In memoriam: Barbara Hammer (1939-2019)

Barbara Hammer, Jahrgang 1939, gilt als Pionierin des lesbischen Kinos und als eine der renommiertesten Experimentalfilmemacher*innen ihrer Generation. Von Beginn an stellte sie lesbische Körper und Liebe in den Mittelpunkt ihrer künstlerischen Arbeit, ihre frühen Kurzfilme, darunter „Dyketactics“ und „Menses“ (beide 1974), sind heute Klassiker des nicht-heterosexuellen Kinos. Im Laufe ihrer fünf Jahrzehnte umspannenden Karriere machte sich die stets aktivistisch arbeitende und lebende Filmemacherin auch in der Performance- und Medienkunst einen Namen, später war sie Lehrerin, Vermittlerin, Fürsprecherin und Godmother mehrerer Generationen von jungen Filmemacherinnen. Dreimal wurde Hammer mit dem Teddy-Award ausgezeichnet, ihrer Werke wurden in Ausstellungen auf der ganzen Welt gezeigt. Nach ihrer Krebsdiagnose im Jahr 2006 stellte Hammer die eigene Krankheit radikal in den Mittelpunkt ihrer künstlerischen Arbeit. Am 16. März dieses Jahres ist sie in New York gestorben. sissy-Autor Uli Ziemons hat als Mitglied im Kurator*innen-Team des Forum Expanded der Berlinale mehrfach mit Barbara Hammer zusammengearbeitet. Hier erinnert er sich an eine starke, laute und streitbare Stimme in der zeitgenössischen Filmkultur und würdigt Hammers vielstimmiges Werk und dessen Bedeutung für das Queer Cinema der letzten 50 Jahre.

Foto: Jim Norrena

Missing Hammer

von Uli Ziemons

Das Berliner Kino Moviemento im Mai 2019: Gezeigt wird „Nitrate Kisses“ von Barbara Hammer. Der kleine Saal ist bis auf den letzten Platz gefüllt, das Xposed Queer Film Festival, das der knapp zwei Monate zuvor verstorbenen Hammer eine kleine Retrospektive widmet, hat auf Grund der hohen Nachfrage für Mitternacht eine zweite Vorstellung angekündigt. Als „Nitrate Kisses“ 1992 entsteht, schaut die Regisseurin bereits auf eine rund 20-jährige Karriere als Experimentalfilmerin zurück. Mit Filmen wie „Dyketactics“ und „Menses“ (beide 1974) – kurze, prägnante Arbeiten in der Tradition des poetischen „personal cinema“ der nordamerikanischen Avantgarde, die lesbische Körper und lesbische Liebe in den Mittelpunkt stellen  – war sie schon in den 1970er Jahren zu erster Bekanntheit gelangt. Als erste offen lesbische, feministische Experimentalfilmemacherin war sie eine Anomalie sowohl in der von Männern dominierten Experimentalfilmszene, als auch in den feministischen Filmkreisen der Zeit: „Der feministischen Community präsentierte ich meine Filme im Hinblick auf formale Aspekte, die das experimentelle Filmemachen erfordern“, erklärt Hammer. „Bei der Experimentalfilm-Community hingegen sprach ich über die Wichtigkeit fehlender Repräsentation in inhaltlicher Hinsicht.“ [1]

In den 1980ern hatte Hammer sich, stets auf der Suche nach neuen künstlerischen Herausforderungen, strukturalistischeren, abstrakteren Formen zugewandt und arbeitete mit gefundenem Material und dem optical printer an der Analyse des filmischen Mediums selbst. Mit „Optic Nerve“ (1985) und „Sanctus“ (1989) entstehen Arbeiten, die sich dem Körper unter dem Gesichtspunkt seiner Sterblichkeit annähern – ein Thema, das Hammer in späteren Jahren immer wieder beschäftigen wird. In dieser Zeit entsteht auch ihr Text zur „Politik der Abstraktion“, ein Manifest für ein Kino, dessen Queerness auch und vor allem im formalen Experiment zu finden ist.

