The Wild Boys

Trailer Kino

Eine Zeitreise zum Beginn des 20. Jahrhunderts. Fünf Jungs aus gutem Hause begehen ein scheußliches Verbrechen. Um sie auf den rechten Pfad zu führen, vertrauen ihre Mütter sie einem alten Kapitän an, der dafür bekannt ist, wilde Herwachsende auf seinem Schiff mit harter Hand zu brechen. Von der Schikane an Bord zermürbt, meutern die Jungs mit letzter Kraft. Sie stranden auf einer Insel voller bizarrer Gewächse, von denen eine geheimnisvolle Kraft ausgehen soll. Bald beginnt der Zauber der Pflanzen zu wirken, die Jungs verändern sich, doch anders, als gedacht…  Bertrand Mandicos vor sinnlicher Energie und visueller Kraft beinah berstender Debütfilm ist erzählerisch ungestüm und formal mit gängigen Kategorien nicht zu fassen, er ist schwindelerregend referentiell, seltsam lustvoll und auf transformative Weise queer. Spätestens seit die „Cahiers du Cinéma“ das mysteriöse Kinomärchen 2018 zum Film des Jahres gekürt haben, gilt es nicht mehr als Geheimtipp. Jetzt ist „The Wild Boys“ endlich auch in deutschen Kinos zu sehen. Sebastian Markt hat sich in Mandicos fantastische Bilderorgie treiben lassen.

Foto: Bildstörung

Früchte der Erkenntnis

von Sebastian Markt

They tried to tame you
Looks like they’ll try again
Wild boys never lose it
Wild boys never chose this way
Wild boys never close your eyes
Wild boys always shine

(Duran Duran)

Abenteuer

Es waren einmal, oder es waren wohl eher nicht, aber es sind jetzt, hier, in dieser Welt, fünf wilde Jungen, die ihrer Literaturdozentin Macbeths Hexen darbieten, ein Spiel, das, während sie sich aus Kelchen betrinken, bald aus den Fugen gerät, unter dem Bann von Trevor, ihrer ganz eigenen Gottheit, Idol ihrer Wüstheit, edelsteinglitzernden Schädel am Himmel, der sie antreibt Grenzen zu verletzen, bis sie sich gemeinschaftlich an der Lehrerin vergehen, sie an ein Pferd binden, dass aufgescheucht samt der Last in den tödlichen Abgrund stürzt. Der Prozess wird ihnen gemacht, und angeordent sie zu trennen, ihre wohlhabenden Eltern bringen sie schließlich wieder zusammen, um sie in die Obhut eines älteren Kapitäns zu übergeben, der so sagt er, noch aus den wildesten Jungen zivilisierte Menschen macht. Auf dessen Schiff schuften sie dann gemeinschaftlich, durch einen bizarren Apparat ans Schiff gekettet, als Teil seiner Maschinerie, eine Meuterei misslingt, bis sie zu einer mystischen Südsee-Insel gelangen, wo der Kapitän eine alte Weggefährtin wiedertrifft, die Jungen sich in der üppigen Natur verlieren, der Insel, an dem sich die eigentliche Zivilsierung vollziehen sollte, aber doch eine ganz andere Transformation einstellen wird.

Filmische Fantasmen

Bertrand Mandico erzählt diese Geschichte, oder beschwört sie herauf in einer Welt von exaltierter Künstlichkeit. In flirrendem Filmkorn, in sattem Schwarz-Weiss für weite Teile der Reise und nachtschwerer Buntheit immer da, wenn die Erzählung abhebt in Raum zwischen Sehnsucht und Fantasma, in Kulissen, deren Kulissenhaftigkeit etwas Stolzes hat, und auf Reunion, das doch aussieht als wäre es einer Studiofantasie goldener Hollywood-Jahre entsprungen. Der Film erzählt eine Jahrhundertwende, die doch imaginiert ist, und eine Natur, die von einer fast alles ergreifenden Erotisierung geprägt ist. Pfirsiche mit schamhaarigem Flaum, die der Kapitän den Jungen als einzige Nahrung vorsetzt, phallische Früchte, die, wenn man sie lutscht, milchige Flüssigkeiten ausstoßen, Gewächse, die die Form eines Torsos mit gespreizten Beinen annehmen, aber auch: Tiere mit menschlichen Häuptern. Eine infektiöse Logik prägt den Bildraum, expressionistische Ausleuchtung, Rückprojektionen und Doppelbelichtungen, Blicke in die Kamera und subjektlose Subjektiven. Es lässt sich kein gerader Reim machen auf dieses Kino machen, das sich auch von seiner eigenen Geschichte ständig anstecken lässt, mit Gesten und Zitate von Jean Vigo und Jean Genet, von Jack Smith und Kenneth Anger, von Francis Ford Coppola und Walerian Borowczyk.

