König der Raben

Trailer Kino

Jetzt im Kino: In seinem zweiten Spielfilm „König der Raben“ erzählt Piotr J. Lewandowski („Jonathan“) von der engen Freundschaft zwischen drei gesellschaftlichen Außenseitern und einer amour fou: Der junge Mazedonier Darko schlägt sich mit seinen Freunden Yanoosh und Manolo irgendwie durch, ohne Aufenthaltserlaubnis, immer in Deckung vor der Polizei. Um sich über Wasser zu halten, züchtet er Tauben, die er auf Hochzeiten fliegen lässt. Als er bei einer Feier Alina kennenlernt, wirft er sich voller Leidenschaft in eine Affäre mit der geheimnisvollen Künstlerin. Christian Lütjens schreibt über das ambivalente Idyll einer abgeschotteten Welt und Figuren, die gegen die Ausweglosigkeit ankämpfen.

Foto: Salzgeber

Freund, Bruder, Mann

von Christian Lütjens

Knapp fünf Jahre ist es her, dass Piotr J. Lewandowski in „Jonathan“ eine der denkwürdigsten schwulen Liebesszene des Jahres 2016 lieferte. Wir erinnern uns: Da tauchte am Krankenbett des sterbenden Vaters der Titelfigur auf einmal ein verflossener Lover auf, um noch einmal das zu tun, wovon zumindest der Kranke irgendwann in einer weit zurückliegenden Vergangenheit abgekommen war – weil er sich in die Lebenslüge eines vermeintlich heterosexuellen Bauerndaseins gefügt hatte, dem Jonathan seine Existenz verdankte. Mit freier Sexualität oder gar queerer Identität hatte der Liebesakt der zwei Herren im Krankenbett nichts zu tun, dafür war er zu morbide. Aber wie auch immer man zu der Szene stand, denkwürdig war sie allemal!

Jetzt kommt der neue Lewandowski ins Kino, „König der Raben“. Der Titel klingt märchenhaft, und das soll er sicher auch. Denn Märchen sind romantisch, und Lewandowski ist leidenschaftlicher Romantiker, daran lässt dieser Film, eine Art moderne „Romeo und Julia“-Variante, keinen Zweifel. Es geht um Liebe über soziale Schranken hinweg, um eine marginalisierte Parallelgesellschaft, um große Freundschaft und tiefe Traumata – und irgendwie immer auch um Leben und Tod, selbst wenn im Film keine zentrale Figur stirbt. Und einen „schwulen“ Nebenplot gibts auch.

Darko hat es infolge der Balkankriege, bei denen sein Bruder und sein Vater ums Leben gekommen sind, aus Mazedonien nach Deutschland verschlagen. Jetzt lebt er gemeinsam mit seiner kriegstraumatisierten Mutter und anderen Einwandererfamilien in einem heruntergekommenen Haus am Stadtrand. Der Zusammenhalt unter den Bewohner*innen ist groß, doch über ihnen lastet die ständige Angst vor der Einwanderungsbehörde, denn viele von ihnen leben ohne Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland, auch Darko und seine Mutter. Zudem wird die Gemeinschaft von einem finsteren Clan-Chef drangsaliert, der jeden, der nicht nach seiner Pfeife tanzt, mit körperlichen Züchtigungen zur Räson bringt.

Foto: Salzgeber

Doch Sonnyboy Darko lässt sich von den widrigen Umständen nicht die Lebenslust nehmen. Mit seinen Freunden Yanoosh und Manolo tanzt, tobt und taumelt er durch den Alltag, lebt von Moment zu Moment, bietet den Härten des Alltags lachend die Stirn. Als er am Rande einer Hochzeitsfeier mit dem Clan-Chef in Streit gerät und dessen Schergen ihn zur Strafe in einen See werfen, wird sein täglicher Kampf ums Überleben sprichwörtlich. Denn Darko kann nicht schwimmen! Doch er hat Glück: Eine schöne junge Frau ist auf dem nächtlichen See in einem Boot unterwegs und rettet ihn – der schicksalhafte Beginn einer zum Scheitern verurteilten Affäre.

Lewandowski hat ein halbes Jahr selbst bei einer Einwandererfamilie gelebt, um die täglichen Nöte der Migrant*innen vom Balkan im Film wirklichkeitsgetreu wiedergeben zu können. Die Elemente, die aus seinen Beobachtungen ins Drehbuch eingeflossen sind, sind die Stärken von „König der Raben“. Das Abbilden der prekären Lebensumstände der Protagonist*innen, ihre Angst vor Abschiebung, die Trickserei bei Behörden und Krankenkassen und das ambivalente Idyll ihrer abgeschotteten Welt gelingt stellenweise gut.

Foto: Salzgeber

Die Milieustudie ist aber nur das Hintergrundrauschen für die Lovestory zwischen Darko und Alina, die in ihrer Aussichtslosigkeit vielleicht etwas zu vorhersehbar ist. Ähnlich verhält es sich mit dem „schwulen“ Schlüsselmoment: ein verzweifelter Kuss, den Yanoosh seinem Kumpel Darko abtrotzt, weil er ihn eben nicht nur als Freund und „Bruder“ liebt, sondern auch als Mann. Diese Liebe wird in den vorangehenden anderthalb Stunden so deutlich in begehrlichen Blicken und situationsbedingten Stimmungsschwankungen angedeutet, dass es kein Spoiler ist, den Kuss hier auszuplaudern. Dass er nicht zum unwiderruflichen Zerwürfnis zwischen den Freunden führt, ist das Bessere an dem Nebenplot; dass das Drehbuch Yanoosh keinen Ausweg aus der Rolle des einseitig Liebenden zugesteht, wiederum bezeichnend für den nur bedingt queeren Fokus des Films.

Foto: Salzgeber

Man könnte die narrativen Sackgassen in „König der Raben“ natürlich auch als ungeschönte Metaphern für die Situation der Hauptfiguren interpretieren, denn realistisch betrachtet haben Darko und seine Freunde nun mal wenig Perspektiven. Wenn es so gemeint ist, ist es beispielhaft für die Unentschlossenheit des Films, der sich nie entscheiden zu können scheint, ob er nun Märchen oder schonungsloses Sozialdrama ist. Dazu würde auch einer der Sprüche passen, den er Darko in der Mitte des Films zu Alina sagen lässt: „Du erzählst mir nämlich sehr viel von dir… nicht.“




König der Raben
von Piotr J. Lewandowski
DE 2020, 105 Minuten, FSK 12,
deutsche OF,

Salzgeber

Ab 19. August hier im Kino.


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