„Nitrate Kisses“ (1992) – Foto: Barbara Hammer

Mit „Nitrate Kisses“ unternimmt Hammer Anfang der 1990er einen weiteren Vorstoß in ihr noch unbekanntes filmisches Terrain. Es ist nicht nur ihre erste abendfüllende Arbeit, sondern auch der erste in einer Reihe von essayistischen Dokumentarfilmen, die ihre Interessen an experimenteller Abstraktion und queerer Repräsentation zusammenbringen. Zum ersten Mal macht sie sich auf die Reise ins queere Archiv. Was ihr dort begegnet, sind prekäre, flüchtige Spuren queeren Lebens. Nur wenige Aufzeichnungen findet sie über das Leben von Schwulen und Lesben aus der Zeit vor Stonewall. Vor allem Selbstzeugnisse scheinen rar – Verfolgung und Ausgrenzung setzt sich auch im Erinnern fort. Diesem Wissen um die Prekarität queerer Geschichte und queerer (Auto-)Biografien setzt Hammer Bilder queerer Körper und queeren Begehrens entgegen, die in der Gegenwart des Films selbst noch immer wenig Sichtbarkeit erhielten, und schafft so unter anderem ein Zeugnis lesbischer Liebe im Alter. Ein Blick ins Archiv, der selbst ein Archiv für die Zukunft schafft.

Zum ersten Mal treffe ich Barbara Hammer im Winter 2009. Auf der Potsdamer Straße in Berlin, im kalten Februarwetter der Berlinale, steht mir eine strahlend lächelnde, drahtige Frau gegenüber, die jeden ihrer Sätze energisch gestikulierend unterstreicht und deren Körper nur so vor Energie zu bersten scheint. Sie ist in Berlin um ihren neusten Film „A Horse Is Not a Metaphor“ (2008) im Forum Expanded des Festivals vorzustellen: einen Film über ihre Krebserkrankung, für den sie einige Tage später den ersten von drei Teddy-Awards gewinnen wird. Die Diagnose – Eierstockkrebs – hatte sie drei Jahre zuvor erhalten. Unzählige Krankenhausaufenthalte und Chemotherapien später scheint der Krebs zunächst geheilt. Und so endet der Film dann auch – fast triumphierend – mit dem titelgebenden Bild der genesenen Barbara Hammer, die auf einem Pferd durch die majestätische Landschaften des US-amerikanischen Mittleren Westens reitet. Doch die Bilder der kranken, ausgezehrten Person im Krankenhausbett sind es, die sich einbrennen und die so schwer mit der lebenslustigen Frau zur Deckung zu bringen sind, die in Berlin nach den Screenings vor das Publikum tritt. Noch weniger mit der Mischung aus Astronautin und Daredevil-Stuntwoman im silbernen Jacket, die im selben Jahr in einer Wiederaufführung ihrer Expanded Cinema Performances „Available Space“ (1979) und „Bent Time“ (1983) im Forum Expanded mit dem Projektor durch den Raum wirbelte, das Kinobild vom Rechteck der Leinwand befreite, diese gar zerschnitt und durch sie hindurch sprang [2].

Am 16. März 2019 ist Barbara Hammer in New York gestorben. Ein „cancer thriver“ sei sie, betonte Barbara Hammer wieder und wieder, wenn es um ihre schwere Erkrankung ging, kein „survivor“. Dem martialischen Vokabular des „Kampfs“ mit und gegen den Krebs – und damit auch gegen den eigenen Körper – erteilte sie eine deutliche Absage: „Cancer is not a battle. Cancer is a disease. Cancer has nothing to do with the military […] There are aberrant cells, not deadly foes.“ [3] 13 Jahre lebt sie mit ihrer Diagnose, mit ihrer Krankheit. Jahre, in denen sie weiter Filme produziert – mal mehr, mal weniger eingeschränkt von ihrem Gesundheitszustand – und die Autobiografie „Hammer! Making Movies out of Sex and Life“ (2010) verfasst.

