Uferfrauen – Lesbisches L(i)eben in der DDR

TrailerDVD / VoD

Der Dokumentarfilm „Uferfrauen“ von Barbara Wallbraun, den es jetzt im Salzgeber Club und auf DVD gibt, erzählt von Christiane, Carola, Pat, Elke, Sabine und Gisela – sechs Frauen, die in der DDR lesbisch lebten und liebten. Ihr Leben damals war bestimmt von unkonventioneller Familienplanung, dem Kampf um Selbstbestimmung und Konflikten mit dem Gesetz, aber auch von der eigenen Auseinandersetzung mit der Rolle als Frau. Ein Leben am Rand der sozialistischen Gesellschaft, immer im persönlichen Zwiespalt, ins kalte Wasser zu springen oder am sicheren Ufer zu bleiben. Beatrice Behn schreibt über eine Gruppe von Frauen, die sich nicht aufhalten ließen – und über die Wichtigkeit archäologischer und archivarischer Filmarbeit.

Foto: Salzgeber / Julia Hönemann

Lernen von den O.W.L.s

von Beatrice Behn

Die eine Sache, die sich in Barbara Wallbrauns „Uferfrauen – Lesbisches L(i)eben in der DDR“ am eindrücklichsten ins Gedächtnis bohrt, sind die Erzählungen der porträtierten Frauen über ihre erste Begegnung mit dem Konzept von Homosexualität. Stets war es ein Nebensatz oder eine kleine Abschätzigkeit, die den ersten Aha-Moment mit sich brachte, dass es da ein Wort, eine Idee und sogar andere Frauen gibt, die ebenso fühlen wie sie. Und auch wenn ich, ebenfalls ein DDR-Kind, ein paar Dekaden jünger bin als sie, kenne ich diese Dynamik noch aus meiner Kindheit.

„Sowas gibt’s bei uns nicht!“ ist einer dieser Sätze, den ich überraschend oft hörte. Gesagt wurde er immer dann, wenn man darauf hinweisen wollte, wie toll und ideal die sozialistische Gesellschaft im Gegensatz zum kapitalistischen Ausland ist. Im „Westen“ gibt es Kriminelle. Bei uns aber nicht. Im „Westen“ gibt es Mörder und Kinderschänder. Bei uns aber nicht. Im „Westen“ gibt’s Schwule und Perverse. Bei uns aber nicht. Das war der Kontext, in dem ich zum ersten Mal von Homosexualität hörte, noch komplett ahnungslos, was dieses Wort eigentlich bedeutete und dass ich selbst eines Tages queer sein würde.

Wie also lebt und liebt man als Lesbe, wenn die eigene Gesellschaft keinerlei Anzeichen gibt, dass so etwas möglich ist? Genau das ist die anfängliche Frage, auf die  Wallbraun eine Antwort sucht. Sie findet sie bei Christiane Seefeld, Urgestein der Ost-Berliner Lesbenszene, Sabine und Gisela, die sich mit eigenen Händen in Sachsen-Anhalt ein Haus bauten, Carola aus Dresden, Elke Prinz, Gründerin eines Frauenzentrums in Halle, und der renitenten Pat Wunderlich, Mitgründerin des Unabhängigen Frauenverbandes, der zur Wende und danach für die Gleichberechtigung aller Frauen kämpfte.

Den meisten dieser Frauen blieb die Möglichkeit auf ein lesbisches Leben anfangs völlig verwehrt. Sie gingen, wie man es eben so macht, die klassische Route über eine Beziehung mit einem Mann und einer Heirat mit anschließendem Kind. Erst verheißungsvolle Begegnungen mit anderen Frauen eröffneten hier neues Denken und Leben. Für andere war der Weg ins lesbische L(i)eben von Anfang an mit staatlicher Gewalt und Repressalien verbunden.