Foto: Bildstörung

Metamorphisierende Körper

Das Zentrum, auf das der Film immer zurückkommt, das er umschwärmt, sind die fünf pubertären Jungenkörper, die von fünf erwachsenen Schauspielerinnen – Anaël Snoek, Vimala Pons, Diane Rouxel, Pauline Lorillard und Mathilde Warnier – verkörpert werden, nicht als Travestie auf ein Passing gerichtet, sondern als Irritation einer Erzählung, die sinnfällig wird, wenn die Insel ihr Geheimnis offenbart, die Insel auf deren libidinöser Natur die experimentelle Zivilisierung gründet, die der Kapitän (Sam Louwyck) und sein eigentliches Mastermind Severin/e (Mandicos Langzeit-Kollaborateurin Elina Löwensohn), deren Geschlecht sich zunehmend verundeutlicht, entwickelt haben. Die Methode hat ihre Haken, denn die Kräfte, die die Insel verströmt, machen an den Affekten, die sie einhegen sollen, nicht halt und greifen auf die Körper über. Unter dem artifiziellen Licht der echt-falschen Südseesonne und mehr noch in der bizarr-schönen Nacht geraten die Körper ins Schwimmen, schlagen Begierden über.

Foto: Bildstörung

Inkoheränz

„The Wild Boys“ ist Bertrand Mandicos erster langer Spielfilm. Vorausgegangen sind ihm meherere Dutzend Kurzfilme, Musikvideos und Werbeclips, die an Themen und erzählerischen Techniken schon vieles von dem versammeln, was nun in Abend- (oder besser Nacht-)füllender Pracht vor uns liegt. Mandicos  künsterlisches Credo läßt sich nachlesen in einem Manifest, das er zusammen mit der isländischen Künstlerin Katrin Olafsdottir unter dem Banner einer Internationalen Inkoheränz verfasste hat – ein Kompendium erzählerischer und produktionsästhetischer Gebote, von dem er in einem Interview erklärt: „Inkohärent zu sein, bedeutet an das Kino zu glauben. Es bedeutet, einen romantischen Zugang zu haben, unformatiert, frei, verstört und träumerisch, kineastisch, eine epische Erzählung. Inkohärenz ist die Abwesenheit von Zynismus, aber nicht von Ironie. Inkohärenz bedeutet, sich dem Genre zu verschreiben, ohne es zu durchdringen. (…) Ein flamboyantes Aufbrausen, kein Dogma.“ Als präskriptives ästhetisches Programm beschreibt das tatsächlich treffend den fantastischen orgiastischen Bilder- und Theoremewirbel von „The Wild Boys“.

Foto: Bildstörung

Gefährliche Genüsse

Wo man landen würde, versuchte man die insulären Sichtungen filmischer Anspielungen auf eine Schatzkarte einer cineastischen Genealogie zu übersetzen und trüge man die fragmentarischen Erzählungen sich transformierender Körper und sexuellen Apokryphen zu einer Theorie fluider Geschlechter zusammen, vermag ich nicht zu sagen. Ob man dem Film damit gerechter werden würde, allerdings auch nicht. Mandicos Film hat eine nachgeradezu genialische Konsequenz darin, im Fluss einer Erzählung die in ihren groben Umrissen noch unter ein oder zwei Genres subsumierbar wäre, eine permanentes Feuerwerk ästhetisch-narrativer Detonationen zu zünden, die jede Festlegung wieder ins Wanken bringen. In seiner ungestümen Fülle zeigt sich „The Wild Boys“ weniger als wohldurchdachte, lyrisch ausbuchstabierte Skizze einer kommenden Welt als ein phantasmagorischer, Begehrens-getriebener Fiebertraum aus den bruchstückhaften Tagesresten der alten; eine Elegie nicht in erster Linie auf reale Körper, sondern auf die Körper des Kinos, eine haarig-saftige Frucht gefährlicher Genüsse.




The Wild Boys
von Bertrand Mandico
FR 2017, 110 Minuten, FSK 16,
französische OF mit deutschen UT,

Bildstörung

Ab 23. Mai hier im Kino.

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