Mädchen in Uniform

TrailerDVD/VoD

„Mädchen in Uniform“ (1931) von Leontine Sagan gilt als erster Film der Filmgeschichte, der lesbische Liebe offen thematisierte. Jetzt gibt es ihn wieder als DVD und VoD. Das Drama über die Internatsschülerin Manuela, die innige Gefühle für ihre gutherzige Lehrerin Fräulein von Bernburg entwickelt, erinnert an den repressiven Wahn des preußischen Erziehungssystems und dessen zerstörerische Folgen. Beatrice Behn über einen bahnbrechenden und komplexen Film, der am Ende jedoch zwei Dinge voneinander trennt, die besser zusammengedacht werden sollten.

Foto: Salzgeber

Nicht denken, gehorchen!

von Beatrice Behn

„I am not free while any woman is unfree, even when her shackles are very different from my own.“ (Audre Lorde)

Man nennt es ein Mädcheninternat, doch eigentlich ist diese Anstalt, in die die Offizierstochter und Halbwaisin Manuela (Hertha Thiele) von ihrer strengen Tante gebracht wird, ein Ort, an dem junge Frauen zu ordentlich kuschenden, braven preußischen Ehefrauen erzogen werden. „Nicht denken, gehorchen!“ – Das ist hier das tägliche autoritär-patriarchale Programm. Und das ganz ohne Männer oder Vaterfiguren. Die braucht es nicht, denn das System ist verinnerlicht und die älteren Frauen, die das Institut leiten, allen voran die hyperstrenge Oberin, haben Foucaults „Überwachen und Strafen“ quasi schon durchgespielt und sind willige Dienerinnen der patriarchalen Ordnung. Das perfekte System, so scheint es, ist hier in Arbeit: eines, in dem die Unterdrückten selbst zu Unterdrückern werden und das System selbstständig aufrecht erhalten. Wenn es sein muss mit Gewalt.

Dass Schulen aussehen und funktionieren wie Gefängnisse, hat Foucault einst ausführlich beschrieben. Dieses preußische Mädcheninternat ist in der Tat von einem Knast kaum zu unterscheiden. Extrem strikt ist der Tagesablauf. Im Gleichschritt marschieren die Mädchen in ihren gestreiften Uniformen und mit gesenktem Haupt zum Unterricht. Danach gibt es Arbeit, Hausarbeit und wenig essen. Leiden ist eine Tugend und ein hervorragendes Mittel, die Jugendlichen im Zaum zu halten und zu guten, dankbaren Ehefrauen zu erziehen.

Und trotz allem, wie stets in solch geschlossenen und repressiven Systemen,  gibt es Nischen und Momente zwischen den Mädchen, die gemeinsam leiden und deren Lebensfreude doch noch hier und da ein wenig Auslass findet. Vor allem die nicht ganz so strenge und teils recht mütterliche Lehrerin Fräulein von Bernburg (Dorothea Wieck) hat es den meisten angetan. Der kleine Gute-Nacht-Kuss, den diese abends an alle verteilt, ist auch das einzige Bisschen liebevolle Zuwendung, das zu kriegen ist.

Doch Manuela ist mehr als nur ein wenig angetan. Anfangs scheint es noch die Sehnsucht nach einer liebevollen Mutter zu sein, die sie nicht mehr hat, die Manuela so anhänglich macht. Doch nach und nach schält „Mädchen in Uniform“ eine Ebene heraus, in der es mehr um Anziehung und eine erste große Liebe geht, die in dieser Zeit und an so einem Ort natürlich zum Scheitern verurteilt ist.

Aus kontemporärer Sicht klingt das schon ganz schön nach Klischee — ist das Kino doch gepflastert mit tragischen Enden homosexueller Beziehungen und Figuren, die für ihr Begehren bestraft werden. Doch so einfach sollte man sich die Sache nicht machen. „Mädchen in Uniform“ ist viel spannender und komplexer als das.

Foto: Salzgeber

Betrachtet man den Film in seiner eigenen Zeit, so wird schnell klar, was für eine interessante Anomalie das Werk doch ist. Schon seine Basis, Christa Winsloes Theaterstück „Gestern und heute“, generierte 1930 viele Proteste und Boykotts in verschiedenen deutschen Städten, aber auch viel Zuspruch — vor allem ob seiner offenen Auseinandersetzung mit dem Thema Homosexualität und seiner Darstellung einer Gruppe junger Frauen, die innerhalb einer hochgradig restriktiven und unterdrückerischen Gesellschaft eine eigene Identität suchen. Winsloe verarbeitete in ihrem Stück die eigenen Erfahrungen als Offizierstochter, die ins Internat geschickt wurde. Das Drehbuch zum Film schrieb sie ebenfalls, auch wenn das Ende von Regisseurin Leontine Sagan zugunsten einer Erziehungs- und Sozialkritik abgeschwächt und verändert wurde.