Foto: Salzgeber / Julia Hönemann

Per se war Homosexualität in der DDR nicht strafbar. Dafür war sie aber so stark tabuisiert, dass es kaum Möglichkeiten und Räume gab, man selbst zu sein. Und auch rechtlich behielt der Staat doch einige Hebel, die in Bewegung gesetzt wurden, um homosexuelle Liebe zu unterdrücken und erschweren. Carolas erste Liebe war Karin, die „Lesbe aus dem Nachbardorf“. Carola war 16 Jahre alt und traf Karin bei einer Party. Die beiden hatten eine gemeinsame Nacht miteinander. Als Carolas Eltern davon erfuhren, wurde Karin, damals Anfang 20, verhaftet und nach § 151 des StGB wegen sexuellem Missbrauch einer Jugendlichen verurteilt. Die beiden sahen sich nie wieder. Pat begegnete ihrer ersten Liebe mit 24 Jahren, als sie als Erzieherin im Jugendwerkhof arbeitete, einer Besserungsanstalt für Jugendliche. Eine Nacht verbrachten die beiden zusammen, dann flog die Liaison auf. Pat bekam zwei Jahre Berufsverbot, wurde in einem öffentlichkeitswirksamen Prozess aus der Partei ausgeschlossen, entkam aber gerade noch so einer Verurteilung.

Und trotzdem ließ sich keine dieser Frauen aufhalten. Viele von ihnen schufen sich nach und nach kleine private Nischen und Ecken oder fanden den Weg nach Berlin. Denn in Berlin ging was. Hier wurde im Untergrund gefeiert. Man unterstützte sich. Bei Christianes berühmten Sonntags-Treffen in den 1980er Jahren schlugen bald so viele Schwule und Lesben auf, dass sie einen anderen Ort suchen mussten, um nicht aufzufliegen. Christiane selbst wurde trotzdem mehrfach verhaftet und verhört. Der Grund: § 217 StGB der DDR — Gefahr der Zusammenrottung, strafbar mit bis zu fünf Jahren Haft. Es gab immer Mittel und Wege, Homosexualität zu unterdrücken und zu versuchen, jegliche Art von Gemeinschaftsbildung zu unterbinden. Und doch, so lernt man aus den kollektiven Geschichten, es gab immer auch Wege sich zu wehren, zu leben und so gut es ging präsent zu sein.

Foto: Salzgeber / Anne Misselwitz

Es ist eine spannende (und frustrierende) Sache mit der Aufarbeitung der Geschichte der DDR, trägt sie doch oftmals die gleichen verzerrenden Züge von damals noch in sich. Irgendwo zwischen Geschichtsamnesie, Schönmalerei und verallgemeinerter Verteufelung muss man suchen und graben, um die Bruchstücke und Geschichte(n) einer komplizierten Gesellschaft und Zeit zu finden. Sehr wertvoll ist sie also, diese archäologische und archivarische Arbeit, die Dokumentarfilmemacher:innen wie Wallbraun oder auch Annekatrin Hendel („Anderson“, „Vaterlandsverräter“) in den letzten Jahren geleistet haben. Vor allem, weil sie auf Zeitzeug:innen und Oral History setzen und einfach subjektiv erzählen lassen, ohne Ambivalenzen zu tilgen oder Kohärenz zu erzwingen.

Und so wird aus den einzelnen Geschichten, die sich halbwegs chronologisch an den Leben der Protagonistinnen entlang hangeln, bald ein dichtes Netz aus Geschichten, die zu einer gemeinsamen kollektiven lesbischen und feministischen Erfahrung werden. Geschichtsschreibung von unten sozusagen. Und eine äußerst relevante für die Gegenwart noch dazu. Denn „Uferfrauen“ zeichnet hier auch einen Emanzipationsprozess innerhalb eines repressiven Systems nach, der große Wichtigkeit für die Zukunft der queeren Bewegung haben wird.

„Was können wir jungen Lesben denn von euch alten Lesben lernen?“ fragt Wallbraun am Schluss. „Zu kämpfen! Ich glaube, das ist bald wieder dran, dass wir für unsere Rechte und für viele Dinge kämpfen müssen. Und Geschichte festhalten. Das ist ganz wichtig, dass nichts verloren geht“, antwortet ihr Pat. Recht hat sie.




Uferfrauen – Lesbisches L(i)eben in der DDR

von Barbara Wallbraun
DE 2019, 116 Minuten, FSK 12,
deutsche OF,
Salzgeber

Hier auf DVD.

vimeo on demand

VoD: € 4,90 (Ausleihen) / € 9,90 (Kaufen)


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