When Night Is Falling

TrailerQueerfilmnacht

Queerfilmnacht im April, Teil 3: Camille arbeitet als Dozentin an einer christlichen Universität und ist mit ihrem Kollegen Martin verlobt. Nach der Hochzeit steht eine gemeinsame Beförderung für die zwei „Karrierechristen“ an. Doch Camille ist auf vage Art unglücklich, und dann stirbt auch noch ihr geliebter Hund. Als sie in einem Waschsalon unverblümt von der charismatischen Zirkusartistin Petra angeflirtet wird, ist da plötzlich ein ganz anderes, neues Gefühl. Die kanadische Regisseurin Patricia Rozema erzählt in sinnlichen Bildern von einer Frau, deren bisher von Ordnung und  Glauben bestimmtes Leben gehörig durcheinander gewirbelt wird. Jessica Ellen über die Wiederbegegnung mit einem Klassiker des lesbischen Kinos, der das Grundmuster des Liebesdreiecks raffiniert variiert und jetzt digital restauriert in neuem Glanz auf die Leinwand zurückkehrt.

Foto: Salzgeber

Ein Tanz zwischen Angst und Begehren

von Jessica Ellen

Es kann interessant sein, einen Film, der positive, wenn auch wenige Erinnerungsspuren hinterlassen hat, nach vielen Jahren wiederzusehen. Die Premiere von „When Night Is Falling“ fand 1995 auf der Berlinale statt, wo wir uns auf jeden Film freuten, der lesbische Figuren versprach. Nun, Sehgewohnheiten, auch die eigenen, haben sich verändert, die Welt mit ihren filmischen Schauplätzen ist nicht mehr die des vergangenen Jahrhunderts. Im Rückblick erscheinen sie mitunter poetischer, als sie es waren.

1995 war eine Zeit, in der lesbische Liebesgeschichten, besonders solche mit Happy End, noch spärlich gesät waren. Meist begnügten sie sich damit, vom Coming-out einer bis dato heterosexuellen Frau zu erzählen. Es gab auch deutlich weniger Regisseurinnen, die ihre Filme realisieren konnten. Eine davon war die Kanadierin Patricia Rozema, der dies vielleicht gerade deswegen gelang, weil sie das damals fest etablierte Grundmuster des Liebesdreiecks raffiniert variierte. In ihrem ersten Spielfilm, der Komödie „Gesang der Meerjungfrauen“ von 1987, die in Cannes sogar mit dem Prix de la Jeunesse ausgezeichnet wurde, war der Beziehungsplot sogar ganz ohne männliche Beteiligung ausgekommen. Das hatte mir sehr gefallen.

In Rozemas Folgefilm „When Night Is Falling“ lässt das Drehbuch Camille, eine Pfarrerstochter aus Quebec, gut versorgt als Lehrerin an einem christlichen College sowie liiert mit Kollege Martin, auf die schillernde Petra treffen, eine schwarze Zirkusartistin. Zwischen der maximalen, aber auch langweiligen Sicherheit der einen Frau und der prekären Existenz am Rande gesellschaftlicher Akzeptanz der anderen etabliert Rozema eine fast unüberwindliche Fallhöhe und hält diese bis zum Schluss aufrecht.

Das macht immer noch die Spannung aus: Es könnte bei jeder Wendung auch anders kommen. Da wäre die ausführliche und plakative Schilderung christlicher Pseudotoleranz am College nicht einmal nötig gewesen. Andererseits geht es hier um einen Glauben und eines Geisteshaltung, die die Regisseurin wohl nur zu gut aus ihrem calvinistischen Elternhaus kennt, und um den mühsamen Weg der Befreiung aus der Enge, den sie selbst gegangen ist.

Camille und Petra begegnen sich zum ersten Mal in einem Waschsalon. Camille weint, weil ihr Hund Bob tot ist, und wird von Petra getröstet, die dann heimlich ihre Wäschetaschen vertauscht, um Camille wiederzusehen. Zugegeben: Die Inszenierung ist bis hierhin ein bisschen holprig. Wieso hat Camille keine eigene Waschmaschine? Und was macht ein weißer Wuschel-Kadaver im Kühlschrank?

Foto: Salzgeber

Aber dann beginnt ein Tanz zwischen Angst und Begehren, dem zuzusehen noch immer Spaß macht. Die ersten Szenen im Zirkus lassen an der Faszination teilhaben, die Camille spürt, als sie Petra ihre Sachen bringt. Trotz ihrer Angst vor dieser Welt und vor Petras offensiven Avancen lässt sie diese Faszination nicht mehr los.

Die exotisch-erotische Verführung des Zirkusambientes ist zwar filmhistorisch wohl etabliert, aber hier originell und zum Teil auch witzig choreographiert, z.B. wenn Petra mit zwei anderen Frauen einen Tanz mit Bügeleisen aufführt. Es wimmelt nur so von phantasievollen Kostümen – ein ewiger Karneval, als gäbe es keinen Artistenalltag und kein Morgen. Es ist mehr Ausstellung lebender Bilder als Realismus, die gerade deshalb ihren Zauber entfalten. Durchweg überzeugend ist auch die Kameraarbeit, die mit den Frauen im Flug den Himmel erobert. Beim Zuschauen ist Camilles Angst mit Händen zu greifen, aber auch ihr Stolz, sich auf das Abenteuer eingelassen zu haben.

Dabei ist Camille nicht immer eine positive Identifikationsfigur. Gegenüber dem Collegedirektor verhält sie sich feige und auch latent rassistisch, wenn sie ihm erklärt, dass Petra nur ein Streetkid sei, um das sie sich aus christlicher Nächstenliebe kümmern würde. Petra erwidert darauf aus heutiger Perspektive sehr unoffensiv: „Am I your dirty little secret?“

Foto: Salzgeber

Bei aller Liebe für Camille ist Petra realistisch genug zu wissen, dass sich der Reiz des Neuen abnutzen wird. Und was dann? Wird Camille ihren Verlobten Martin, der ihren „Schritt vom Wege“ am liebsten totschweigen würde, und ihre Karriere aufgeben? Oder war es doch nur die Experimentierlust, die sie in Petras Arme trieb? Und wäre Petra aus Liebe bereit, die schützende Wärme und Solidarität der Zirkustruppe zu verlassen, wenn diese weiterzieht?

„When Night Is Falling“ wird von den zwei großartigen Darstellerinnen Pascale Bussiereres (Camille) und Rachael Crawford (Petra) getragen, zwischen denen förmlich die Funken sprühen. Es ist diese Sinnlichkeit, die den Film auch heute noch sehenswert macht. Patricia Rozema gewann mit ihm 30 Preise und gehört mit Lea Pool zu den bekanntesten lesbischen Regisseurinnen Kanadas. Leider war von Rozemas späteren Filmen nur „Mansfield Park“ (1999) in Deutschland zu sehen, was auch daran liegen mag, dass sie inzwischen vorwiegend fürs kanadische und US-amerikanische Fernsehen arbeitet. Dass es jetzt neben „When Night Is Falling“ auch „Gesang der Meerjungfrauen“ wieder in Deutschland zu sehen gibt, ist deswegen umso mehr ein Grund zur Freude.




When Night Is Falling
von Patricia Rozema
CA 1995, 94 Minuten, FSK 16,
deutsche SF und englische OF mit deutschen UT

Im April in der Queerfilmnacht.

 

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