Überhaupt, diese Regisseurin! Sagan, eine unabhängige Frau, die Theater machte. Eine lesbische Frau, Jüdin, weit gereist und von vielen Ideen und Kulturen geprägt. Der Inbegriff des Aufbruchs in die Moderne war diese Frau, die mit „Mädchen in Uniform“ ihren einzigen erfolgreichen Film hinlegte, der die Gesellschaft der Weimarer Republik spaltete wie kein anderer. Winsloe und Sagan als Drehbuchautorin und Regisseurin und dazu noch ein rein weiblicher Stab — allein das war ein halbes Wunder in der damaligen Filmlandschaft. Seien wir ehrlich: Selbst heute ist das noch die Ausnahme.

Foto: Salzgeber

Doch nicht nur das. Beim Sehen heute erstaunt, wie modern und dynamisch die Filmsprache wirkt: Die Kamera ist nicht statisch, sie findet ihre Bilder, versucht manchmal fast demokratisch alles einzufangen und jeder Frau in diesem Ensemble Raum zu geben. Auch arbeitet sie hervorragend mit der Architektur des großen, alles überragenden Treppenhauses, welches stark an Foucaults Idee des Panoptikums erinnert und in dem die jungen Frauen immer wieder in Gruppen mühselig etliche Treppe erzwingen müssen und in dem schließlich auch der große dramatische Showdown stattfindet. Am auffälligsten ist jedoch die Methodik, die Gesichter der Frauen in Großaufnahmen zu filmen und diesen Figuren über den Blick — manche mögen ihn als frühes Beispiel eines „female gaze“ bezeichnen — Individualität und Menschlichkeit zu geben und sie so aus der Masse zu heben.

Als „Mädchen in Uniform“ 1931 erschien, stieß er sofort auf den Widerstand konservativer und nationalsozialistischer Gruppen, die in ihm eine Bedrohung der traditionellen Geschlechterrollen sahen. Die Rezeption des Kinopublikums war gemischt: So manche Zuschauer:innen waren schockiert, mit solcher Nonchalance mit lesbischen Themen konfrontiert zu werden. Anderen wiederum gefiel genau dies. Die Darstellung einer rebellischen Schülerschaft sowie die Kritik an strengen Disziplinarmaßnahmen und Geschlechternormen lösten ebenfalls Kontroversen  aus. Schon 1934 wurde der Film von den Nazis verboten. Erst 1958 erschien er wieder, allerdings in einer stark zensierten Fassung. In den 1970er Jahren fand sich dann das ungekürzte Originalmaterial im Bundesarchiv, das restauriert und 1976 wieder aufgeführt wurde.

Foto: Salzgeber

Ein Glück also, dass uns dieser Film nun wieder erscheint. Seine Thematik erscheint im Moment wieder á la mode: Erstaunlich viel der derzeitigen politischen Lage in Sachen Feminismus und dem Kampf um die Freiheit, queer sein zu dürfen, ressonieren in diesem Werk. Dass der Kampf um die Rechte von Frauen Hand in Hand gehen muss mit dem Kampf gegen Homophobie und Faschismus, macht der Film überdeutlich. So sehr „Mädchen in Uniform“ ein Film seiner Zeit ist, so sehr zeigt er einem heutigen Publikum doch auch, wie lang die Resistenz und das Streben nach Freiheit und Gleichberechtigung schon dauert. Und noch viel relevanter: Er erinnert an Lektionen, die wir schon einmal gelernt hatten und die derzeit zumindest einem Teil der (queer-)feministischen Bewegung abhanden gekommen scheinen.

Dem Film selbst kommen sie auch irgendwann abhanden, weshalb am Ende aller Resilienz und allen Aufbegehrens nur wenig echte Veränderung steht. Das zentrale Dilemma von „Mädchen in Uniform“ ist, dass Sagans Interpretation des Stoffs versucht, die homosozialen, feministischen Aspekte von den Themen der Resistenz gegen einen autoritären und zunehmend faschistischen Staat zu trennen. Hinzu kommt, dass Sagan das lesbische Thema des Theaterstücks zwar anerkennt und miterzählt, es letztlich aber auch kompartmentalisiert und es gerade nicht mit dem Streben des Filmes nach Emanzipation seiner weiblichen Figuren vereint.

Foto: Salzgeber

Selbst jetzt, über 90 Jahre nach seiner Aufführung, wird der Film je nach Kontext entweder als antiautoritär, als lesbischer Klassiker oder als frühes Werk feministischen Filmemachens gefeiert. Dabei ist er all das gleichzeitig — wenn auch in einer am Ende enttäuschenden Form. So sehr das Werk den Finger in die Wunde legt, so sehr verheddert sich die Erzählung letztendlich in faulen Kompromissen.

Und doch: Da ist ein Kern, eine Wahrheit, die direkt ins Herz trifft! Es ist und bleibt die Solidarität, die warmherzige Liebe, das Aufeinander-Aufpassen und Füreinander-Kämpfen, das „Mädchen in Uniform“ so anziehend, bewegend und noch immer relevant macht. Vielleicht kann man ihn heutzutage als Mahnmal an uns alle betrachten, das uns daran erinnert, dass keine(r) von uns frei ist, wenn wir es nicht alle sind.




Mädchen in Uniform
von Leontine Sagan
DE 1931, 96 Minuten, FSK 12,
deutsche OF

Als DVD und VoD.