„A Horse is not a Metaphor“ (2009) – Foto: Barbara Hammer

Körper standen von Anfang an im Zentrum von Barbara Hammers Schaffen. Ihr Interesse galt dabei ebenso dem Zeigen und Erforschen von – vor allem, aber nicht nur – queeren Körpern und Körperlichkeit, als auch dem Versuch, der Zuschauer*in ein körperliches Erfahren ihrer Filme zu ermöglichen: Ihre Filme sollten gespürt werden, gefühlt, auf der Haut, im Fleisch, im Magen und im Kopf. Und so verwundert es nicht, dass sich ihre unbändige Neugier nach der Krebsdiagnose auf diesen Aspekt ihrer eigenen Körperlichkeit fokussierte, auf dessen unweigerliche Veränderung und damit auch auf das eigene Sterben. In einer Reihe von Film- und Performance-Arbeiten machte sie, nachdem ihre Krebserkrankung mit schrecklicher Wucht zurückgekehrt war, ab 2017 ihr Sterben so öffentlich wie möglich. Anfang 2018 zeigte sie auf der Berlinale ihren Film „Evidentiary Bodies“. Auf der 3-geteilten Leinwand – die Arbeit war ursprünglich als immersive 3-Kanal-Videoinstallation konzipiert und wird in dieser Form im Juni 2019 in einer großen Einzelausstellung im Wexner Center for the Arts Premiere feiern [4] – tanzt die nackte Barbara Hammer, schwer gezeichnet von Krankheit und Chemotherapie, zu den Klängen eines Cellos. Auf ihren fragilen Körper werden Röntgenaufnahmen und Computertomographie-Bilder projiziert, ihre gebeugte, geschwächte Gestalt ist eingerahmt und überlagert von sich zersetzendem Filmmaterial: Kratzer und Verfärbungen, sich auflösende Filmemulsion, von der die tanzende Hammer zum Ende der 9-minütigen Arbeit verschlungen wird. Ein Aufgehen im und Eingesperrtsein vom Filmmaterial – Hammer verhandelt hier die Freude, aber auch die Einschränkungen eines Lebens und Sterbens in und für den Film. Der finale Tabubruch – das Zeigen des eignen sterbenden, nackten Körpers – ist so mutig wie berührend und in seiner Direktheit typisch für Barbara Hammers Umgang mit der eigenen Biografie: ohne Umschweife, ohne falsche Eitelkeit, mit einem ungehemmten Blick auf sich und die Welt, der auch vor Schmerz nicht zurückschreckt.

„Barbara did not pass away. Barbara died“ – so direkt und unumwunden eröffnet deshalb auch Florrie Burke, Barbara Hammers Partnerin seit über 30 Jahren, am 21. April 2019 im Art Deco Saal des Abrons Arts Center in der New Yorker Lower East Side die „Celebration of the Life of Barbara Hammer“ – eine Veranstaltung, die ganz bewusst nicht „Memorial“ oder „Trauerfeier“ genannt wird. Auch hier – wie einen Monat später im Berliner Moviemento Kino – ist der Saal voll besetzt: Weggefährt*innen, Freund*innen, Familie und Künstlerkolleg*innen sind gekommen, um sich gegenseitig ihre Erinnerungen an Barbara zu erzählen. Auffällig ist, wie viele junge Leute sich auch hier im Publikum und unter den Redner*innen finden: Zeugnis für Barbara Hammers Generationen-übergreifende Bedeutung und Rolle als Mentorin und Fördererin. Sie hatte Lust an dieser Rolle, die nie in der Attitüde der Elder Stateswoman erstarrte, sondern von ihr immer als aktive Zuhörerin und – vor allem – als interessierte und fordernde Fragenstellerin ausgelegt wurde. Und als künstlerische Partnerin, wie in ihrem Film „Generations“, einem Gemeinschaftsprojekt mit der jungen Filmemacherin Gina Carducci aus dem Jahr 2010, der Hammers Neugier und ihre Freude an der Zusammenarbeit auf eindrücklich lustvolle Weise verkörpert: Im Wechselspiel mit der jungen Künstlerin schafft Hammer eine verspielte Ode an das gemeinschaftliche Filmemachen und an Freundschaft als kreativen Motor. Auch für diesen Film erhielt Barbara Hammer einen Teddy-Award.

