig macht, die sexuelle Minderheiten unterdrückt haben. Das machte und macht seine Kunst explosiv. Die Männer auf seinen Bildern sind ohne Scham, sie sind voller Freude. Ich glaube, dass jeder, der seine Bilder ansieht, den Stolz fühlen kann, den seine Figuren haben. Seine Kunst repräsentiert die Sehnsucht, sich frei zu fühlen. Ich denke es ist vor allem dieser Aspekt, der seine Zeichnungen so universell macht.
Sie sagen, dass Sie 39 verschiedene Versionen ausprobiert haben, um die Geschichte von Tom of Finland zu erzählen.
Ich begann meine Recherche zusammen mit meinem Drehbuchautor Aleksi Bardy im Jahr 2011. Gemeinsam haben wir schnell gemerkt, dass Toukos persönliche Geschichte Potential für einen großen Film hat. Für ein Biopic muss man eintauchen in all das, was wirklich geschehen ist, und dann, wenn man es auswendig gelernt hat, kann man sich davon wieder entfernen und es in eine filmische Sprache übersetzen. Dabei muss man die Lebensdaten mit einer funktionierenden Dramaturgie ausbalancieren. In diesem Prozess haben wir viele verschiedene Versionen ausprobiert. Unter denen waren auch stilistisch ausgefallene Ideen. Wir hatten zum Beispiel auch eine animierte Version.
Sie zeigen Toukos frühe Jahre in Europa und seine späteren Erfahrungen, in den USA , wo er plötzlich auf die stolzen, braungebrannten Bodybuilder-Typen mit strahlendem Lachen aus seinen wildesten Zeichnungen trifft, in einem starken visuellen Kontrast…
Das war natürlich eine ganz bewusste Entscheidung. Ich glaube, dass alles, was der echte Touro sah, als er das erste Mal in die USA kam, für ihn wie das Paradies gewesen sein muss. Er kam ja aus einem streng konservativen Land – Finnland war damals weit entfernt von dem Liberalismus, den seine Gesellschaft heute prägt. Die wildesten Bilder und verrücktesten Farben in Toms Geschichte gehören deswegen ganz klar in das Amerika der 70er Jahre, wo Harvey Milk gerade als erster offen schwuler Mann in ein öffentliches Amt gewählt wurde. Selbst wenn damals nicht ganz Amerika für Milk war, symbolisiert seine Wahl doch einen enormen Fortschritt – einen, der in Finnland erst viele Jahre später einsetzte.
Toms Geschichte hat auch eine tragische Seite: Als die Aids-Epidemie aufkam, fühlte er nach eigenen Aussagen eine diffuse Schuld, da die jungen Männer starben, denen er zuvor noch das Selbstbewusstsein gegeben hatte, ihre Sexualität frei auszuleben…
Das stimmt, zuerst fühlte er Schuld und hörte mit dem Zeichnen auf. Doch dann nahm er den Kampf wieder auf. Er zeichnete für Aufklärungskampagnen und porträtierte Männer, die gestorben waren – und gab die Bilder den zurückgeblieben Geliebten.
Ihr Biopic war in Finnland ein riesiger Erfolg, der in jedem Multiplex-Kino gezeigt wurde. Interessant ist dabei, dass ihr Publikum zu 65 % weiblich ist. Finnische Teenager, vor allem Mädchen, tragen Tom-of-Finland-Shirts. Wie denken die Finnen heute über Tom of Finland, der einer der größten kulturellen Export-Schlager ihres Landes geworden ist?
Finnland ist mit der Zeit und auch Dank Tom ein offenerer Ort geworden. Die Pride Parade in Helsinki ist heute ein riesiges Straßenfest. Viele Finnen schätzen Toms Arbeiten sehr und sehen ihn als eine Art Botschafter des Landes. Doch es gibt auch noch andere, die ihn zutiefst verachten. Klar ist, dass Tom of Finland kein Künstler für eine einzige (schwule) Zielgruppe mehr ist. Er ist Teil der Popkultur. Dass in Finnland mehr Frauen ins Kino kamen als Männer, liegt glaube ich daran, dass sie mutiger sind. Außerdem sind die Kerle auf den T-Shirts ziemlich heiß.
Tom of Finland
von Dome Karukoski
FI/DE/SW 2017, 115 Minuten, FSK 12,
deutsche Synchronfassung &
finnisch-englische Originalfassung mit deutschen Untertiteln,
MFA+ FilmDistribution
Ab 5. Oktober hier (SF) & hier (OmU) im Kino.