Toro

 Trailer • Kino

In der Welt von Toro und Victor wird nicht viel geredet, da sprechen die Körper. Sport, Sucht, Sex (solange er keinen Spaß macht) sind ihre Kommunikationsmittel. Die naiv erträumte bromoerotische Zukunft, in der gemeinsam geschwiegen werden kann, liegt außerhalb der Bilder, die in der Gegenwart von harten Gegensätzen geprägt sind. Martin Hawies zweiter Film, uraufgeführt in der Berlinale-Sektion Perspektive, ist ein kontrastreiches Genrestück, in dem es kein Grau und keinen Zwischenton gibt.

Foto: missingFILMs

Entweder – oder, aber zackzack

von Alexandra Seitz

Die Welt von Toro ist schwarzweiß. Nicht nur, weil Martin Hawie – 1975 in Peru geboren, in Lima, Barcelona und Köln ausgebildet und seit 2005 in Deutschland lebend – seinen Abschlußfilm an der Kunsthochschule für Medien in Köln in scharfkantigem Schwarzweiß gedreht hat. Vielmehr, weil die Immigranten-Geschichte, die er darin erzählt, auf Oppositionen aufbaut: Da ist zum einen Titelfigur Toro, eigentlich Pjotr, ein ehemaliger Boxer aus Polen und gläubiger Katholik; in Wahrheit ist Toro homosexuell, aber diese Wahrheit kann er sich nicht eingestehen, weil sein Glaube ihn dafür verurteilt. Und dann ist da Victor, Toros bester Freund, ein emigrierter Spanier, der den Halt verloren und den die Drogensucht fest im Griff hat. Toro und Victor verdienen ihr Geld in Deutschland mit Prostitution, Toro macht Hausbesuche bei Damen, die seine Kraft und seine Ausdauer schätzen, Victor geht notgedrungen und widerwillig auf den Schwulenstrich. Abends treiben sie sich gemeinsam herum und träumen von der Zukunft und vom Glück, das dort auf sie wartet. In fast schon greifbarer Nähe, denn Toro will daheim in Polen eine Boxschule eröffnen und das Geld dafür hat er beinah beisammen. Nur noch ein paar Jobs, dann geht es zurück. Und Victor, der schon lange nicht mehr weiß, was er eigentlich will und wohin, soll Toro selbstverständlich mitnehmen. Einstweilen trainiert der Boxer in einer Fabrikruine; dort trifft er Benoit, einen jungen Schwarzen, der vollkommen auf sich gestellt in seinem Auto lebt. Auch Benoit ist ein Gestrandeter, auch er ist auf der Suche nach freundschaftlicher Geborgenheit, auch seiner nimmt Toro sich an.

Weiß und schwarz. Schwul und hetero. Aktiv und passiv. Mann und Frau. Zusammen und allein. Stark und schwach. Wärme und Kälte. Dies sind die fundamentalen Gegensätze, die die strukturelle Basis von Hawies gemeinsam mit Laura Harwarth verfasstem Drehbuch bilden. Freilich bleibt es dann nicht so simpel.

Denn eines Tages steht Victors Schwester Emilia vor der Tür; wie ihr Bruder hat sie Spanien, hat sie die Familie auf der Suche nach dem schnellen Geld und dem guten Leben verlassen – und nun gerät alles aus den Fugen. Nicht zuletzt, weil sie, die Frau, das zwischen den beiden Männern herrschende Gleichgewicht stört. Victors Restmachismo und brüderlicher Schutzinstinkt ist angestachelt, argwöhnisch wacht er über die Schwester, die Toro reizt. Eine diffuse Spannung liegt in der Luft – ein Gemisch aus erotischer Anziehung, Eifersucht und Verdrängung – und vergiftet das freundschaftliche Binnenklima der Notgemeinschaft. Dergestalt, dass der Geschlechtsakt, zu dem es zwischen Emilia und Toro schließlich kommt, gleichermaßen zu einem Akt der Unterwerfung (Emilias) wie einem der Selbstverleugnung (Toros) gerät. Ein beidseitig manipulatives Manöver, das allerdings genauso ins Leere läuft wie die trockenen Stoßübungen, die zu Toros täglichem Trainingsprogramm gehören. Denn die eigentliche Gefahr droht aus einer ganz anderen Richtung. Victor hat Schulden bei den falschen Leuten. Die wiederum sehen in Emilia nicht nur die Möglichkeit einer schnellen Vergewaltigung, sondern auch die eines gewinnbringenden Geschäfts mit einer Sexsklavin. Mit einem Mal ist Toros Erspartes im Versteck im Sandsack nicht mehr sicher und der Traum von der Boxschule ist geplatzt.