„Menses“ (1974) – Foto: Barbara Hammer

In den letzten Jahren ihres Lebens trat die Sorge um ihren Nachlass immer mehr in den Vordergrund ihres Handelns. Die endlich eintretende institutionelle Anerkennung ihrer Arbeit ermöglichte ihr zwei Förderpreise für queere Filmemacher*innen in ihrem Namen zu schaffen. Viele ihrer Filme wurden unter ihrer Aufsicht restauriert und archiviert, ihr umfangreiches Schriftarchiv für zukünftige Zugänglichkeit vorbereitet. Mehrere „unvollendete“ Filme übergab sie anderen Filmemacherinnen zur Bearbeitung. So entstand unter anderem Deborah Stratmans wundervolle Arbeit „Vever (for Barbara)“ (2018), in der sie von Barbara Hammer auf einem Motorradtrip durch Südamerika gedrehtes Material mit Tonaufnahmen von Hammers großer Inspiration Maya Deren kombiniert.

Zentraler Bestandteil der Vorbereitung auf das Sterben war auch die Lecture-Performance „The Art of Dying. Palliative Art Making in the Age of Anxiety“, die sie im Laufe ihres letzten Lebensjahres vier Mal, in vier Varianten vorstellte [4]: Rückblick auf ihr Lebenswerk und Ausblick auf ihren Tod gleichermaßen. Und ebenso ein Appell für das Recht auf ein Sterben in Würde und zu selbst gesetzten Bedingungen – bis zum Schluss setzte sich Barbara Hammer für eine Gesetzesänderung in ihrem US-amerikanischen Heimatstaat New York ein, den „Medical Aid in Dying Act“, der es unheilbar kranken Menschen ermöglichen soll, den Zeitpunkt des eigenen Todes selbst zu wählen. Selbst konnte sie nicht mehr davon profitieren, die Entscheidung im New Yorker Senat steht weiterhin aus.

Barbara Hammer war Künstlerin, Experimentalfilmemacherin, Lesbe, Aktivistin, Lehrerin, Vermittlerin, Fürsprecherin und Godmother mehrerer Generationen von Filmemacherinnen. Ihr Verlust wiegt schwer. Mit ihrem Tod verschwindet eine starke, laute, streitbare Stimme in der zeitgenössischen Filmkultur. Was bleibt, ist ihr Werk, das vor allem auch Dank ihrer eigenen Anstrengungen für künftige Generationen verfügbar bleibt. Dass kommenden Filmemacherinnen die Orientierungslosigkeit erspart bleiben könnte, die sie selbst als junge Frau angesichts der Spärlichkeit weiblicher Vorbilder in Film und Kunst empfand, dafür hat sie mit Nachdruck gesorgt.

 

[1]   Barbara Hammer: „Politik der Abstraktion“, in Brunow/Dickel (Hg.): Queer Cinema, Mainz 2018, 219ff.

[2]   Die silberne Jacke fehlt hier zwar leider, doch eine Sammlung einiger anderer ihrer Performance-Outfits stellte Barbara Hammer im Jahr 2018 unter dem Titel „Vintage Beinecke“ zusammen. Ausschnitte der Performances im Rahmen des Forum Expanded 2009 sind auf Barbara Hammers Website verfügbar.

[3]   Aus „Words Matter“ von Barbara Hammer, zitiert nach „Celebration of the Life of Barbara Hammer, Program Notes“.

[4]   Die letzte Iteration der Performance, vom 10. Oktober 2018, ist hier auf youtube verfügbar

 


 

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