Weekend
Trailer • queerfilmnacht
In Andrew Haighs „Weekend“ (2011) ereignet sich etwas unerhört Schönes und Wahrhaftiges: ein stillstehender Dreitagesflirt, in den das ganze Leben zweier junger schwuler Männer einfließt. Der Kultfilm des späteren Schöpfers der HBO-Serie „Looking“ (2014-16) brachte das New Wave Queer Cinema ins Rollen und ist im Dezember zum zehnjährigen Jubiläum in der queerfilmnacht zu sehen. Jan Künemund schreibt darüber, wie er die beiden Protagonisten kennenlernt – und dabei mehr und mehr sich selbst beobachtet.
Last Night Stand
von Jan Künemund
„Diese Bewegung: was die Figuren, die Menschen und auch die Schauspieler voneinander entfernt und annähert, dieses Zittern des Lebens versuche ich mit meiner Kamera einzufangen!“ (André Téchiné)
FREITAG. Am Anfang funktioniert das voyeuristische Schauen ziemlich gut. Ich sehe einen schönen Mann in seiner Wohnung, sehe ihm dabei zu, wie er sich für das Ausgehen fertig macht, badet, sich anzieht, kifft, sich einer Party in einem Haus nähert. Sehe ihn süß unbeholfen im Türrahmen zwischen Männern und Frauen stehen, die Freunde eingeladen haben, Essen und Anekdoten aufwärmen, den Tisch decken und dem schönen und unbeholfenen Mann vorwerfen, dass er sich rar gemacht hätte in letzter Zeit. Dann beobachte ich, wie er unter fadenscheinigen Ausflüchten Reißaus nimmt, in eine Schwulenbar geht, zu schlechter Musik mit Männern flirtet, ein bisschen tanzt. Es reicht fast, dass er hübsch ist und ich ihn ansehen kann. Dann beobachte ich ihn beim Beobachten, er hat einen Typen entdeckt, den er jetzt klarmachen will. Ich sehe mit ihm in Spiegel, sehe im Spiegel, wie er den anderen ansieht.
Dann gibt es einen Schnitt. Die Nacht, der Sex, das Aufwachen fehlen. Es gibt Kaffee, Angst vor dem eigenen Mundgeruch und vorsichtige erste, unangemessene Gespräche. Der eine ist verkatert, der andere macht ein Kunstprojekt und will die Sexerlebniserzählung des fremden Mannes mit ihm auf Tonband aufzeichnen. Aus der Zauber. Das wird nichts, denkt man, denke ich. Wie werden sie sich jetzt bloß los? Ein Typ ruft was von draußen („Queers!“), der Gast öffnet das Fenster und pöbelt zurück. Der, der da zu Hause ist, hat immer noch Angst, dass man ihm die Fenster einwirft (im 14. Stock). Und ich betrachte jetzt keine schönen Männer mehr, sondern lasse mich darauf ein, was die Kamera von diesen 14 Stockwerken erzählt: Plattenbau, Nottingham, eine Parkanlage, eine Überwachungskamera. Ein öffentlicher Raum der etwas unangenehmen Art. Deshalb auch nur ein verhuschtes Küsschen im Treppenhaus, ein Nachschauen des Weggehenden aus dem geschlossenen Fenster des 14. Stocks.
SAMSTAG. Der schöne Mann arbeitet in einem Schwimmbad. Der andere holt ihn ab. Ein Bademeister und ein Künstler. Wieder sind sie in der Wohnung. Und reden. Und jetzt lernen sie sich, lerne ich sie kennen. Hallo Russell, hallo Glen. Glen will mit seinen Sexgeschichten-Tonbändern, seinem Kunstprojekt, der Heterowelt ans Bein pinkeln, die mit ihren Geschichten ungefragt ins Öffentliche geht, während sich die Schwulen immer noch verhuschte Küsschen im Treppenhaus geben. Glen weiß aber auch, dass sich diese Kunst nur Schwule ansehen werden, weil sie ein bisschen Schwanz sehen wollen. Sehe ich deshalb diesen Film? Russell ist Waisenkind. Er konnte sich nur vor Freunden outen und hat eine kleine Obsession für Männer, die „es“ ihren Eltern sagen. Glen dagegen hatte nach dem Outing keine Freunde mehr, dafür jetzt eine kleine Obsession für die fehlenden Freiräume des Sich-selbst-entwerfen-Könnens. Verletzungen, Identitätszwänge, die ungestreichelte Haut, aus der man nicht raus kann, Rupert Graves‘ zitternder Schwanz im angehaltenen Videobild, das vom Klassenkameraden entdeckt worden ist. 30-jährige schwule Biografien in Bildern und Momenten, die ich selbst irgendwo abgelegt habe.