Glaube und Sünde. Verbrechen und Strafe. Schuld und Sühne. Himmel und Hölle. Dies die ideell gegründeten, schwergewichtigen Gegenüberstellungen, die sich aus der einfachen Fabel ergeben. Simpel kann halt auch manchmal ziemlich komplex sein.

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Angesiedelt ist „Toro“ im Köln der Gegenwart, jenseits der Kulissen von rheinischem Frohsinn und Multikulti-Toleranz. Dort, wo Immigranten als sexuelle Dienstleister aufgerieben werden und Leben wie Pläne verloren gehen. Es ist zweifelsohne verdienstvoll, dass Hawie sich jener Stimm- und Mittellosen annimmt, die keiner vermisst. Allein, indem er eine allzu schlichte Story formal überfrachtet in Szene setzt, erweist er ihnen am Ende einen Bärendienst.

„Toro“ vereint ein Sozialdrama zum Thema Prostitution und Drogensucht mit der geradezu zwanghaft in Richtung Untergang weisenden Erzählstrategie des Film Noir, inklusive Gangstersubplot sowie melodramatisch fungierenden Handlungselementen wie der alle ins Unglück stürzenden femme fatale. Wobei die im vorliegenden Fall interessanterweise nicht zwangsläufig in der Gestalt von Emilia zu suchen ist, sondern auch in der von Victor zu finden sein kann. Das Ergebnis, in sich schon ein bemerkenswerter Bastard, wendet Hawie sodann auf ein Coming-out-Drama an.

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Denn tief unter der aus schablonenhaften Figuren und plakativen Ereignissen zusammengesetzten Oberfläche steckt die eigentliche Geschichte über den schwul-katholischen Schuldkomplex. Mit ihm schlägt Toro sich herum, ohne das doch recht zu begreifen. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Welche Sünde wiegt in den Augen des Herrn wohl schwerer: Einen Mann zu lieben oder eine Liebe zu töten? Leider hat keiner der Gottesdiener, die Toro im Verlauf des Films aufsucht, Zeit für ihn und seine auf Artikulation drängende Beunruhigung. Und irgendwann fragt ihn eine Kundin, ob er eigentlich wisse, dass er schwul sei. Ab dann läuft Toro nur noch wie ein offenes Messer durch die Gegend, ein stiernackiges Muskelpaket (von Paul Wollin noch im Gewaltausbruch mit zärtlichem Verständnis verkörpert), das unter der Last seiner nicht-reflektierten, doch plötzlich explodierten Gefühle schier zusammenbricht.

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Auf den Zerfall seiner Lebenslüge reagiert Toro, wie Männer eben reagieren, beziehungsweise der überwiegende Teil der Regisseure und Drehbuchautoren glaubt, dass Männer reagieren müssten; weswegen immer wieder unartikulierte Berserker wutschnaubend über die Leinwände toben, alles zu Klump hauen und hinterher in Tränen der Reue ausbrechen. Es ginge freilich auch anders – wie vor kurzem erst Barry Jenkins und Tarell Alvin McCraney mit „Moonlight“ überzeugend bewiesen haben –, doch Hawie fügt den sattsam bekannten Klischeebildern testosterongesteuerter Männlichkeit nichts Neues hinzu.

Am Ende ist die Welt von „Toro“ also doch schwarzweiß und ziemlich simpel.




Toro
von Martin Hawie
DE 2015, 84 Minuten, FSK 16,
deutsche Originalfassung,
missingFILMs

Ab 27. April hier im Kino


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