The Schoolmaster Games

TrailerQueerfilmnacht

An der St.-Sebastian-Akademie sind alle Studenten schwul, jedes Seminar dreht sich um Homosexualität und der Campus vibriert nur so vor erotischen Ränkespielen. Machtzentrum ist der strenge Schuldirektor, der mit seinem Lieblings-Zögling Charles die Schoolmaster Games veranstaltet, ein Sexspiel mit klarer Rollenverteilung. Bis eine mysteriöse Nachricht alles durcheinander bringt… In ihrem vor originellen Ideen und skurrilen Figuren nur so sprühenden Langfilmdebüt erzählt die schwedische Regisseurin Ylva Forner auf Basis des gleichnamigen Romans von Kristofer Folkhammar von einem sagenhaften Ort zwischen schwulem Safe Space, musikalischem SM-Keller und sexueller Verbesserungsanstalt. Matthias Frings über einen schwer zu fassenden Genre-Hybrid, der seinen Stil in der lustvollen Aneignung findet – und im Oktober in der Queerfilmnacht zu sehen ist.

Foto: Salzgeber

Schwul in Großbuchstaben

von Matthias Frings

Es gehört zum Standardrepertoire der aufrechten Homohasser:innen, besonders wenn sie einen christlichen Hintergrund haben, mit der Höchststrafe für mann-männliche Gelüste zu drohen: ewiges Schmachten in der Hölle. Wie sie allerdings für Homosexuelle genau aussieht, wird leider nie genauer ausgeführt. Diese auffällige Leerstelle füllt nun „The Schoolmaster Games“ nach dem gleichnamigen Roman von Krystofer Folkhammer mit einer ganz unverhofften Lesart. Hier kommt sie anfänglich als Paradies pur daher. In Szene gesetzt wird eine Welt, die genau wie die unsrige aussieht, in der jedoch Homosexualität die Norm ist, wo es weder Frauen noch Heterosexuelle gibt. Nicht einmal ein Hauch von trans oder non-binär ist in Sicht. Diese Welt ist schwul in Großbuchstaben, scha-wul möchte man sagen, und bis zum Anschlag Cis. Ausgesprochen tuntig ist sie hin und wieder schon, was aber bekanntermaßen nur eine Variante von Cis ist. Diese schöne neue Homowelt ist so traumhaft ungebrochen, so unhinterfragt und ungefährdet schwul, dass der Traum recht bald wie ein Alptraum wirkt. In Abwandlung des Sartre Zitats „Die Hölle – das sind die anderen“, könnte man sagen: Die Hölle – das sind wir selbst.

Und welcher Ort zur Erprobung einer exklusiv schwulen Community würde sich besser eignen als eine Schule? Ganz traditionsbewusst ist sie nach dem hübschesten aller Märtyrer benannt: Die St.-Sebastian-Akademie bietet ausschließlich Kurse zum Thema Homosexualität, von den psychosozialen Implikationen des Bottom-Shaming bis hin zur Frage, wie sich das Bruderschaftsideal des 18. Jahrhunderts in den Bromance-Filmen der Neuzeit spiegelt.

Die Schüler dieser Einrichtung sind ausnahmslos gay im Großformat. Das ist nicht mehr nur Safe Space, sondern schon ein wahrhaftes schwules Utopia. Die Leinwand birst geradezu vor Geturtel und Getunte, Arschgewackel und Gekreische, ein Schmachten, Gieren, Kämpfen und Kopulieren. Von mangelndem Augenfutter kann in diesem Film jedenfalls nicht die Rede sein. Die Jungs decken (fast) alle Facetten der schmucken Jungschwuppenwelt ab. Vom smarten Dreamboy mit elegischem Augenaufschlag über den windelweichen Emo mit Pandaaugen bis zum knackigen Sportyboy und der regierenden Übertunte, ist das Regenbogenpersonal breit gefächert. Diese hormongeschwängerte Schule ist lebendig bis zur Hysterie und lustig bis die Tränen fließen. Vor allem aber ist sie eines: anstrengend.

Foto: Salzgeber

Es braucht dringend jemanden, der den Zoo bändigt, und das ist der titelgebende Schulleiter, ein stattlicher Mann Anfang Fünfzig, ebenfalls schwul, klar, aber in einer ganz anderen Welt sozialisiert. Die Diskriminierungserfahrungen in seiner Jugend haben unsichtbare und sichtbare Spuren hinterlassen, wie man in mehreren Rückblenden sieht. Er wurde von Mitschülern terrorisiert und mit einem Messer traktiert. Wie ein Kainsmal trägt er die Narben auf der Brust, stete Erinnerung an scheinbar längst vergessene Zeiten der Homophobie. Es ist dieses Trauma, das seine Verliebtheit in einen der Jungen immer wieder in S/M-Phantasien lenkt. Insofern träg das Wort „Schoolmaster“ durchaus eine doppelte Bedeutung. (Etwas irritierend, dass die Affäre des Schulleiters mit einem seiner Schüler, einem Abhängigen immerhin, so ganz unkommentiert abgehandelt wird.)