Ich beobachte keine Filmmänner mehr, ich fange an, mich selbst zu beobachten. Und drifte mit Russell und Glen durch den Samstag, den hektischen Nachmittag mit dem schlimmen Geständnis, dass Glen auf gepackten Koffern sitzt, den Abschiedsfeierabend, an dem nochmal die Heterofreunde brüskiert werden, die Nacht bei Russell, in der gekifft, gekokst, getrunken, gestanden, gestritten, fast getrennt wird, was die Nacht davor zusammengeführt hat. Für manche Vorwürfe kennen sich Russell und Glen noch nicht lang genug. Für ein unverbindliches Auseinandergehen zu lang. Sie merken das, ich auch. Und zuletzt die Kamera, die endlich die indirekten Aufnahmen aufgibt, in Spiegel, in sich spiegelnde Kacheln, durch unscharfe Türrahmen. Sie fängt nun schwächer werdendes Licht ein. Hält zuvor geraffte Zeit an. Und findet zum schönsten Bild dieses Films: Fenster werden geöffnet und ich darf aus dem Dunklen, von 14 Stockwerken darunter ein schwules Liebespaar in einer Umarmung im einzig erleuchteten Fenster des Wohnturms sehen. Nach der Freude über den letzten Joint kommt, ehrlich, existentiell, zärtlich, der Sex. Sex, keine Performance. Und ein letztes, nicht performtes Gespräch. „Vergiss einfach, dass wir Sex hatten.“
SONNTAG. Jetzt kommt’s, jetzt wird die Geschichte zur Countdown-to-Farewell-Romanze, wie ein US-Kritiker so schön schrieb. Wann geht Glens Zug? Will ich das wissen? Will ich da jetzt durch? Nochmal ein Blick aus dem 14. Stock auf den Weggehenden, der kurz, aber nicht lang genug, zögert. Russell geht zur Patentochter, hat eine Fahne und fühlt sich elend. Ich komme wieder ins Beobachten, wie schön er leidet. Und sich in die große Abschiedsszene wirft.
Es gibt ein paar Filme über Menschen, die sich kennenlernen und für die die Zeit stehen bleibt. Ein schöner Film aus den 1990er Jahren namens „Trick“ ist darunter, eine As-Good-as-Hollywood-Version über unerfüllte Sehnsüchte, die eine Nacht lang brauchen, bis sie sich doch erfüllen und dadurch selbst eine unerfüllbare Lebenssehnsucht hervorrufen. Hier, in „Weekend“, bleibt die Zeit sehr präzise stehen: eine Zeit des Uneasy-Seins mit den Identitätsangeboten und mit den Anfeindungen von außen. Ganz weit weg, in Sicherheit, ist die Kamera beim großen, ungeschützten, öffentlichen Abschiedskuss, in den sich ein ironisches Pfeifen und ein diskriminierender Zwischenruf einmischen, die garantiert nicht performt sind. Eine schwule urbane Liebesgeschichte, der so klar ist, dass sie keine geschützte Zeit und keinen geschützten Ort hat, hat man auch schon lange nicht mehr gesehen. Sie lässt eine Blase platzen und hinschauen. Tschüss Russell, tschüss Glen, schönes Wochenende.
Weekend
von Andrew Haigh
UK 2011, 96 Minuten, FSK 16,
englische OF mit deutschen UT,
Salzgeber
Im Dezember in der queerfilmnacht.