Foto: Salzgeber

Aus dieser Konstellation heraus, auf dieser Folie, entwickelt sich eine Handlung, die der vertrauten Formel des High-School-Films folgt: Ein Wettbewerb muss her, irgendwas zwischen Wahl des Schulsprechers, Sportevent oder Homecoming Queen. Auf St. Sebastian ist es ein traditioneller Festumzug ähnlich dem der Lichterkönigin Santa Lucia. Ein Kämpf entbrennt um die prestigeträchtigen Posten des Leuchterträgers und des Sängers. An diesem Hauen und Stechen entzünden sich sämtliche Konflikte dieser Schule wie ihrer Schüler. Und plötzlich wird aus Tralala Ernst, werden hinter den Rollen, die jeder in dieser Community spielt, junge Männer sichtbar, deren Verletzlichkeit und Gebrochenheit so gar nicht mehr dem stromlinienförmigen Modell des Happy Homo entsprechen.

Womit haben wir es hier zu tun? Komödie? Parodie? Farce? Ein versteckt moralisches Lehrstück gar, ein kritischer Coming-of-Age-Film mit Clownsnase? Im Gegensatz zu seinen Protagonisten ist er inhaltlich wie stilistisch erstaunlich fluid, ein schwer zu fassender Hybrid, der in Spielweise und Ausstattung  zum Melodramatischen tendiert, aber doch ganz im Rahmen des Realismus bleibt. Das Schulgebäude selbst kündet von der typischen skandinavischer sozialdemokratischer Langeweile, die Schüler hingegen tragen gerne mal große Blumen im Haar oder rauschen halbnackt im Kimono durch die Gänge. Manchmal wähnt man sich in der Kinovariante von „Glee“ (2009-15), dann wieder wird es bitterernst. An einer Stelle durchbrechen die Figuren sogar die vierte Wand und wenden sich direkt an die Zuschauer, dann wiederum legt einer der Schüler eine (wunderschöne!) Musiknummer hin, dass man sich in Highschool-Musical-Schweden wähnt. Stellenweise sieht das aus, als treffe Lars von Trier auf „Carrie“ (1976).

Foto: Salzgeber

Auch inhaltlich sind die Botschaften eher schillernd. Der natürlich ebenfalls schwule Hausmeister der Schule, der in den Schulleiter verliebt ist, hält diesem ein Standpredigt: Er möge endlich damit aufhören, diese Jüngelchen anzuschmachten. Die verstünden nicht, unter welchem Druck ihre Generation aufgewachsen sei, sie interessierten sich in ihrer pathetischen Oberflächlichkeit auch nicht dafür und hätten für das, was die schwule Generation vor ihnen geleistet hat, nichts als Verachtung übrig. Mag also sein, dass wir es in diesem Film mit einem vergnüglich-kulinarischen, ziemlich ins Schräge gesteigerten Generationenporträt zu tun haben. Was hier Scherz ist, was Ironie und tiefere Bedeutung, bleibt schwer auszumachen. Lohnenswert ist es allemal, und wenn es nur wegen der guten Jungschauspieler wäre, die sich mächtig ins Zeug legen. Zusammengehalten wird der Film aber von Johan Ehn als Schulleiter, der diesen in alle Richtungen strebenden Film mit der gewohnt expressiven Ökonomie skandinavischer Darsteller zusammenhält.

Ganz nebenbei ist „The Schoolmaster Games“ fast so etwas wie die ethnologische Wiederentdeckung einer Ethnie, denn er zeigt eine Spezies, die nach dem aktuellen Diskurs eher dem Aussterben geweiht ist. Dem Verschwinden des schwulen Mannes hinter fluiden Identitäten wird hier jedenfalls bildstark widersprochen. Nichts und niemand hier ist queer. In diesem so ganz unmodernen Beharren auf dem Schwulsein, ist der Film fast schon wieder subversiv. Eine wilde Melange also, ein Film, der seinen Stil in der Aneignung findet, im Zitat, in einer kruden Mischung aus Ideen, und der dann doch immer wieder ganz unverhofft zu sich selbst kommt und sich als etwas erweist, was es auch in diesem Genre nicht mehr oft zu sehen gibt: Er ist zutiefst originell.




The Schoolmaster Games
von Ylva Forner
SE 2022, 82 Minuten,
schwedische OF mit deutschen UT

Im Oktober in der Queerfilmnacht.

↑ nach oben